Kultur | Salto Afternoon
Magere Kühe und „falsche“ Freunde
Das zweisprachige Zweipersonenstück unter Regie von Flora Sarrubbo mit dem Untertitel „Eine Südtiroler Geschichte“ führt uns bei seiner Uraufführung heute Abend zurück ins Jahr 1926. Der Witwer Georg (gespielt von Georg Kaser) trifft in dem fiktiven, in einen historischen Rahmen eingebetteten Stück auf den von Iocolano gespielten, in Südtirol neu angekommenen Aurelio, einen jungen Beamten. Die beiden trennen Muttersprache und Generation, gemein ist ihnen, dass sie Familienmitglieder im Krieg verloren haben. Es ist eine Begegnung unter besonderen Vorzeichen.
Salto.bz: Herr Iocolano, warum haben Sie bei der Auswahl des Titels auf den stehenden Begriff „Vacche magre“ gesetzt, der beim deutschsprachigen Publikumsteil weniger bekannt sein dürfte?
Gianluca Iocolano: Im Stück gibt es einen Moment, in welchem die Bibelstelle zitiert wird, von der sich der italienische Ausdruck abgeleitet hat.Während man im Italienischen von „tempi di vacche magre“ spricht, sind es im Deutschen nur „magere Zeiten“. Das hatte aus Sicht der Wiedererkennung genug Kraft und genau darum geht es: um jene Jahre nach dem Krieg, in denen diese Region für viele Italiener eine Möglichkeit zum Neuanfang bot, während es für die deutschsprachige Bevölkerung noch magere Zeiten waren. Das hat mich zu diesem Titel inspiriert.
Für das erste Theaterstück aus Ihrer Feder haben Sie ein heikles Thema gewählt. Waren Sie an einer leichteren Aufgabe nicht interessiert?
Ich schreibe bereits viel für meine Kabarett-Auftritte und behandle damit immer Themen auf eine leichte Weise. Diesmal ist der Fokus ein weiterer und ich erfülle mir damit einen Wunsch, den ich schon länger hege: jenen, eine gemeinsame Arbeit mit Georg Kaer umzusetzen. Für uns wäre es einfach gewesen ein kabbaretthaftes, unterhaltsames Stück zusammen zu schreiben, aber das wäre für uns weniger anregend gewesen, da wir bereits an anderen Projekten dieser Art arbeiten.
Meine Großeltern leben in den Madonie, dem einzigen Gebirgszug Siziliens neben der Gegend um den Ätna. Das scheinen ganz andere Gegenden als hier zu sein, aber es gibt auch Gemeinsamkeiten.
Von welcher Inspiration ging Ihr Schreiben aus?
Was mich am meisten dazu angeregt hat ist der Umstand dass, sich in unseren Gesprächen immer zeigte, dass - wenngleich er Südtiroler einer anderen Generation ist - es Gemeinsamkeiten gibt. Bei seinen Eltern und meinen Großeltern aus Sizilien etwa, was mehr mit der ähnlichen Beschaffenheit der Landschaft zu tun hat. Meine Großeltern leben in den Madonie, dem einzigen Gebirgszug Siziliens neben der Gegend um den Ätna. Das scheinen ganz andere Gegenden als hier zu sein, aber es gibt auch Gemeinsamkeiten. Die gemeinsame Vergangenheit, die wir nur oberflächlich kennen, auf beiden Seiten der nunmal nach wie vor recht ausdifferenzierten Sprachgruppen in der Region. Dieser Text sollte da nachforschen: Wenngleich es Eroberer und Eroberte gegeben hat, kam es auf der Ebene der einfachen Leute - wenn man mal nicht auf die Politik blickt - zu Begegnungen. Es gefiel mir, darauf eine andere Perspektive zu eröffnen, wenngleich diese Sache nach wie vor sehr stark politisiert wird. Vor einigen Tagen hat etwa die Südtiroler Freiheit mit einer Aktion auf diese Jahre, die ich behandle Bezug genommen. Es wird noch viel darüber gesprochen, es sind schwere Themen. Wenig wird darüber gesprochen, dass die, welche nach Südtirol kommen um zu arbeiten auch auf „autochthone“ Personen trafen mit denen sie nach einiger Zeit Karten spielten.
Sie haben angesprochen, dass es in Ihrer und Kasers Familie Gemeinsamkeiten gibt. Welche unerwarteten Gemeinsamkeiten sind zwischen den beiden Figuren in Ihrem Stück zu erkennen?
Auch der junge Protagonist kommt aus einem Gebirgsdorf im Toskanisch-Emilianischen Apennin und kommt in ein, nicht spezifiziertes Gerbirgsdorf in einem unserer Täler. Durch Georg, der das seltsam findet, dass Italiener so zahlreich in die Provinz kommen und Wasserkraftwerke bauen wollen, wenn es vieles auch dort gibt, kommt es zu einer Konfrontation. Im Landwirtschaftlichen gibt es viele Überschneidungen, aber zu einer größeren Annäherung kommt es dadurch, dass beide Personen aus ihrer Familie verloren haben. Auch wenn der Sohn des einen und der Bruder des anderen an verschiedenen Fronten gekämpft haben, sind sie doch beide nicht aus dem Krieg nach Hause gekommen. Der Krieg hat ihnen beiden etwas genommen, statt zu einem „Sieg“ zu führen.
Im Mai schrieb Georg Mair in der FF: „Gianluca Iocolano ist von Beruf Provokateur.“ Provozieren Sie mit diesem Stück? Wenn ja, wen und wodurch?
Nein, ich glaube nicht mit diesem Stück zu provozieren, da es sich um keine wahre Geschichte oder Adaption einer handelt. Ich habe sie mir ausgedacht, auf den realen geschichtlichen Kontext Bezug nehmend. Das provokanteste an dieser Arbeit ist wahrscheinlich, dass das Stück wirklich zweisprachig ist, fast 50 - 50. Das wollen viele machen, es wird viel darüber gesprochen, die Zahl der Werke in denen das gelingt ist wirklich klein. Das Publikum schätzt das aber und deswegen wagen wir dieses Experiment. Das ist keine gewollte Provokation.
Welche neuen Perspektiven auf Ihren eigenen Text hat Ihnen die Arbeit mit der Regisseurin Flora Sarrubbo eröffnet?
Flora hat eine großartige Arbeit gemacht, was den inneren Wandel der beiden Figuren anbelangt und es ist ihr eine sehr tiefschürfende Lektüre des Textes gelungen. Für mich war das sehr interessant, da ich zum ersten mal der Dramaturg und ein Darsteller auf der Bühne bin. Manchmal gab mir Flora Anweisungen zum Text, auf die ich selbst nicht gekommen wäre. Sie hat versucht, eine Leseweise des Textes zu schaffen, die nicht eindeutig ist und hat dem Stück einen Rhythmus gegeben, der für ein Publikum besser geeignet ist.
Beim Schreiben muss ich darauf achten, dass ich nicht immer den nächsten Gag suche, aber es gibt dafür eigene Momente.
Am bekanntesten sind Sie wahrscheinlich als Schauspieler und Moderator, im letzten Jahr haben Sie sich zum ersten Mal als Stand-Up Comedian versucht und nun treten Sie als Theaterautor in Erscheinung. Gefällt es Ihnen in neue „Rollen“ zu schlüpfen?
Mir gefällt es, weil man sich selbst so auf die Probe stellen kann und neue Facetten der Theaterwelt kennenlernt. Ich habe für viele Jahre auch organisatorisch im Bereich Theater gearbeitet, fürs Stabile, kenne also auch die Schreibtischarbeit. Dann habe ich als Regieassistent gearbeitet. Es ist ein berufliches Umfeld mit vielen Abstufungen, manchmal spiele ich auch kleinere Rollen in Filmproduktionen. Da weiß ich nicht, ob ich das Vollzeit könnte. Mir gefallen interessante Projekte und das war eine Herausforderung, die ich mit Georg angenommen habe. Ich weiß nicht, ob ich auf Auftrag schreiben oder für immer Prosa-Schauspieler sein könnte. Mir gefällt es, immer etwas anderes zu machen, um nicht von einer Sache ermüdet zu werden. Das ist eine Eigenart von mir.
Sie und Kaser sind bekannt als Darsteller, bei denen Humor immer einen Platz findet, wird das Stück mit einigen Lachern gewürzt sein?
Ja, es gibt da Momente. Natürlich konnten wir uns nicht vom Thema abwenden, aber ich denke, mein Schreiben richtet sich immer ein wenig an den Humor. Beim Schreiben muss ich darauf achten, dass ich nicht immer den nächsten Gag suche, aber es gibt dafür eigene Momente. Da hilft der Umstand zwei Sprachen auf der Bühne zu haben sehr: Es gibt Missverständnisse, das, was man im Englischen als „False friends“ bezeichnet (Anm. d. Red.: Worte, die in zwei Sprachen verschiedenes bedeuten, aber gleich klingen oder geschrieben werden, wie etwa das deutsche „Gift“ und das englische „gift“, das „Geschenk“ bedeutet). Für solche Situationen gibt es aber einen bestimmten Zeitpunkt.
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