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Legaland Südtirol

Die SVP kürt die Lega offiziell zum nächsten möglichen Regierungspartner – mit einem Wertekodex als Bedingung und gegen die kritischen Stimmen in der Partei.
SVP-Wahlurne
Foto: Salto.bz

Das K-Wort will niemand in den Mund nehmen. Zu einer Koalition mit der Lega soll es auch nicht kommen. Allenfalls ein “technisches Abkommen”, ein “Arbeitsprogramm”, ein “Regierungsvertrag”, eine “technische Vereinbarung” soll es werden. Eine Zweckehe, keine Liebesheirat.
Doch welche Wortspielereien man auch immer aus dem Hut zaubert – eine Tatsache lässt sich nicht verstecken: Die Mehrheit in der SVP zieht die Lega den Grünen und dem PD als Regierungspartner vor.
65 Mitglieder des Parteiausschusses haben am Montag Abend dafür gestimmt, dass die SVP mit der Lega Verhandlungen zur Bildung der Landesregierung aufnimmt. Unter einer Bedingung: Die vier Landtagsabgeordneten der Lega müssen einen Wertekodex unterzeichnen, “einen Knigge für die Landesregierung”, wie ein hoher Parteifunktionär süffisant meint. Der aber wirkt für manche in der Partei nur wie Placebo gegen die Bauchschmerzen mit der Partei von Matteo Salvini.

 

Sieben Enthaltungen

Den gesamten Montag Nachmittag lief die Debatte in einer selten gut besuchten Ausschusssitzung in der SVP-Parteizentrale in der Brennerstraße. Von den 120 Ausschussmitgliedern sind fast alle anwesend. Gar einige müssen die Sitzung verlassen, bevor es gegen 18 Uhr zur Abstimmung kommt. Eine davon ist Julia Unterberger. Die Senatorin muss den Zug nach Rom erwischen – lässt aber vorher durchklingen, was Landeshauptmann und Parteiobmann eine gute Stunde später verkünden werden: Die Mehrheit in der SVP spricht sich für ein “technisches Abkommen” mit der Lega aus. “Ich akzeptiere das, auch wenn ich dagegen bin”, sagt Unterberger frei heraus.
In Rom und in Brüssel wird es zu keinerlei Zusammenarbeit zwischen SVP und Lega kommen. “In Rom bleiben wir in der Opposition – und ich werde die Regierung weiterhin jedes Mal kritisieren, wenn sie mir Anlass dazu gibt”, verspricht die SVP-Senatorin.

Sie ist nicht die einzige, die in der mehrstündigen Sitzung des zweithöchsten Parteigremiums der Volkspartei gegen ein Bündnis mit der Lega Position bezieht.
83 Stimmen landen am Ende in der Wahlurne. Es wird ein geheimes Votum beantragt. Daher muss man sich auf die Aussagen der einzelnen Ausschussmitglieder verlassen, die beim Verlassen des Sitzungssaales gegen 18.15 Uhr von Kameras und Mikrofonen umzingelt werden.

“Ich habe nicht dafür gestimmt”, sagt SVP-Vizeobmann Karl Zeller. Der Altsenator spricht als einer der ersten nach der Abstimmung mit den Journalisten. Und ist einer der sieben Ausschussmitglieder, die sich der Stimme enthalten haben. “Weil ein Bündnis auf europäischer Ebene ausgeschlossen wurde”, erklärt er. Mit seiner Meinung über die Lega hält Zeller nicht hinterm Berg, spricht von einer “klaren Inkompatibilität” seiner Partei mit der Lega: “Wasser und Öl mischen geht nicht.”

 

Ein Wertekodex als Ehevertrag

Deshalb wird es auch ein “rein lokales Abkommen”, eine “technische Vereinbarung” sein, was zwischen Edelweiß und Carroccio zustande kommt – wenn es denn zustande kommt. Denn die SVP wird der Lega, genauer gesagt deren vier Landtagsabgeordneten, bei einem Treffen, das in Kürze stattfinden soll, ein Papier vorlegen, das diese unterzeichnen müssen. Ein Kodex, in dem die “unverhandelbaren Werte der Volkspartei” festgehalten sind und für die die SVP eine “klare Zustimmung als Prämisse für eine allfällige Regierungsbildung” einfordert, wie Landeshauptmann Arno Kompatscher in bestimmtem Ton verkündet. Gemeinsam mit Parteiobmann Philipp Achammer hat er dem Parteiausschuss diesen Vorschlag unterbreitet.
“Unsere Überzeugungen sind nicht verhandelbar.” “Wir werden unsere Werte nicht verkaufen.” “Wir haben unsere roten Linien klar aufgezeigt.” “Es wird kein Bündnis um jeden Preis geben.” Es sind Zusagen wie diese, mit denen Achammer und Kompatscher das harte Ringen um eine gemeinsame Linie in der SVP in eine Kampfansage an den künftigen Regierungspartner übersetzen. Als müsse man sich jetzt schon für die Lega rechtfertigen.

Nur wenn die Lega ja zum Wertekodex sagt, werden Koalitionsgespräche, pardon, “Verhandlungen für eine Regierungsvereinbarung” aufgenommen.

Welche sind nun diese “roten Linien”, diese “unverkäuflichen und unverhandelbaren Werte”? Es sind die altbekannten: friedliches Zusammenleben. Autonomie. Europa.


Voraussetzungen für die Aufnahme von Verhandlungen für eine Regierungsvereinbarung

  1. Die (mögliche) Regierungszusammenarbeit setzt auf eine Politik des Ausgleichs zwischen den Sprachgruppen und trägt ganz wesentlich Verantwortung für ein friedliches Zusammenleben aller im Lande lebenden Menschen. Diese Überzeugung spiegelt sich in sämtlichen Regierungsinitiativen wieder. Die (zu bildende) Landesregierung lehnt daher jegliche Form der Ausgrenzung oder Diskriminierung von Menschen, insbesondere von kulturellen, sprachlichen, ethnischen, sexuellen und/oder sozialen Minderheiten strikt ab.
  2. Die Autonomie des Landes, welche zentrales Instrument zum Schutz der deutsch- und ladinischsprachigen Minderheit ist, soll als Gut aller in Südtirol lebenden Menschen konsequent weiterentwickelt und ausgebaut werden, mit dem Ziel einer größtmöglichen lokalen Selbstverwaltung, womit jegliche Tendenz in Richtung eines neuen Zentralismus entschieden abgelehnt wird.
  3. Das gemeinsame Europa ist Garant für Sicherheit, Frieden und Wohlstand und hat insbesondere Südtirol unbestreitbare Vorteile und einen unverzichtbaren, autonomiepolitischen Mehrwert gebracht. Deshalb bekennt sich die (zu bildende) Landesregierung zum Ziel der Unterstützung und Weiterführung des europäischen Einigungsprozesses im Rahmen der EU mitsamt einer gemeinsamen europäischen Währung. Im Rahmen der (möglichen) Regierungszusammenarbeit werden daher alle Initiativen, die der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und in besonderer Weise der Stärkung der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino förderlich sind, entschlossen verfolgt und umgesetzt. Die Brückenfunktion Südtirols wird im Sinne der europäischen Verständigung als Mehrwert betrachtet. Eine Abkehr von diesem bisher eingeschlagenen Weg wird ausgeschlossen.

 

Legieren, um zu regieren

Als “intensiv”, “kontrovers” und “überaus interessant” beschreiben die Anwesenden die Debatte im Parteiausschuss anschließend. “Es war eine der besten Diskussionen in den 30 Jahren, die ich dabei bin”, gesteht Karl Zeller.
Eine SVP, die sich vor einer denkbar schwierigen Entscheidung findet, besinnt sich auf ihre Werte – und offenbar auch darauf, wie rot sie bei den Grünen sieht. “Es gibt Bedenken gegen die Lega. Aber die Abneigung gegen die Grünen war größer”, bringt es einer auf den Punkt. Trotzdem: In Jubelgeheul verfällt nachher niemand.

“Mit dem heutigen Beschluss wollen wir dem Wahlergebnis Rechnung tragen, denn die Lega hat nun einmal einen legitimen Vertretungsanspruch der italienischen Sprachgruppe”, erklärt Arno Kompatscher. Auch dass die SVP im Falle eines Bündnisses mit der Lega nur eine Partei für die Mehrheit im Landtag braucht und nicht deren zwei wie bei Grünen und PD, zählt der Landeshauptmann zu den Gründen, warum man es mit der Lega versuchen will.

 

Elf Nein

Auf manche wirkt der Wertekodex, den die SVP der Lega nun hinhält, wie ein Armutszeugnis der Volkspartei. Schließlich will man den (möglichen) künftigen Regierungspartner verpflichten, sich zu Werten zu bekennen – Menschenwürde, Toleranz, Europa, Autonomie –, “die eine jede Partei im demokratischen Südtirol als selbstverständlich erachten sollte”, wie ein Parteimitglied am Rande der Pressekonferenz achselzuckend meint. Die “roten Linien” – unscharf. “Warum sollte die Lega also nicht unterzeichnen – zumal ihr jetzt mit der Landesregierung außerdem noch das Filetstück hingehalten wird?”

Am Horizont zeichnet sich indes ein weiteres Paradox ab: Auf der einen Seite verlangt man vom (möglichen) Regierungspartner auf territorialer Ebene ein überzeugtes Bekenntnis zu Europa, zur EU und zum Euro – im Hinblick auf die EU-Wahlen im Mai aber schließt man “jegliche Zusammenarbeit mit anti-europäischen, europaskeptischen und nationalpopulistischen Parteien” aus – “auch mit der Lega”, wie Philipp Achammer betont.

Gut gemeint, das haben es Landeshauptmann und Parteiobmann sicher mit ihrer Strategie – aber für einige bleibt die Lega das rote Tuch. “Ich habe Vertrauen in die Parteifunktionäre und die Mandatare, aber ich bleibe bei meiner Meinung und lehne die Salvini-Lega ab”, sagt Magdalena Amhof. Sie hat gegen den Vorschlag von Kompatscher und Achammer gestimmt. Ebenso wie ihr Chef im SVP-Arbeitnehmerflügel, Helmuth Renzler. Und auch Zeno Christanell zählt zu den elf Ausschussmitgliedern, die sich gegen die Lega, auch nur als “möglichen Regierungspartner”, ausgesprochen haben. Der Burggräfler Bezirksobmann, ebenfalls Arbeitnehmervertreter, erklärt, warum: “Das Wesen der Lega besteht einerseits in einem skrupellosen Populismus und andererseits in einem Nationalismus, der sich in minderheitenfeindlichen, anti-europäischen und bis zu einem gewissen Punkt auch anti-autonomistischen Haltungen manifestiert. Rein pragmatisch und kurzfristig gesehen wird die Lega schon eine Lösung darstellen, langfristig aber werden sich eine Reihe von Problemen auftun, vor allem was Europa anbelangt. Meine Befürchtung ist, dass diese Rechtspopulisten nicht nur ein Modetrend sind, sondern dass sie eine knallharte Agenda verfolgen, nämlich dieses Europa, so wie wir es kennen, zu verändern. In diesem Sinne war das heutige Votum doch irgendwo historisch, eine Richtungsentscheidung der SVP.”

 

Ein Spagat wie ein Drahtseil

Als Misstrauensvotum gegen Parteiobmann und Landeshauptmann will Christanell, ebenso wie Amhof, sein Nein zur Lega aber keinesfalls verstanden wissen. “Wir stehen alle zu 100 Prozent hinter dem Duo, sie genießen unser starkes Vertrauen”, sagt der Bezirksobmann, der um den Spagat weiß, den Kompatscher und Achammer hinzubekommen versuchen.
Was, wenn sie es nicht schaffen, SVP und Lega zu legieren? Dann können sie zumindest sagen, wir haben es versucht. Vielleicht kurz aufatmen. Und dann? Grüne und PD durch die Tür herein beten, die sie ihnen am Montag zugeschlagen haben?

Dass diese Variante noch nicht vom Tisch ist, bestätigt Karl Zeller: “Sollte die Lega den Wertekatalog nicht akzeptieren, fangen wir gar nicht erst an, über eine Regierung zu diskutieren.” “Falls sie – und damit meine ich die lokalen Lega-Vertreter und nicht Salvini – nicht zustimmen, werden wir uns für die Regierung eine andere Option suchen”, bestätigt Arno Kompatscher. “Die Richtung und das Ergebnis sind noch nicht klar”, beeilt sich auch Philipp Achammer zu betonen.
Doch die Vorbereitungen für die Vermählung mit der Lega sind spätestens seit Montag voll im Gange.