Kultur | Salto Afternoon
Zeit als Geld?
Foto: Koen Reerink - Francesco Ferrero and Sven Kammerer - Sofia Scroppo
Das „[Non] ho tempo fest“ könnte dem einen oder anderen schon aufgefallen sein, über die Stadt verteilt stößt man immer wieder auf die von Designstudent:innen ausgearbeiteten Plakate. Das dreitägige Event in Zusammenarbeit mit der in Gries anzutreffenden „Banca del Tempo“ und dem Amt für Statistik und Zeiten der Stadt Bozen, für welches man sich auch vorab einen Gutschein zu einer halben Stunde sichern konnte, beginnt heute um 15 Uhr. Ein halbe Stunde wovon? Das Prinzip der Zeitbank, in vielen europäischen Städten und auch in Bozen anzutreffen sieht nicht etwa vor, dass Waren oder Dienste gegen Geld in Anspruch genommen werden können, es wird Zeit getauscht, im Verhältnis eins zu eins. Während ein Mitglied vielleicht gerade eine Stunde Zeit hat, seine Nähfertigkeiten zur Verfügung zu stellen, braucht es im nächsten Moment etwa Hilfe mit seinem Computer von einem anderen Mitglied. Die „Banca del Tempo“, die im Kehl’s Club in der Bozner Goethe-Straße ihre Zelte aufschlägt bietet Nähen, Stricken, technische Unterstützung, Ratschläge zur Pflanzenpflege, Backen, Kochen und Meditation an.
Als Forschungsaktion und Teil ihres Abschlussprojekts in Eco-Social-Design wollen die Studentinnen Eliza Zimmermann und Nicole Faiella Zeit und Pflege in den Vordergrund rücken und nach Methoden suchen, durch welche auch Menschen mit wenig Zeit in das Konzept einer Zeitbank passen können. Am Ende ihrer Tätigkeit hoffen die beiden, dem Amt für Zeiten ein Manifest mit Vorschlägen zu einer Langfristigen Transformation anbieten zu können.
Salto.bz: Frau Zimmermann, Frau Faiella, seit einiger Zeit kommt der Begriff Zeitpolitik in Mode. Ist was sie tun, politisch?
Eliza Zimmermann: Aus praktischer Sicht denke ich, ja. Wir arbeiten auch mit dem Amt für Statistik und Zeiten der Stadt zusammen. Abgesehen von dieser Partnerschaft ist der Zugang zu Zeit vom Aufbau und der Organisation unserer Gesellschaft abhängig. Zeit wird als Thema in der Politik immer populärer. Es entsteht ein Netzwerk von Zeitnutzungs Büros und Konferenzen zum Recht auf Zeit. Natürlich ist zu hinterfragen, wie radikal städtische Ämter in ihrem Nachdenken über Zeit sein können. Wir haben keine Zeit, weil wir in einem wirtschaftlichen, politisch gestützten System leben, das uns nicht erlaubt, etwas zu tun, das keinen ökonomischen Nutzen schafft und ich denke, das spüren alle.
Abgesehen von den bereits gelisteten Talenten: Was könnten Sie sich vorstellen würde zu einer Zeitbank passen?
Zimmermann: Unsere Vorstellung davon, was mit einer Zeitbank möglich wäre, ist - auch aufbauend auf Ihre erste Frage - dass sie, neben dem anbieten von handwerklichen und kreativen Arbeiten, auch zu einem Netzwerk wechselseitiger Unterstützung im Alltag werden könnte.
Nicole Faiella: Ich füge hinzu, dass über die Aktivitäten, welche die Zeitbank bereits ausübt, wir bei diesem Event auch erforschen wollen, was besonders dringlich wäre, in eine solche Institution aufgenommen zu werden: Grundbedürfnisse und Dinge des Alltags, wie Eliza gesagt hat. Wir werden die Teilnehmer dazu auch befragen.
Zimmermann: Es gibt in anderen Ländern Zeitbanken, welche einen substanziellen Teil der lokalen Wirtschaft ausmachen. Die Zeitbank Helsinki bietet sogar Gemeindeangestellten die Möglichkeit, Mitglied zu werden und ihre Dienste im Tausch gegen Zeit statt Geld anzubieten. Unsere Abschlussarbeit wird Zeit und Pflege zum Thema haben und diese Veranstaltung ist für uns eine Möglichkeit zu erforschen, wie diese Zeitbank zu einer substantielleren, auf Solidarität basierenden Alternativ-Ökonomie ausgebaut werden könnte.
Als Teil Ihrer Plakatkampagne für das Event haben Sie auch Gutscheine für eine halbe Stunde gedruckt. Was lässt sich mit wenig Zeit bei einer Zeitbank machen?
Zimmermann: Wir haben darüber diskutiert, was wir Menschen empfehlen würden, die nur fünf Minuten Zeit haben, am Event teilzunehmen. Einer unserer Kollegen meinte, dass es dann vielleicht das beste sei, sich fünf Minuten hinzusetzen und zuzusehen. Man könnte sich etwas Zeit nehmen um darüber nachzudenken, wie wir mit unserer Zeit umgehen.
Faiella: Das Schlüsselwort ist Hinterfragen. Das wollen wir in besonderer Weise anstoßen.
Gibt es darüber hinaus noch Ziele?
Zimmermann: Ein idealistisches Ziel dieses Events wäre es, wenn, nicht direkt nach dem Event, sondern etwas später, ein Weg gefunden würde, die Zeitbank so zu erweitern, dass sie auch für vielbeschäftigte Menschen nutzbar wird. Oder, wenn sich die Zeitbank nicht erweitern lässt, ein neues Netzwerk zu schaffen.
Bleiben wir beim Idealismus: der 1 zu 1 Wechselkurs von Zeitbanken ist einerseits idealistisch, andererseits nicht: Wenn wir die Gesellschaft betrachten, sind die Menschen mit wenig Geld, die mit wenig Zeit: Sie müssen länger arbeiten, können sich wenig Urlaub leisten oder Hilfestellungen. Wie erreicht man diese Menschen?
Zimmermann: Das versuchen wir herauszufinden.
Faiella: Die Zeitbank ist konzeptuell ein schönes System, eine Idee. Aber bis jetzt sind die meisten Mitglieder, die wir gesehen haben älter, im Ruhestand und in gewisser Weise sehr privilegiert. Vielbeschäftigte Menschen verdienen oft auch am wenigsten. Wie können wir sie auf eine Weise in das System einbinden, die Zeit schafft. Wir haben noch keine Antwort darauf, hoffen aber, dass wir nach dem Projekt eine Idee haben, wie das System umgestellt werden könnte.
Zimmermann: Je mehr wir zu tun haben, desto mehr zahlen wir anderen Menschen für essenzielle Dienste, weil wir selbst nicht die Zeit haben und unser Umfeld auch nicht. Vielleicht muss man keinen dritten Job annehmen um Geld zu verdienen, wenn es einige dieser Dienste gibt, ohne dass man für sie zahlen muss.
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