Bessere Dinge für eine brennende Welt
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Prof. Nitzan Cohen ist der Dekan der Fakultät für Design und Künste, sowie Leiter des dort beheimateten Design Friction Lab. SALTO hat ihn getroffen, und ihn gefragt, was es mit diesem innovativen Forschungszentrum auf sich hat.
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SALTO: Guten Tag, Prof. Cohen! Vielen Dank, dass Sie sich trotz Ihres vollen Terminkalenders Zeit für dieses Gespräch nehmen. Erklären Sie doch bitte kurz, was das Design Friction Lab ist und was dort gemacht wird!
Prof. Cohen: Sehr gerne! Zuerst möchte ich aber etwas erklären: Design wird oft mit Ästhetik verwechselt. Ästhetik ist aber nur ein kleiner Teil des Designs eines Produkts, oder um es etwas weiter zu fassen, eines Dings. Im Design geht es darum, Dinge zu verbessern. Ästhetik, also dass Dinge am Ende dann auch schön ausschauen, ist ein Ausdruck davon. Auch im Design Friction Lab arbeiten wir daran, Dinge besser zu machen. Und das sehr interdisziplinär, das heißt, wir kollaborieren mit anderen Forschungsbereichen, mit der Industrie und dem Handwerk, teilweise auch mit sehr großer Industrie. Unser Ziel dabei ist es, dass unsere Welt von morgen und übermorgen so weit wie möglich irgendwie besser wird. Das klingt sehr groß und vielleicht auch naiv, aber das ist unser selbstgestellter Auftrag. Unsere Welt brennt gerade – im wahrsten Sinne des Wortes! Und wir müssen endlich Wege finden, um das, was wir machen oder machen werden, besser zu machen. Damit meine ich sowohl uns als Designer, als auch uns als Gesellschaft, Industrie und so weiter. Und mit besser meine ich vor allem nachhaltiger. Das ist unser Ziel in jedem unsere Projekte. Wir haben unterschiedliche Projekte in sehr unterschiedlichen Bereichen.
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Zum Beispiel?
In einem Projekt beschäftigen wir uns mit Produktionskreisläufen und schauen uns in einem großen Team mit Wissenschaftlern aus anderen Fachbereichen an, wie wir diese Kreisläufe so gut wie möglich schließen können. Die Kreisläufe sollen möglichst klein und eng sein und so wenig Ressourcen wie möglich verschwenden. Jeder kennt mittlerweile den allgemeinen Begriff Recycling. Das ist ein neutraler Begriff. Wenn wir als Privatpersonen etwas recyclen, dann fühlen wir uns gut. Aber eigentlich ist Recycling die letzte Möglichkeit, etwas zu verwenden oder zu verwerten. Eigentlich ist es besser, Dinge zu nutzen und immer wieder zu nutzen. Erst, wenn das nicht mehr geht, sollte etwas recycelt werden. Wobei es auch einen Unterschied macht, ob man etwas upcyclet oder downcyclet, also ob das Produkt an Mehrwert gewinnt oder an Wert verliert. Im Design Friction Lab versuchen wir neue Möglichkeiten fürs Upcycling zu finden.
Zum Beispiel im Bereich der industriellen Verarbeitung von Äpfeln. Wir sind in Südtirol, Europas mit Abstand größtem Apfelanbaugebiet. Je nachdem, in welchem Stadium der industriellen Verarbeitung sich ein Apfel befindet, besitzt er einen Zuckergehalt von ca. 10-15 %. Zucker ist ein Treiber für Fermentationsprozesse. In einem großen Projekt haben wir zusammen mit einem Forschungsteam der Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften versucht, Apfelreste als Treiber für die Fermentation zu verwenden. Unser Hauptfokus lag dabei auf der Gewinnung von Cellulose, die durch Bakterien und Hefen produziert wird, welche sich von den Zuckern ernähren, die aus Apfelresten gewonnen werden. Die erfolgreiche Nutzung von Apfelresten als Nährstoffquelle für diese Mikroorganismen stellte den ersten Schritt unseres Projekts dar. Unsere Untersuchungen zielten darauf ab, ein tiefgehendes Verständnis dafür zu entwickeln, wie Cellulose effizient und in großem Maßstab durch die Fermentation dieser spezifischen Mikroorganismen hergestellt werden kann.
Um dieses Ziel zu erreichen, konzentrierten wir uns auf die Optimierung der Wachstumsbedingungen für die Bakterien und Hefen, die essenziell für den Fermentationsprozess sind. Wir entwickelten eine optimierte Formel für ihr Wachstum und bauten einen Bioreaktor, eine spezialisierte Anlage, in der die Mikroorganismen unter idealen Bedingungen gezüchtet werden können. Diese innovative Herangehensweise ermöglichte es uns, eine Reihe von Produkten zu entwerfen, die auf der durch die Mikroorganismen erzeugten Cellulose basieren, darunter sowohl essbare Artikel als auch umweltfreundliche Verpackungslösungen. Die Grundlage dieses Prozesses bildeten die Zuckersubstanzen, die aus den Resten von Südtiroler Äpfeln extrahiert wurden, wodurch eine nachhaltige Verwertung landwirtschaftlicher Nebenprodukte gefördert wird.
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Sie haben die interdisziplinäre Forschung ja schon angesprochen. Welche Vorteile und welche Schwierigkeiten bringt die Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen mit sich?
Die Vorteile sind immens! Wir haben enormes Wissen um uns herum. Stellen Sie sich das Wissen aus einem Bereich wie einen großen Turm vor. Die besten Wissenschaftler aus ihrem Bereich sitzen ganz auf der Spitze des Turms und treiben den Turm immer weiter und weiter in die Höhe. Aber das ist halt nur ein einziger Wissensbereich. Und was passiert mit dem ganzen Wissen auf der Spitze? Wie lange dauert es, bis dieses Wissen metaphorisch seinen Weg von der Spitze auf die Straßenebene gefunden hat? Wenn wir jetzt mehrere dieser Türme haben, also mehrere Fachbereiche, wer verbindet dann das ganze Wissen? Im Moment, nicht viele Menschen. Denn das ganze Wissen trifft meist unten am Boden aufeinander. Das dauert sehr lange und oft ist der Wissensstand dann auch nicht mehr 100 % aktuell. Hier kommen Designerinnen und Designer ins Spiel. Generell ist das in meinen Augen eine wachsende Rolle von Design: Diverses Wissen zu verbinden und damit etwas Neues zu schaffen. Auch neue Ideen und Erkenntnisse. Design ist dabei das Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Elementen und Fachbereichen, auch in den Projekten im Design Friction Lab.
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Gibt es dabei auch Schwierigkeiten?
Ja, viele. Zusammenarbeit ist schön. Zusammenarbeit ist ideal. Aber die Arbeit mit unterschiedlichen Bereichen, Perspektiven und Denkweisen ist auch komplex. Jeder Fachbereich hat seine eigene Herangehensweise und seine eigene Sprache. Oft muss in der Zusammenarbeit erst eine gemeinsame Sprache gefunden, teilweise auch erst erfunden werden. Kommunikation und gegenseitiges Verständnis sind Schlüsselfaktoren, aber immer auch eine Herausforderung. Das ist nicht unbedingt negativ, sondern einfach ein Teil des Prozesses. Am Beginn jedes unserer Projekte studieren und erforschen wir die Fächer und Felder, mit denen wir zusammenarbeiten, sodass wir die Sprache dieses Faches und damit unserer Partner, so gut wir eben können, beherrschen. Wir versuchen, die Prozesse und die Logik des jeweiligen Fachs zu verstehen. Mal haben wir damit mehr Erfolg, mal weniger. Aber wir sind nie komplette Laien, was das jeweilige Feld angeht. Denn sonst wäre es für uns auch sehr schwer, unseren Partnern zu erklären, warum sich eine Zusammenarbeit mit uns für sie lohnt.
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Lohnt sich das DFL denn für die unibz?
Ja, in vielerlei Hinsicht. Generell ist Design unverzichtbar für Prozesse. Unser Ziel im DFL ist es Lösungen zu finden und diese auch auf möglichst breiter Ebene einzusetzen. Ich glaube, das allein lohnt sich sehr. Und obwohl das DFL eine relativ kleine Struktur ist, die erst seit wenigen Jahren besteht, konnten wir schon beachtliche Erfolge erzielen. Unsere Produkte, wie der vorhin angesprochene Bioreaktor, waren in mehreren internationalen Ausstellungen zu sehen. Der Bioreaktor ist gerade zum Beispiel im National Museum of Singapur ausgestellt. Daran sieht man auch das enorme Potenzial, das wir in Südtirol haben. Hier sind viele Kreisläufe kleiner und enger und Design wird häufig weniger wahrgenommen und genutzt. Um das zu ändern, sind wir da. Sowohl das DFL als auch die Fakultät für Design und Künste. Auch um eben mit verschiedenen Realitäten zusammenzuarbeiten. Wir sind offen für alles. Für interessante und relevante Fragen, dafür neue Lösungen zu finden und Dinge zu bewegen. Und in Zukunft wollen wir das noch viel mehr tun.
Artikel von Jenny Cazzola