Kultur | Salto Afternoon

Uriel Orlows Bäume

Letzte Woche stellte sich bei einem Künstlergespräch der neue „Artist in Residency“ von BAU vor und ging mit Bäumen und Pflanzen auf Zeitreise, zurück und nach vorne.
Uriel Orlow:
Foto: Uriel Orlow
Im südlich gelegenen Turmzimmer der Universität Bozen, unweit der Stelle, wo bis vor kurzem noch die Kunstinstallation „L'albero di tutti“ von Gregor Prugger an die Opfer der Mafia-Gewalt erinnerte, fand das mit „Tree Time Travel“ betitelte Treffen statt. Das auch als „Allebaum“ bekannte Kunstwerk, welches anlässlich des 30. Todestags der beiden „Mafiajäger“ Borsellino und Falcone geschaffen wurde, steht nun auf der Piazza dei Verdi in Triest und unterscheidet sich von den Recherche- und Forschungsarbeiten Uriel Orlows durch einen nicht unwesentlichen Umstand: Die Bäume und Pflanzen mit welchen er sich befasst sind zu einem guten Teil lebendige, oder sind zumindest Zeugnisse einer lebendigen kulturellen Nutzung. Für seine akribische Arbeit wurde er vor Kurzem mit dem Schweizer Prix Meret Oppenheim ausgezeichnet.
 
 
Ein Beispiel ist etwa eine Hecke aus Mandelbäumen in Südafrika, welche für den Schweizer Künstler mit globalem Tätigkeitsfeld den ersten Akt kolonialer Gewalt in Südafrika markiert: Europäische Seefahrer hatten im Gebiet eines afrikanischen Stammes, wo ansonsten deren Vieh weidete, einen Garten zur Aufstockung der Vorräte für Handelsfahrten nach Asien angelegt und pflanzten die heute noch vorhandene Mandelhecke um den Tieren den Zugang zu verwehren. Auch im botanischen Garten wurde Orlow fündig, auf den Namens-Kärtchen der Pflanzen fand sich nur Englisch aus dem Dutzend offizieller Landessprachen, neben Latein. Im Lateinischen „verewigen“ sich europäische Forscher mit ihrem Namen in Verbindung mit vor Ort bereits bekannten und benannten Pflanzen. Uriel Orlow sammelte in Südafrika die traditionellen Namen dieser Pflanzen, nicht um sie ihnen aus europäischer Sicht „zurück“ zu geben, sondern um einen Soundgarten zu gestalten, mit deren Klang.
Spannend auch die Auseinandersetzung Orlows mit Heilpflanzen, in Südamerika wie in Afrika: In Afrika war es der Afrikanische Wermut (Artemisia Afra), der es ihm mit „Learning from Artemisia“ angetan hatte. Sie wird von Einheimischen, als Tee aufgebrüht zur Behandlung von Malaria genutzt. Im Rahmen einer Kunstaktion legte er Beete an, aus welchen die Einheimischen die Pflanze entnehmen konnten, komplett mit einem Wandbild, welches die Anwendung und Zubereitung des Tees wortlos illustriert. Interessant ist an der Pflanze zudem, dass sie zwar aus der selben Gattung wie der Einjährige Beifuß (Artemisia Annua) stammt, aus welchem der Wirkstoff Artemisin zur Behandlung der Malaria erstmals extrahiert wurde, wofür Tu Youyou 2015 den Medizinnobelpreis erhielt. Im Gegensatz zum in der traditionellen chinesischen Medizin als Medizin entdeckten Einjährigen Beifuß, enthält der Afrikanische Wermut kein Artemisin und wirkt doch, ein Umstand der von der Schulmedizin noch nicht geklärt wurde.
 
 
In Südamerika war es ein Buch mit gepressten Pflanzen, die in einem bolivianischen Mayainstitut aufbewahrt wurden. Das Buch war von europäischen Wissenschaftlern angefertigt worden und wurde von Orlow zu einer Reihe von Medizinmännern mitgenommen und mit deren Anmerkungen ergänzt. Wie so häufig steht ein Wissenstransfer beim Arbeitsansatz des Künstlers im Vordergrund. Aber auch im europäischen Kontext nannte der gebürtige Schweizer Beispiele für seine Arbeitsweise: In „Up up up“ befasste sich Orlow mit dem Phänomen Klimawandel und den Auswirkungen auf Hochalpine Flora in den Schweizer. Durch das Ansteigen der Temperaturen und das Sinken von Eis- und Schneevorkommen auf Bergen und Gletschern kommt es paradoxerweise an den Gipfeln zu einer täuschenden Zunahme an Biodiversität, welche von der Aneignung des Raumes durch pflanzliche „Generalisten“, welche zu den wenigen hochalpinen „Spezialisten“ stoßen. Diese würden auf den Gipfeln, da sie sich nicht in höhere Lagen ausbreiten können auch aufgrund ihres langsameren Wachstums- und Blütezyklus nach und nach von häufigeren Pflanzenarten verdrängt. Uriel Orlow fand diese These auch im Abgleich mit Beschreibungen der Flora aus Archiven bestätigt und machte in einer Ausstellung darauf aufmerksam, unter anderem auch mit einer Farbzeitleiste, welche die Durchschnittstemperaturen im Winter im Alpinen Raum chronologisch veranschaulichte.
 
 
Um diesen - nicht deckenden - Überblick über das Werk des vielschaffenden Künstlers, der sich bis ins Frühjahr 2024 mit lokalen Wäldern und Pflanzen beschäftigen wird und dabei von Expert:innen begleitet wird, kommen wir nach Palermo. Hier suchte Orlow im Rahmen seines Projekts „Wishing Trees“ nach stellvertretenden Sprecher:innen für die wohl bekanntesten Bäume der Stadt, welche in Videoarbeiten zu Wort kommen. Dem Albero di Falcone lieh dabei die 2019 verstorbenen Senatorin und Anti-Mafia Aktivistin Simona Mafai ihre Stimme, für den Albero di San Benedetto sprachen drei afrikanischer Migranten, die als Koch arbeiten, worin die Biographie Benedetto Manasseri gespiegelt wird. Dieser war ein befreiter Sklave, der wahrscheinlich aus Äthiopien stammte und hatte in seinem Kloster zeitlebens als Koch gedient.
Welche Form hingegen das in Situ ausgearbeitetes Projekt „Forest Futurism“ annehmen wird, ist bei dem durch verschiedene Spielarten hindurch aktiven Künstler noch unklar. Er möchte sich mit einer möglichen Vision für zukünftige Wälder in Südtirol und deren Anpassung an den Klimawandel befassen. Dafür hat er bereits eine Klasse der Laimburg bei ihrer Tätigkeit im Wald begleitet und Millionen Jahre alte Waldfossilien gesichtet. Man darf gespannt sein, was hier heranwächst.