Gesellschaft | Lebensmittelarmut

Mehr als nur Hunger

Armut ist ein vielschichtiges Phänomen, das weit über einen wirtschaftlichen Einkommensmangel hinausgeht. Ein wachsendes soziales Problem in Italien und Südtirol.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
armut_poverta
Foto: Pexels
  • Sie umfasst materielle Defizite, soziale Ausgrenzung sowie immaterielle Dimensionen wie Scham, Stress und soziale Isolation. Laut einer Studie von ActionAid ist dabei die Lebensmittelarmut ein wichtiger Gradmesser, denn sie betrifft das grundlegende Bedürfnis nach Nahrung. Dabei zählen nicht nur unzureichende Mengen an Lebensmitteln, sondern auch die fehlende Wahlfreiheit im Geschäft.

    Die Problematik ist eng mit anderen sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten verbunden. Betroffene sind oft in prekären Verhältnissen, etwa aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen, schlechter Wohn- und Arbeitsbedingungen sowie fehlender sozialer Netzwerke. Dies erschwert ihre Ernährungssituation beträchtlich. Die Angst vor leeren Tellern führt häufig dazu, dass Mahlzeiten ausgelassen oder von minderer Qualität konsumiert werden, oder dass der Einkauf eingeschränkt wird, um andere Grundbedarfe wie Miete oder medizinische Kosten zu decken. Oftmals kommt eine psychische Belastung wie Scham, soziale Isolation und das Gefühl des Kontrollverlusts über das eigene Leben dazu, was die Lebensqualität negativ beeinflusst.

    Früher wurde Lebensmittelarmut zunächst als Mangel an Kalorien verstanden, später als unzureichender ökonomischer Zugang zu Nahrungsmitteln. Heute zeigt die Forschung, dass weitere immaterielle Faktoren wie die Angst vor zukünftigem Nahrungsmangel oder das damit verbundene Gefühl real und messbar sind. Trotz des grundlegenden Rechts auf Nahrung ist der Zugang für viele Bedürftige oft durch soziale Stigmatisierung, Peinlichkeit und Frustration geprägt, besonders bei der Inanspruchnahme von Lebensmittelkarten und ähnlichen Hilfen. Dies ist besonders bei der lokalen Bevölkerung stärker ausgeprägt.

    Im Jahr 2023 erlebten in Italien etwa 11,8 % oder rund sechs Millionen Menschen mindestens eine Form materieller oder sozialer Ernährungsarmut. Besonders betroffen sind nicht nur Menschen, die statistisch gesehen arm sind: 60 % der Betroffenen überschreiten nämlich die Armutsgrenze des Istat. Das zeigt, dass nicht nur absolut arme Menschen, sondern auch jene in relativer Armut betroffen sind. Es gibt auch einen direkten Zusammenhang mit dem Bildungsgrad. Ein niedriger Bildungsabschluss verdoppelt das Risiko, während eine Hochschulbildung das Risiko um etwa 25 % vermindert. Laut der Studie sind in Südtirol immerhin etwa 4,2 % der Bevölkerung betroffen, das sind fast 19 000 Personen. Dabei sind alle Altersstufen betroffen. Es sind nicht nur die älteren Semester davon betroffen, sondern in einem höheren Ausmaß auch die Altersgruppe der 25- bis 44-Jährigen. Diese Zahlen sollte man genauer betrachten, denn es handelt sich um Menschen im Berufsalter. Alleinerziehende, Migranten, sowie Menschen mit prekären Arbeitsverhältnissen und einem geringen Bildungsstand sind in der Mehrzahl. Bei den Arbeitsverhältnissen und bei der Bildung könnte man sicherlich konkrete Gegenmaßnahmen ergreifen.

    Durch die steigenden Lebensmittelpreise aufgrund der Inflation hat sich die Lage weiter verschärft. Oft können sich Betroffene nur mehr kostengünstige und nährstoffarme Lebensmittel leisten. Eine ausgewogene und gesunde Ernährung ist für sie häufig nicht möglich. Das kann zu langfristigen gesundheitlichen und sozialen Folgen führen, was längerfristig wiederum die Sanität belastet.

    Neben ökonomischen Faktoren spielen auch die Wohnverhältnisse eine wichtige Rolle: Hohe Wohnkosten und schlechte Wohnbedingungen zwingen Menschen oft dazu, einen Kompromiss zwischen Miet- und Ernährungskosten zu machen. Kleine, überfüllte oder unzureichend ausgestattete Wohnungen behindern zudem die Zubereitung und den gemeinschaftlichen Genuss von Mahlzeiten.

    Lebensmittelarmut ist somit ein Ausdruck sozialer Ungleichheit, der nicht nur die notwendige Ernährung, sondern auch Aspekte wie Würde, soziale Teilhabe und psychisches Wohlbefinden betrifft. Eine umfassende Betrachtung dieses Problems erfordert daher nicht nur die notwendige Verteilung von Lebensmitteln. Auch sollte man die soziale und psychologische Dimension berücksichtigen, um gerechtere und wirksamere Politiken zu entwickeln, die die Notwendigkeit einer angemessenen Ernährung als fundamentales gesellschaftliches Recht in den Mittelpunkt stellen. Dabei sollte man allerdings nicht vergessen, dass der Hunger in der Welt zunimmt, obwohl genügend Lebensmittel vorhanden sind. Eine ausreichende Ernährung ist ein globales Menschenrecht – nicht nur in wohlhabenden Ländern, sondern weltweit. Allerdings entfernen wir uns immer weiter von diesem Ziel.

    Es gibt jedoch gravierende Unterschiede zwischen den Ländern. Bei uns wird die Lebensmittelarmut zunehmend nicht nur als ökonomisches Problem betrachtet, sondern auch als Faktor, der das tägliche Leben und die gesellschaftliche Teilhabe der Betroffenen prägt. In vielen armen Ländern hingegen sind derlei Überlegungen sinnlos, denn dort geht es meist nur ums nackte Überleben.

    Ein Beitrag von Alfred Ebner