„Eine Interpretation der Autoren“
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SALTO: Herr Zerzer, es ist unbestritten, dass es im März 2020 weltweit eine Ausnahmesituation gab und zu Beginn der Covid-19-Pandemie ein völliges Chaos herrschte, in dem es für alle schwierig war, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wenn man aber das Buch von Artur Oberhofer und Christoph Franceschini liest, dann wird klar, dass man in Südtirol eindeutig zu weit gegangen ist.
Florian Zerzer: Dass man „eindeutig zu weit gegangen ist“, ist eine – in meinen Augen sehr gewagte – Interpretation der Autoren. Zudem ist im Nachhinein immer leicht reden. Wenn wir uns aber an die damalige Zeit zurückerinnern: In den ersten Wochen der Pandemie wurde die Situation immer dramatischer, die Ereignisse haben sich fast stündlich überschlagen. Die Intensivstationen waren voll belegt und der Verbrauch der Persönlichen Schutzbekleidung (PSA) stieg ins Unermessliche. Wir hatten aber fast keine Schutzbehelfe mehr. Deshalb würde ich die Entscheidung, unser Personal mit Schutzbehelfen auszustatten, auf jeden Fall wieder so treffen.
Sie sagen heute: Ich würde alles wieder so machen?
Ja, ich würde die damalige Entscheidung, die Masken anzukaufen und zu verteilen, heute, wenn die Situation die gleich wäre, genauso treffen. Wir standen damals vor der Entscheidung, ohne Schutzkleidung zu arbeiten, weil nichts mehr da war, oder Masken zu verwenden, bei denen wir nicht sicher waren, ob sie dem Standard entsprechen. Es war eine schwierige Entscheidung, aber ich würde sie genauso wieder treffen. Für mich war es damals und auch heute die einzig richtige Entscheidung.
Ja, ich würde die damalige Entscheidung, die Masken anzukaufen und zu verteilen, heute, wenn die Situation die gleich wäre, genauso treffen.
Sie haben im „Corriere dell'Alto Adige“ erklärt: Ich werde das Buch „Das Geschäft mit der Angst“ nicht lesen?
Das Buch ist dick. 608 Seiten werde ich sicher nicht so schnell lesen. Ich werde mir das Buch natürlich anschauen, was ich aus Zeitgründen bisher nicht geschafft habe. Ich werde dabei genau prüfen, was die Autoren aus unseren Handlungen und Aktionen gemacht haben.
Warum ist es für Verwalter so schwierig, zuzugeben, dass man Fehler gemacht hat?
Auch hier wieder: Dass Fehler gemacht wurden, ist eine Interpretation der Autoren. Mehr nicht. Und ich tue mich absolut nicht schwer, einen Fehler zuzugeben. Ich mache – wie wohl jeder - täglich Fehler und das wird auch in Zukunft so sein. Darum geht es aber nicht. Die entscheidende Frage ist: War der Ankauf der Schutzbehelfe damals ein Fehler?
Das Buch ist dick. 608 Seiten werde ich sicher nicht so schnell lesen.
Sie sagen: Nein?
Ich sage nicht nur, es war kein Fehler, ich sage, es war die einzig sinnvolle Entscheidung.
Wir hatten keine Masken und Schutzanzüge mehr. Der Weltmarkt war leergefegt. Wir haben mit allen Mitteln versucht, Schutzbehelfe zu bekommen. Dabei wissen wir auch, was damals passiert ist: Andere Länder haben ganze Ladungen beschlagnahmt, so wurde etwa an der Schweizer Grenze ein Lastwagen mit Schutzbehelfen gestoppt. In dieser Situation, in der wir nichts hatten, ging es nur mehr darum, was wir tun. Machen wir es, wie in manchen Krankenhäusern in der Lombardei, wo das Gesundheitspersonal angezogen mit Müllsäcken auf die Stationen gegangen ist? Ich bin überzeugt, dass eine Atemschutzmaske und ein Schutzanzug, die vielleicht nur 60 anstatt 90 Prozent der Viruspartikel abhalten, besser ist als nichts. Denn das war die einzige Alternative. Ich habe mich mit meinen Experten beraten und wir haben diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen. Wobei wir von Beginn an gesagt haben: Diese Masken dürfen nur dann eingesetzt werden, wenn nichts anderes mehr da ist. Diese Anweisung habe ich den Verantwortlichen auch schriftlich mitgeteilt.
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Warum aber hat man den Angestellten nicht mitgeteilt, dass diese Masken nicht sicher sind?
Das stimmt nicht. Wir haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sanitätsbetriebes in einem Rundschreiben informiert, nachdem das Gutachten des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik eingetroffen ist und wird uns intern beraten haben. Dieses Gutachten war eher allgemein gehalten und weniger technisch. Dort kommt man zum Schluss, dass nicht die Masken das Problem sind, sondern das sogenannte Fitting. Deshalb haben wir sofort ein Rundschreiben an die Belegschaft gemacht, in dem darauf hingewiesen wurde, dass man das Fitting der Masken kontrollieren muss. Die Maske muss richtig im Gesicht sitzen. Ansonsten soll man eine andere Maske nehmen oder zwei übereinander. Wir haben explizit darauf hingewiesen, dass die Angestellten darauf achtgeben sollen. Dazu kommt, dass in dieser Phase auch schadhafte Masken von anderen, auch europäischen Firmen geliefert wurden. Deshalb haben wir auch Videos gemacht, in denen genau erklärt wurde, wie diese Schutzbehelfe zu nutzen sind und auf was man aufpassen muss.
Trotz dieser Mängel hat man dieselben Masken aber an den staatlichen Zivilschutz und nach Österreich verkauft?
Wir haben nie Masken an irgendjemand weiterverkauft. Die Wahrheit ist: Sowohl der italienische Zivilschutz als auch die Österreicher oder auch Kunden in Bayern haben aus ihrer Initiative direkt bei OberAlp eingekauft. Wie man das dann abgewickelt hat, steht auf einem anderen Blatt Papier. Wir haben mit dem Zivilschutz zusammengearbeitet, denn dieser war damals für den Ankauf von Schutzmaterialien zuständig. So wurde das erste Angebot von OberAlp vom Land auch an den nationalen Zivilschutz geschickt. Erst als Rom gesagt hat, wir kaufen nicht, gleichzeitig aber grünes Licht für den Ankauf durch das Land gegeben hat, konnte die erste Lieferung bestellt werden. Die politisch Verantwortlichen haben dann vorgeschlagen, dass der Sanitätsbetrieb ankaufen soll.
Es war nie meine Absicht, Personen zum Schweigen zu bringen, die nicht so denken wie ich.
Bis heute steht der Verdacht im Raum, dass sich Sabes-Mitarbeiter und -innen wegen dieser mangelhaften Masken mit Covid-19 angesteckt haben könnten?
Tatsache ist, dass es nach der Verteilung und dem Einsatz der OberAlp-Masken einen signifikanten Rückgang der Ansteckungen unter dem Personal gegeben hat. So hat es etwa in der Bozner Covid-Abteilung keinen einzigen Fall einer Ansteckung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegeben, obwohl genau dieses Material verwendet worden ist.
Im Buch wird auch geschildert, dass Sie der für den Ankauf zuständigen Amtsdirektorin Sophie Biamino gedroht hätten, den Auftrag zu entziehen, wenn sie den Vertrag mit OberAlp nicht unterzeichnet. Würden Sie auch das wieder tun?
Keine Ahnung, was Frau Biamino genau gesagt hat, aber Tatsache ist, dass es nicht in meiner Kompetenz liegt, jemandem den Auftrag zu entziehen, auch dann, wenn er sich weigern würde, eine Bestellung oder einen Vertrag zu unterzeichnen. Das wäre gar nicht möglich. Deshalb war das sicher nicht meine Drohung. Wenn ein Angestellter mit einer Entscheidung nicht einverstanden ist, gibt es die Möglichkeit einer Dienstanweisung von oben. Ich würde aber nie jemanden entlassen, weil er in einer Sachfrage anderer Meinung ist.
Der Primar Marc Kaufmann fragt in einem Telefongespräch mit Ihnen, ob man dem Salto-Journalisten Christoph Franceschini „nicht irgendwie weh tun könnte“, weil er dabei sei, ein Dokument zu veröffentlichen, das geheim bleiben sollte. Ist das normal für Sie?
Der Primar und Koordinator der Medizinischen Einsatzleitung Marc Kaufmann hat in dieser schwierigen Phase in klinischer und organisatorischer Hinsicht herausragende Arbeit geleistet. Ohne ihn wäre es viel schwieriger gewesen, diese Ausnahmesituation so zu meistern, wie wir es am Ende geschafft haben. Ehrlich gesagt erinnere ich mich nicht mehr daran, was Kaufmann genau über Franceschini gesagt hat. Für mich ist es aber verständlich, dass Kaufmann, genauso wie viele andere, über diese andauernden Unterstellungen entrüstet war. Die Vorwürfe, dass wir schlecht gearbeitet haben, dass wir nicht die nötige Transparenz an den Tag gelegt haben, sind nicht leicht zu verdauen. Das dürfte jeder verstehen. Aber Sie müssen schon Kaufmann fragen, was er mit diesem Satz gemeint hat. Sicher ist: Es war nie meine Absicht, Personen zum Schweigen zu bringen, die nicht so denken wie ich.
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Ehrlich gesagt erinnere ich mich nicht mehr daran, was Kaufmann genau über Franceschini gesagt hat.
Sie sagen, es gab damals keine Alternativen zu OberAlp. Dabei gibt es das Bozner Unternehmen „Gehrò“, das seit Jahren Masken und PSA für Zahnärzte, Apotheken und Krankenhäuser aus China importiert und auch an Südtiroler Spitäler liefert. Dort ist der Sanitätsbetrieb aber nie vorstellig geworden?
Zu sagen, dass es Alternativen gegeben hätte, ist wirklich ein Märchen. Wir können mit allen Mitteln beweisen, dass es diese Alternativen zu OberAlp nie gegeben hat. Die zuständige Amtsdirektorin Biamino hat mir seitenweise Listen von Lieferanten gezeigt, die erklärt haben, dass sie nicht liefern können. Oder wer liefern konnte, hat erklärt, dass man keine Garantie abgeben könne, ob das bestellte Material auch wirklich ankommt. Oder man hat die Bezahlung im Voraus verlangt, was für uns nicht machbar war. Auch diese Geschichte mit Dieter Gallmetzer hat nicht standgehalten, als wir nachgefragt haben, was er uns wirklich liefern kann. Das kann man anhand der Dokumentation nachweisen, die in unseren Ämtern liegt. Wir haben überall nach Lieferanten gesucht.
Zu sagen, dass es Alternativen gegeben hätte, ist wirklich ein Märchen.
Die Firma OberAlp wurde bei der öffentlichen Ausschreibung zur Lieferung von 750.000 Schutzanzügen zuerst ausgeschlossen und sollte dann wieder zugelassen werden, weil das INAIL die OberAlp-Anzüge positiv bewertet hatte. Was man dabei aber verschwiegen hat, war die Tatsache, dass das INAIL diese positive Bewertung inzwischen widerrufen hatte. Diese Tatsache hat man sogar vor dem obersten Rechtsvertreter des Sanitätsbetriebes Marco Cappello geheim gehalten?
Verständlicherweise war ich nicht Mitglied in der Wettbewerbskommission und deshalb war ich auch nicht in die Analysen involviert, die Anwalt Cappello und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Rechtsabteilung in diesem Fall angestellt haben. Tatsache aber ist, dass wir niemals Dokumente vor den verantwortlichen Abteilungs- oder AmtsdirektorInnen versteckt oder verschwiegen haben. Die zuständigen Beamten hatten alle Informationen. Deshalb kann ich ihre Hypothese kategorisch zurückweisen. Aber noch einmal: Ich war nicht Mitglied der Wettbewerbskommission und weiß auch nicht, welche Diskussionen innerhalb dieser Kommission geführt worden sind. Ich habe das Ergebnis der Ausschreibung zur Kenntnis genommen. Auch den Ausschluss der OberAlp.
Mitarbeit: Christoph Franceschini