Kultur | CANALESCUOLA

Ein Klassenzimmer in der Natur

Der Kindergarten im Wald
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
1.png
Foto: Canalescuola

Die Sozialgenossenschaft Canalescuola wurde vor 15 Jahren in Bozen mit dem Ziel gegründet, Kindern und Eltern innovative Pädagogikprojekte näher zu bringen. Vorsitzender Dr. Emil Girardi spricht über die Tätigkeiten der Genossenschaft und Projekte, die ihm ganz besonders am Herzen liegen, eines davon ist der Waldkindergarten.

Herr Girardi, wie gestaltet sich ein gewöhnlicher Tag im Waldkindergarten? Welche Probleme können sich im Kindergartenalltag ergeben (z.B. Regen und Schnee)?

Viele Menschen können sich anfangs nicht viel unter einem Waldkindergarten und seinem Ablauf vorstellen. Da wir ein Netzwerk mit verschiedenen Waldkindergärten sind und die Erzieher individuell den Unterricht gestalten können, gilt für alle, dass der „Unterricht“ zwischen 8:00 und 9:00 Uhr morgens anfängt und spätestens um 14:00 Uhr aufhört. Das liegt vor allem daran, dass wir es mit kleinen Kindern zu tun haben. Kleine Kinder verbrauchen im Wald wesentlich mehr als Kinder in einem „normalen“, traditionellen Kindergarten, aber auch, weil kleine Kinder das große Bedürfnis haben, noch bei ihren Eltern zu bleiben. In unserer Arbeit stehen das Kind und seine Bedürfnisse im Vordergrund. Das ist in erster Linie der Aufbau einer gesunden Eltern-Kind-Beziehung.
Schließlich beginnt der Tag mit dem Zusammentreffen an einem fest definierten Treffpunkt. Nachdem alle Kinder eingetroffen sind, versammeln sie sich alle gemeinsam an einem Treffpunkt, wo sie sich alle begrüßen und das Erlebte vom vorigen Tag erzählen. Erst dann können die Kinder ihren Interessen frei nachgehen, frei nach dem Entdeckungsprinzip. Dabei greift der Erzieher nicht aktiv in den Spielalltag des Kindes ein, sondern das Kind kann frei entscheiden, wann und welchen Tätigkeiten es nachgehen will. Spielen, musizieren, was es zum Mittagessen essen möchte, die Kinder können alles frei wählen.

Auf die Frage, was im Falle von schlechtem Wetter passiert, ist es für Waldkinder das A und O, die richtige, auf die Jahreszeit abgestimmte Kleidung zu tragen. Kinder lieben es, im Freien zu spielen, in Pfützen zu springen und auch mal dreckig oder nass zu werden. Sobald es z.B. im Winter zu kalt wird, wärmen sie sich in einem in jedem Waldkindergarten aufgebauten Tipi und machen ein Feuer. Dort können sich die Kinder aufwärmen, gemütlich beisammensitzen und Gedanken austauschen.

Viele fragen sich wie die Kinder physisch mit der Frischluft und den manchmal schwierigen Wetterbedingungen umgehen, ob sie häufig krank werden, da sie dem Regen und Schnee ausgesetzt sind. Erfahrungsgemäß kann ich eine solche Problematik nicht beobachten, im Gegenteil, durch das Spielen in der frischen Luft werden die Abwehrkräfte gestärkt und generell reagieren die Kinder nicht so empfindlich auf Wetterveränderungen.

Im Waldkindergarten sind die Kinder an keine Regeln gebunden und können sozusagen machen, was und wann sie Lust haben. Fällt es diesen Kindern nicht schwer, sich in der späteren Schulwelt an Regeln zu halten und genaue Abläufe zu befolgen?

Ella Flatau aus dem dänischen Sölleröd gründete in den 1950er Jahren den ersten Waldkindergarten. Später schlossen sich interessierte Eltern zusammen und gründeten eine Initiative, die verschiedene Waldkindergärten ins Leben rief. Die Waldpädagogik sprich die Waldkindergärten bieten eine Alternative zu Regelkindergärten. Auch wenn die Kinder den Ablauf ihres Tages frei entscheiden dürfen, heißt es nicht, dass sie keine Regeln befolgen müssen. Neben den waldbedingten Regeln gibt es auch Regeln für das gemeinschaftliche Zusammenleben. Kinder im Waldkindergarten sind mehr als andere auf gegenseitige Hilfe angewiesen. Dies wirkt sich positiv auf die Kooperations- und Teamfähigkeit und somit auf das Sozialverhalten der Kinder aus. Alles Vorteile, die den Kindern im späteren Leben von Nutzen sein können.

Eure Waldkindergärten gibt es in ganz Italien. Einer Niederlassung in Südtirol würde nicht mehr viel im Wege stehen, oder doch?

In der Tat ist eine Niederlassung in Südtirol ein nicht allzu leichtes Unterfangen. In erster Linie, und das betrifft nicht nur Südtirol, sondern auch ganz Italien, werden Schuleinrichtung prinzipiell als unabhängige Strukturen geführt, d.h. jeder Kindergarten ist für sich selbst zuständig, hat eine eigene Verwaltung und entscheidet über Projekte. Es fällt den Eltern schwer, sich einem Netzwerk von Kindergärten anzuvertrauen, da es ihnen an persönlichem Bezug zu solchen Projekten fehlt.
Ein weiterer Grund ist, dass Menschen mit deutscher Muttersprache häufig glauben, wir wären eine rein italienischsprachige Genossenschaft, obwohl wir unseren Rechtssitz in Bozen haben, nicht zuletzt auch wegen unseres Namens, Canalescuola.
Zurzeit versuchen wir, auch mit öffentlichen Strukturen zusammenzuarbeiten und vielleicht wird uns in Zukunft die Möglichkeit gewährt, unser Projekt auf Südtiroler Boden anzusiedeln.

Was sind eure Projekte für die Zukunft?

Ein weiteres Projekt, das uns besonders am Herzen liegt, ist eine Art Fortführung des Waldkindergartens in die Grundschule, oder sozusagen die Förderung des individuellen Lernens. Im Waldkindergarten folgen die Kinder dem Entdeckungsprinzip, frei von allen Barrieren. In der Grundschule bietet der Erzieher die Rahmenbedingungen an und die Kinder können sich individuell und frei darin bewegen. Im Fokus liegt die Individualität eines jeden Kindes. Das Projekt mit den Namen Creativity Garden arbeitet mit einer experimentellen Idee einer neuen Schule, mit methodisch-didaktischer, experimenteller Pädagogik.
Ein Schwerpunkt liegt in der Strukturierung der Lerneinheiten in verschiedene „Zonen“, wie beispielsweise die Mathematik-Zone oder die Geographie-Zone. Die Kinder können selbst entscheiden, wann und welcher Aktivität sie nachgehen möchten. Diese Bereiche geben den Kindern verschiedenster Leistungsstufen Lernmaterial an, d.h. Kinder verschiedenster Klassen treffen sich an einem Ort. Schlussendlich hoffen wir, als Schulnetzwerk auch in Südtirol Fuß fassen zu können und die Eltern von unserem Projekt zu überzeugen.