Politik | Interview
„Das ist gefährlich“
Foto: Salto.bz
Gundi Gadesmann arbeitet als Kabinettschefin der Europäischen Ombudsfrau in Brüssel. Bei der gestrigen Feier „40 Jahre Südtiroler Volksanwaltschaft“ hielt sie eine Rede über die Rolle bzw. die Funktion der EU-Bürgerbeauftragten und das Europäische Netzwerk der Ombudsmänner und -frauen (ENO) im Südtiroler Landtag in Bozen.
salto.bz: Frau Gadesmann, welche Beschwerden sind am häufigsten?
Gundi Gadesmann: Etwa ein Drittel der Beschwerden betrifft Transparenzfragen, beispielsweise wenn Dokumente nicht eingesehen werden können oder wenn herausgefunden werden soll, wer welche Entscheidungen in Brüssel trifft. Diese Beschwerden kommen von Journalist*innen, Akademiker*innen und auch Politiker*innen, die wissen wollen, was beispielsweise in den Aushandlungen zum Impfvertrag (im Zuge der Corona-Pandemie, Anmerkung d. R.) stand. Bei den anderen Beschwerden geht es unter anderem um Ethikfragen, etwa wenn hohe Beamt*innen in die Privatwirtschaft wechseln. Lobbying ist ein großes Thema. Es ist in allen Demokratien eine normale Sache, aber es muss nachvollziehbar sein. Wer redet mit wem? Welche Kommissarin oder welcher hohe Beamte trifft sich mit wem?
Wird also jedes Treffen mit einem Lobbyist*innen protokolliert?
Bei den hohen Beamt*innen und bei den Kommissar*innen ist das so. Bei ihnen steht auf der Webseite, wen sie zu welchem Thema treffen. Das gibt es nicht in allen EU-Ländern. In der Hinsicht ist Brüssel sehr fortgeschritten. Aber man muss eben immer wieder kontrollieren und es kann immer verbessert werden.
Was macht das Büro der Ombudsfrau, wenn eine Beschwerde gerechtfertigt ist?
Viele Bürger*innen wissen nicht, dass die Ombudsstelle nur für EU-Institutionen eingerichtet wurde. Wenn für eine Beschwerde eine andere Stelle wie beispielsweise die Südtiroler Volksanwältin zuständig ist, leiten wir sie an die richtige Stelle weiter. Betrifft die Beschwerde eine EU-Behörde prüfen wir den Sachverhalt und verfassen gegebenenfalls eine Empfehlung an die zuständige Behörde, wie die EU-Kommission, das Europäische Parlament, die Europäische Zentralbank oder die Agenturen. Die Empfehlungen sind dann öffentlich einsehbar. Das ist immer ein starkes Druckmittel, aber wir haben sonst keine Sanktionsmöglichkeiten.
Lobbying an sich ist eine gute und gerechtfertigte Sache in Demokratien, weil alle Interessen vertreten werden müssen.
Wie viele der gemeldeten Fälle sind im Durchschnitt gerechtfertigt?
Ein Drittel etwa;
Wie viel Budget hat die Ombudsfrau pro Jahr?
Wir haben in Straßburg und Brüssel rund 80 Mitarbeiter*innen, das ist ein Budget von rund 12 Millionen Euro pro Jahr. Hinzu kommen die sehr teuren Übersetzungen, weil wir ja in 24 Sprachen arbeiten. Jede Beschwerde muss in der gleichen Sprache der Beschwerde bearbeitet werden. Die Empfehlung wird dann in der Sprache und in Englisch veröffentlicht.
Wenn Leute nicht wissen, wie Dinge zustande kommen, entsteht Frust oder Skepsis gegenüber Politik.
Das Budget ist nicht gerade hoch, oder?
Seit geraumer Zeit wird schwer darauf gedrängt, keine Budgeterhöhung zu beantragen.
Wie kann die Ombudsfrau ein Gegengewicht zur Lobbyarbeit von finanzstarken Sektoren sein?
Lobbying an sich ist eine gute und gerechtfertigte Sache in Demokratien, weil alle Interessen vertreten werden müssen. Unser Standpunkt ist es, dass es transparent ablaufen muss. Man muss wissen, wer mit wem spricht. Das ist mehr unser Anliegen, wir würden nicht zwischen Interessensvertretungen unterscheiden.
Wenn Sie am Ende nochmal zusammenfassen könnten, wieso braucht es die Ombudsstelle?
Transparente Entscheidungen führen dazu, dass Bürger*innen Vertrauen in den Prozess haben. So wissen sie, was die da jetzt machen, wer ‚Ja‘ und wer ‚Nein‘ stimmt. Wir können uns ein Bild darüber machen, wie der Entscheidungsprozess abläuft, beispielsweise bei einem Gesetzesvorhaben zu Klimaschutz, Luftverschmutzung oder Industriethemen. Die EU ist in so vielen Bereichen tätig. Je transparenter und deutlicher der Prozess ist, desto höher ist die Akzeptanz bei den Bürger*innen. Wenn Leute nicht wissen, wie Dinge zustande kommen, entsteht Frust oder Skepsis gegenüber Politik. Das ist gefährlich.
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