Kultur | Salto Arts

Unsere Utopien - Nostre utopie

Schwärmerin des Monats: Die Autorin Maxi Obexer spricht über die Visionen, die Europa braucht.


 

Von 24. bis 29. Juli 2016 wird im Schloss Feldthurns, am Radoarhof in Feldthurns und im Lungomare in Bozen eine Summer School zum Thema "Unsere Utopien – Nostre utopie" organisiert. Täglich findet ein öffentliches Programm aus Vorträgen, Diskussionen und Lesungen mit WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und MenschenrechtsaktivistInnen statt. Die Werkstatt dient dazu, Ausbildung, Handwerk und den künstlerischen Austausch angehender und erfahrender AutorInnen untereinander und über Landesgrenzen hinweg zu fördern. Unterstützend wirken dabei die MentorInnen Maxi Obexer, Sasha Marianna Salzmann und Ulrike Syha mit. Aus diesem Anlass haben wir Maxi Obexer kurz interviewt.

Salto Arts: Das diesjährige Thema der Schreibwerkstatt lautet „Unsere Utopien – Nostre utopie“ und es geht um Europa. Grundsätzlich: Warum spricht man derzeit in Europa lieber über Katastrophen als über Utopien?
Maxi Obexer: Gerade deshalb ist es wichtig, nach den anderen Realitäten zu suchen, sie ausfindig zu machen, wo sie unsichtbar gehalten oder ignoriert werden. Dabei geht es auch um die Fähigkeit und um die Kunst, in Visionen zu denken, um über einen Begriff von Realismus hinauszugelangen, der insbesondere zur Zeit beständig Angst und Bedrohung beschwört.

Die Schreibwerkstatt läuft bereits seit einigen Tagen. Was sind die ersten Erkenntnisse zu den großen Fragen des Projekts, nämlich welche Visionen Europa und wir benötigen, und welche Chancen die Krise bietet?
Dass es nicht ausreicht, stets nach den angeblich existierenden europäischen Werten zu fragen, sondern sie aktiv auszumachen, sie zu benennen und zu verteidigen. Nach einer jahrzehntelangen Anti-Kampagne gegen Europa und der Europäischen Union stehen wir an einem Ende und an einem Anfang zugleich. Es reicht nicht, dass dieses Europa von den europäischen PolitikerInnen gewollt wird, es muss jetzt die Bevölkerung  wissen oder herausfinden, was sie eigentlich will: ein Europa der Vielheiten, der Minderheiten, der Menschenrechte und der Migrationen - oder Nationalstaaten.


In spezifischen Räumen wie der Kunst oder der Kultur werden Utopien erst geschaffen und zum Ausdruck gebracht. Kann es diesbezüglich eine Wechselwirkung zwischen Kunst und Politik geben oder bleibt das eine rein utopische Hoffnung?
Wir versuchen hier, Visionen zu benennen, die auch jene der Migrantinnen und  der Minderheiten sind und für alle, die es noch nicht aufgegeben haben, an ein Europa als freies und offenes Land zu glauben - als KünstlerInnen, als AutorInnen, als PolitikerInnen, als WissenschaftlerInnen. Das Wichtige ist die offene und die öffentliche Auseinandersetzung, die möglichst komplex, anregend und bereichernd ist.

Ich glaube, dass erst mit vollem Bauch begonnen werden kann, über Utopien bzw. utopische Gesellschaftssysteme nachzudenken. Europas mehr oder weniger voller Bauch basiert nicht nur, aber auch auf einer Geschichte des Eroberns und Nehmens von ihm nicht Zustehendem. Wie kann man Europa trotzdem „in Visionen Denken“?
Nicht nur die Bevölkerungen der europäischen Länder, sondern der ganzen Welt hat einen hohen Preis dafür bezahlt, bis die Idee eines Europa gegründet wurde. Gerade weil dieser Preis so hoch ist, sollten wir es nicht schon wieder den Nationalismen und dem Macht- und Großmachtdenken überlassen, sondern die Werte der kulturellen Vielfalt verteidigten.

Was sind die kommenden Themen der öffentlichen Diskussionen der Schreibwerkstatt?
Unter anderen: Wem gehört Europa? Über die Bedeutung Europas für Minderheiten und MigrantInnen, oder "Was, wenn mein Staat nicht menschlich ist?"- über die Verantwortung der Zivilbevölkerung. Oder: "Die verborgenen Utopien in der Bürokratie" (mit Corinne Diserens). Oder beim Abschlussfest bei Lungomare in Bozen: "Welche Angst? Welche Krise? Welche Grenze?"

Last but not least: Welche Rolle spielt das Schwärmen im Schreiben von Utopien?
Das Schwärmen liegt vielleicht in der Nähe zum Stauen und zur Fähigkeit, neben dem Schrecken und dem Problematischen die Fähigkeit zum Guten, Schönen und zur Verzauberung lebendig zu halten.

In unserer Rubrik „Schwärmerin des Monats“ möchten wir unseren InterviewpartnerInnen einen Kulturgeheimtipp oder eine Inspiration entlocken. Gibt es derzeit ein Buch, einen Film, ein kulturelles Erzeugnis, das Du unserer Leserschaft besonders ans Herz legen möchtest?
David Graeber: The Utopia of Rules (dt.: Die Utopie der Regeln).

Herzlichen Dank!

Hier das ausführliche Programm der Summer School Südtirol. Heute (27. Juli), morgen und übermorgen finden jeweils ab 18 Uhr öffentliche Gespräche und Lesungen statt.