Loibl, Mann und der Tod in Venedig
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SALTO: Herr Loibl, wenn Sie in die Rolle des Protagonisten schlüpfen, was ist der reizvollste oder schwierigste emotionale Zustand, den Sie auf der Bühne vermitteln müssen?
Thomas Loibl: Thomas Mann führt Gustav Aschenbach wirklich, wie in einer griechischen Tragödie durch alle Phasen eines solchen Schicksals und der Moment im letzten Abschnitt der Erzählung, wenn Aschenbach aus einem fieberhaft rauschartigen Albtraum erwacht, berührt mich immer am meisten.
Thomas Mann findet hier eine ganz besondere Sprache für die Gedanken und Gefühle Aschenbachs.
Die Novelle ist über 100 Jahre alt. Welche Bedeutung hat Gustav von Aschenbachs Geschichte für das heutige Publikum im Jahr 2025?
Die Auseinandersetzung mit dem Älterwerden und auch mit dem Tod ist eine immer wiederkehrende nie aufzulösende Faszination in unserem Leben und somit auch in allen Formen der Kunst. Thomas Mann findet hier eine ganz besondere Sprache für die Gedanken und Gefühle Aschenbachs und erfindet eine so außergewöhnliche Kulisse, dass wir unmittelbar hineingezogen werden in diese tragische Erzählung. Wie er mit großer Empathie aber auch Ironie, Witz und sogar leichtem Spott seinem Schriftstellerkollegen durch die immer enger werdenden Gassen Venedigs folgt, zeugt schon von einer mutigen Selbstreflexion und einer großen menschlichen Kenntnis. Zeitlos. Ein Klassiker. Auch noch in 200 Jahren.
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Der Hintergrund
Ein Jahrhundert und anderthalb ist vergangen, seit Thomas Mann in Lübeck das Licht der Welt erblickte. Doch in seinen Zeilen pulsiert eine Zeitlosigkeit, die bis heute fasziniert – nicht zuletzt in der „Der Tod in Venedig“. Im Zentrum steht Gustav von Aschenbach, der alternde Schriftsteller und Witwer, dessen feinfühliges Porträt sich in der Lagunenstadt entfaltet. Dort beginnt die Geschichte einer verbotenen Obsession: ein Fiebertraum aus Kunst, Alter und Schönheit, der in der tragischen Liebe zu einem halbwüchsigen Knaben sein Schicksal findet. Die von Dekadenz und Verfall geprägte Kulisse Venedigs wurde bereits 1971 von Luchino Visconti unvergesslich verfilmt – ein kultureller Fixpunkt der Weltliteratur. Nun wird dieses Meisterwerk erneut zum Leben erweckt. Der gefeierte Charakterdarsteller Thomas Loibl unternimmt die mutige Reise, Aschenbachs innere Zerrissenheit nicht nur zu sprechen, sondern sie zu spielen. Begleitet vom sanften Saitenspiel Perry Schacks, webt Loibl einen Dialog aus Wort und Klang, der den Wellengang am Lido nachahmt und die tiefsten Schichten von Manns Werk freilegt.
Es liest: Thomas Loibl
Gitarre: Perry Schack
Bozen, Waltherhaus Dienstag, 2. Dezember 2025,19 Uhr
Meran, Stadttheater Mittwoch, 3. Dezember 2025, 19 Uhr
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Was hat Sie persönlich an „Der Tod in Venedig" gereizt?
Vor allem die Sprache Thomas Manns. Auch wenn sie einem manchmal mit sehr langen Sätzen entgegenkommt, ist sie doch von so einer enormen, treffenden Genauigkeit in der Beschreibung eines Momentes oder eines Gedankens, dass ich immer wieder staune, über diese Könnerschaft. Zumal er sie meist im richtigen Augenblick auch durch Witz und einem distanzierten Spott zu brechen vermag. Ideal für eine Lesung finde ich.
Wie darf man sich diesen Dialog aus Wort und Klang vorstellen?
Wir wollten die Sprache Thomas Manns, die in sich ja schon eine hohe Musikalität hat, noch unmittelbarer gestalten, indem wir neben rein musizierten Stücken als Kapiteleinleitungen auch atmosphärische Untermalungen oder Leitmotive für einzelne Figuren hörbar machen bis hin zu perkussiven Elementen. Dabei ergibt sich eine Art Dialog zwischen dem Gitarristen Perry Schack und mir als Erzähler, weil die Musik immer schon ein wenig voraus ahnt oder sogar schon weiß, was als Nächstes passieren wird, treibt sie die Geschichte auch voran. Und dann gibt es dazu noch eine ganz entscheidende Figur in dieser Erzählung, einen seltsamen Gitarristen, der im Garten des Hotels aufspielt als ein weiterer Bote in dieser Tragödie des Gustav von Aschenbach.
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Zur Person
Thomas Loibl, der auf der Bühne des Wiener Burgtheaters oder Münchner Residenztheaters große Erfolge feierte und auch mit Kino- und TV-Produktionen wie „Toni Erdmann“, „Die Wannseekonferenz“ oder „Charité“ bekannt wurde, beweist bei Lesungen immer wieder sein großes Talent als Rezitator und Interpret mit Sinn für feinen Humor.
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