Wirtschaft | Plattform 2030

Ein Nachmittag mit Höhen und Tiefen

Wohin mit der Wirtschaft Südtirols in Zukunft? Galateo lud Experten ein, die den Mitgliedern der Wirtschaftsplattform 2030 Gesprächsstoff zur Thematik lieferten.
Wirtschaftsplattform Piattaforma Economia 2030
Foto: Landespresseamt
  • Vizelandeshauptmann Marco Galateo lud am Freitagnachmittag in den Palais Widman in Bozen ein zur ersten Vollversammlung der „Piattaforma Economia 2030 Wirtschaftsplattform“. „Der erste Stein wird gelegt“, so Galateo, um ein politisches Werkzeug für Entscheidungen der Landesregierung zur Zukunft der Südtiroler Wirtschaft aufzubauen, mit dem Segen des Fratelli d’Italia-Ministers für Unternehmen und Made in Italy Adolfo Urso – der per Post grüßte. Ziel der „Arbeitsgruppe mit beratenden Funktionen“ sei die Erarbeitung eines Wirtschaftsplans, also eines strategischen Dokuments, bis Ende 2026, betont der Vizelandeshauptmann.

    Impulsvorträge bei dieser ersten Plenarsitzung kamen gestern vom Direktor der Freien Universität Bozen, Alex Weissensteiner, von Francesco Billari, Direktor der Universität Bocconi in Mailand, Nicola Brandt, Direktorin des OECD-Zentrums in Berlin,
    Angela Stefania Bergantino, Professorin an der Universität Bari, Andrea Giannotti, Leiter des Forschungsbüros der Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore und von der Direktorin der Abteilung Wirtschaftsentwicklung, Manuela Defant. Ein Nachmittag mit Höhen und Tiefen. Ein Beispiel einer Höhe war Alex Weissensteiner, der zu Beginn, als die Aufmerksamkeitsspanne noch am größten war, das Problem des unleistbaren Wohnens in Südtirol an Zahlen und Fakten festmachte. Beispiel einer Tiefe hingegen war Bocconi-Direktor Billari, der in seinem Vortrag über Demografie und Humankapital kontextlos auf in Italien ansässige Ausländerinnen und Ausländer aufmerksam machte. Nichtsdestotrotz warf der Nachmittag diskussionswürdige Themen auf das Plateau.

  • Unleistbares Wohnen

    Direktor Weissensteiner widmete sich einem Thema, das „der Universität und ihm am Herzen liegt“ und das er als zentral für die Zukunft der Wirtschaft Südtirols bezeichnete: den Immobilienpreisen. Ein Wohnen sei im Universitätskontext längst zu einem einschneidenden Standortfaktor geworden. Die Universität könne zwar auf wachsende Nachfrage verweisen, habe aber Schwierigkeiten, Studierende, Absolventinnen und Absolventen sowie Fachkräfte in Bozen zu halten, weil Wohnraum kaum leistbar sei. 71 Prozent aller Familienkredite im Land dienen Wohnzwecken, die Kreditlaufzeiten steigen. Auf seinen Grafiken zeigte Weissensteiner, dass Südtirol im Verhältnis von Einkommen zu Immobilienpreisen italienweit an der Spitze steht: „Schauen wir uns die Regionen Italiens an, sehen wir klar: Bei uns ist der Immobilienpreis am höchsten.“

     

    Auch im internationalen Kontext ist Südtirol extrem teuer“

     

    Auffällig sei auch, dass Immobilien zunehmend als Kapitalanlage gehalten werden, statt als Wohnraum genutzt, oder verkauft zu werden. Weissensteiner warnte vor den sozialen und wirtschaftlichen Folgen: hohe Ungleichheit zwischen Immobilienbesitzenden und Mieterinnen und Mietern, eine Umverteilung von Jung zu Alt, die Gefahr „Bankenkrise“ aufgrund von Krediten mit hoher Hebelwirkung, eingeschränkte Mobilität und sinkende Produktivität. Auch der Fachkräftemangel sei direkt mit dem unleistbaren Wohnen verbunden. Sein Fazit fiel deutlich aus: Hohe Immobilienpreise seien kein Zeichen von Wohlstand, sondern ein strukturelles Risiko. „Auch im internationalen Kontext ist Südtirol extrem teuer, betrachtet man das Verhältnis von Immobilienpreis und Einkommen, und wir sollten ein Interesse daran haben, dieses Thema anzugehen“, schließt Weissensteiner ab.

  • Keine Rede von Humankapital

    Der Universitätsrektor der Bocconi Universität in Mailand, Francesco Billari, über das Thema der Demografie und des Humankapitals referieren. Dazu skizzierte er „fünf Rekorde Italiens“: Italien verzeichne mit 83,4 Jahren die höchste Lebenserwartung seiner Geschichte, gleichzeitig aber auch mit 1,18 Kindern pro Frau die niedrigste Geburtenrate. Rund 27 Prozent der Bevölkerung seien über 65 Jahre alt, nur 12 Prozent unter 14 Jahren. Erstmals in der Geschichte haben 31,6 Prozent der 25–34-jährigen Italienerinnen und Italiener einen Hochschulabschluss, aber es habe noch nie in der Geschichte so viele ansässige Ausländer – „stranieri residenti“ gegeben. Mit ernster Miene erklärte er ergänzend dazu, dass man auf knapp siebeneinhalb Millionen komme, rechne man die „Eingebürgerten“ dazu.

    Südtirol schneide im Vergleich dazu wie folgt ab: Wir verzeichnen eine Lebenserwartung von 84,6 Jahren und eine Geburtenrate von 1,51 Kindern pro Frau und parallel dazu auch mehr junge Menschen, jedoch weniger Studientitel und mehr Ausländer. Was genau mit diesen Zahlen jedoch anzufangen sei, wo genau die ökonomischen Zusammenhänge liegen oder wie hier der Begriff des Humankapitals hineinpasst, sind offene Fragen, die im Raum stehengelassen wurden. Anstelle eine differenzierte Betrachtung, eine Abwägung von Herausforderungen und Chancen anzustoßen, die der demografische Wandel mit sich bringt, wollte Billari das Publikum wahrscheinlich daran erinnern, dass man sich auf einer Fratelli-d’Italia-Veranstaltung befand.

  • Südtirols Wirtschaft – Chancen und Herausforderungen

    Die weiteren Referentinnen und Referenten weiteten den Fokus auf Südtirols Rolle im größeren wirtschaftlichen Gefüge. Unter dem Titel „Südtirol in der globalen Wirtschaft – Herausforderungen und Chancen“ analysierte Nicola Brandt die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Europas: Politische Unsicherheit, Energiepreise und Zollkonflikte belasteten das Wachstum – dabei seien die Auswirkungen von Zollerhöhungen „noch gar nicht vollständig spürbar“. Die Provinz Bozen werde von diesen Handelskonflikten jedoch wenig tangiert. Um in Zukunft jedoch wirtschaftlich robust zu bleiben, lohne es sich für die Provinz, den Blick für „Dienstleistungsexporte“ noch etwas zu weiten. Der Fachkräftemangel bleibe die größte Schwachstelle. Weiterbildung und lebenslanges Lernen seien hier entscheidend, um dem Problem entgegenzuwirken.

     

    „Die Zollerhöhungen sind noch gar nicht vollständig spürbar“

     

    Angela Stefania Bergantino von der Universität Bari beschrieb Südtirol als eine der stärksten, aber auch als sehr verletzliche Volkswirtschaften Europas. Tourismus, Landwirtschaft und Bauwesen würden den Wohlstand tragen, machen das Land aber auch stark von ihnen abhängig. Sie plädierte für eine Energiewende, Innovation und nachhaltige Mobilität – und sah im demografischen Wandel die Chance für eine „Wirtschaft des Wohlbefindens einer alternden Gesellschaft“.

    Zum Abschluss warnte Andrea Giannotti vom Forschungszentrum der Wirtschafts- und Finanzzeitung Il Sole 24 Ore unter anderem davor, dass die Gefahr einer erneuten globalen Pandemie unterschätzt werde, KI unsere Jobs klauen werde und Wachstum ohne soziale Balance keine Zukunft habe, denn die Reichen bekommen immer mehr und die Armen immer weniger. Wenigstens könne bis 2050 vermutlich Krebs geheilt werden. Anregende Diskussionsfragen, die manchmal schmunzeln ließen, erinnerten jedoch an eines besonders: dass man sie leider nicht per Handzeichen im Plenum diskutierte.

  • Wirtschaftsplattform 2030: Wohin mit der Wirtschaft Südtirols in Zukunft. Experten und Expertinnen lieferten den Plattformmitgliedern Gesprächsstoff zur Thematik. Foto: LPA
  • Fazit: Höhen und Tiefen, aber guter Diskussionsstoff

    Wenngleich einige Impulsvorträge wohl gehaltvoller waren, als andere, schadet es sicher nicht, über einige der gestrigen Themen der 2030-Wirtschaftsplattform nachzudenken. Es wurden wissenschaftliche Indikatoren für aktuelle Problemlagen dargebracht, triftige Probleme, wie das leistbare Wohnen und der Fachkräftemangel eingekreist und einige praktische Lösungsansätze von den Expertinnen und Experten vorgestellt. Impulse, die sehr wohl zu interessanten Diskussionen unter den Plattformmitgliedern anstoßen könnten, darunter Vertreterinnen und Vertreter von Noi Techpark, IDM, Uni Bozen, Messe Bozen, Wifo der Handelskammer, Verbraucherzentrale und Coopbund. Ergebnisse daraus bleiben noch abzuwarten, vielleicht kann anlässlich des nächsten Treffens im Jänner 2026 mehr dazu gesagt werden.