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Das Wolkenhaus

125 Jahre Becherhaus
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Foto: Archiv ÖeAV


Unglaublich! Zweimal kommt einem dieses Wort in den Sinn, wenn man zum 3.191 Meter hoch gelegenen Becherhaus geht. Das erste Mal, wenn man bereits aus der Talsohle diesen Adlerhorst am Gipfel des Becherfelsens zum ersten Mal erblickt. Und zum zweiten Mal, wenn man die Schutzhütte erreicht hat und sein Auge über das schier endlose Gipfelpanorama schweifen lässt. Heuer wird die höchstgelegene Schutzhütte Südtirols 125 Jahre alt.

Das erste Mal öffentlich ausgesprochen wurde die Idee, auf dem Becherfelsen eine Schutzhütte zu bauen, von Emil Pott, einem deutschen Tierzuchtwissenschaftler und Alpenvereinsfunktionär. 1891 schrieb er in den Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins: „Was aber die Hauptsache ist, der Becher bietet einen sicheren, unvergleichlichen Standplatz für einen großen Hüttenbau, für ein bewirtschaftetes Hochgipfelhaus ersten Ranges, […] wie es in den Alpen kaum ein zweites Mal zu finden, beziehungsweise zu errichten sein würde.“ Von der Schönheit dieses Gipfels hatte sich im Sommer 1892 auch der Erste Vorstand der Sektion Hannover Carl Arnold persönlich überzeugen lassen. Besessen von dem Gedanken, dort oben eine Schutzhütte zu errichten, setzte Arnold alle Hebel in Bewegung, um die Idee von Emil Pott umzusetzen. Anfang 1893 stellte die Sektion Hannover an Kaiser Franz Josef I. das Ansuchen, das Haus nach Kaiserin Elisabeth benennen zu dürfen, vordergründig „in Anerkennung ihrer Liebe zur Natur und zu den Bergen“. Hintergründig spielte vor allem der Wunsch nach einer möglichst schnellen und vorteilhaften Regelung der Pachtverhältnisse mit dem Staat als Grundbesitzer eine wichtige Rolle bei der Namensgebung.

Der Transport
Im Herbst 1893 konnte mit den ersten Bauarbeiten begonnen werden. Der Sterzinger Zimmermeister Johann Kelderer errichtete in Sterzing das Grundgerüst der Hütte, nummerierte alles durch, zerlegte alles in die Einzelteile und machte sie für den Transport bereit. Mit der Bahn des Bergwerks Schneeberg wurde das Material dann bis zum Talschluss des Ridnauntales nach Maiern gebracht. Im März 1894, mit nachlassender Lawinengefahr, war es dann soweit: Mehr als 25 Tonnen Baumaterial warteten darauf, vom 1.400 Meter hoch gelegenen Maiern auf den knapp 3.200 Meter hohen Bechergipfel geschafft zu werden. Über den tiefgefrorenen Firnschnee gelangte das Material zunächst auf Schlitten bis zum Aglsboden. Ab dort kamen Seilwinden zum Einsatz, um den enormen Höhenunterschied zu überwinden. Die Bremsbahnen im nahe gelegenen Bergbaugebiet Schneeberg standen wohl Pate für diese effiziente Art des Hinauftransportierens. Wiederum auf Schlitten ging es weiter bis unter die steile Felspyramide des Bechergipfels. Von dort an gab es nur noch eine Möglichkeit: Jedes einzelne Bauteil – darunter bis zu zwölf Meter lange und 80 Kilogramm schwere Balken – wurde auf dem Rücken eines Trägers mühsam auf den Gipfel geschafft. Am 11. April verkündete eine am Bechergipfel gehisste Fahne: Ohne größere Unfälle hatte das gesamte Baumaterial den Gipfel erreicht!

Der Bau
Ein wesentlicher Faktor für den geglückten und schnellen Transport war das überaus günstige Wetter. Doch das änderte sich nun. Schneetreiben, Sturm und eisige Kälte machten die Arbeit an der neuen Schutzhütte zur Tortur und ließen den Plan, die Eröffnung auf den Geburtstag des Kaisers am 18. August zu setzen, in weite Ferne rücken. Doch dann besserte sich das Wetter und die Arbeiten kamen wieder zügig voran und die Hütte konnte termingerecht fertiggestellt werden. Die Einweihung am 18. August 1894 wurde trotz schlechten Wetters sehr feierlich begangen. Bereits am Vormittag war das Haus übervoll, Pfarrer Bernhard Haller nahm die Einsegnung vor und Carl Arnold erinnerte in seiner Festrede an den beschwerlichen Werdegang der Hütte. Um 16 Uhr wurde schließlich das von den Sterzinger Marmorwerken ausgeführte Reliefportrait der Kaiserin Elisabeth an der Vorderseite des Hauses feierlich enthüllt. Der Name Kaiserin-Elisabeth-Haus setzte sich allerdings nie wirklich durch, schon bald war die Schutzhütte für alle das Becherhaus. Bereits im Sommer 1895 kamen 700 Besucher mit 500 Führern auf die Hütte. 1897 erhielt das Haus einen einstöckigen Zubau. Weitere Vergrößerungen folgten in den Jahren 1903 und 1905, wobei auch die Kapelle „Maria Schnee“ eingerichtet wurde. Damit erreichte das Haus die heutige Größe.

Neue Besitzer
Im Ersten Weltkrieg kamen Tourismus und Alpinismus praktisch vollkommen zum Erliegen und die Schutzhütten in Südtirol wurden allenfalls für militärische Zwecke genutzt. Als im Sommer 1920 die italienischen Militärbehörden einen Teil der Schutzhütten – darunter auch das Becherhaus – wieder für touristische Zwecke freigaben, hoffte man beim Deutschen und Österreichischen Alpenverein darauf, die Schutzhütte nach den Kriegswirren wieder übernehmen zu können. So bat die Sektion Bozen im Juli 1920 den Vorstand der Sektion Sterzing Karl Stötter, die Wiedereröffnung der freigegebenen Hütten in der Gegend vorzubereiten. Die Antwort Stötters war mehr als ernüchternd: Der Betrieb und die Bewirtschaftung von Hütten im Sektionsgebiet sei nicht möglich, „weil Touristen hier im Grenzgebiet der Zugang zu den Hütten, wie wir erfahren, von den Finanzieri überhaupt verwehrt wird“. Man müsse Verhandlungen „competenten Körperschaften und der Regierung“ überlassen, um „diese speziellen Verhältnisse“ zu regeln. Die endgültige Entscheidung über die Schutzhütten folgte mit Dekret vom 14. Februar 1921: Alle Hütten ausländischer Sektionen und Verbände wurden enteignet und dem Club Alpino Italiano CAI überantwortet. Damit war die Ära der Sektion Hannover am Becher zu Ende. Die Führung des Hauses übernahm nun die Sektion Turin des CAI, die die Hütte 1926 wieder offiziell unter dem neuen Namen „Rifugio Regina Elena – Città di Torino“ eröffnete.

Niedergang und neuer Aufschwung
1936 übernahm die CAI-Sektion Verona die Verantwortung für das Becherhaus. Auch der Zweite Weltkrieg ging an der Schutzhütte nicht spurlos vorüber. Der chronische Geldmangel der Sektion und die Verpflichtungen bei anderen Hütten taten das Ihrige dazu, dass die Schutzhütte in den 1950er Jahren zusehends verwahrloste. Das vorläufige Ende der Bewirtschaftung des Becherhauses markierte die Übernahme der Schutzhütte durch das italienische Militär im November 1964 im Interesse der nationalen Sicherheit. 1970 gab das Heer die Hütte zwar wieder frei, doch der schlechte Zustand des Hauses in Kombination mit dem Geldmangel der Sektion verhinderten eine Wiedereröffnung. 1978 nahm sich die Sektion wieder der Hütte an, nachdem eine Abordnung vor Ort den katastrophalen Zustand mit eigenen Augen gesehen hatte. Ab 1980 wurde das Becherhaus wieder bewirtschaftet und parallel saniert. 1988 übernahm das Ehepaar Elisabeth und Hermann Vantsch die Bewirtschaftung des Hauses und sie blieben der Hütte 13 Jahre lang treu. Seither ist das Becherhaus wieder ein überaus beliebtes Ziel und Stützpunkt in den Stubaier Alpen. 1999 ging das Becherhaus, wie 24 andere der ehemaligen Schutzhütten des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins von Sektionen, die nach dem Ersten Weltkrieg ihren Sitz außerhalb Italiens hatten, vom italienischen Staat an die Autonome Provinz Bozen über. Die Konzessionen des CAI für diese Hütten lief Ende 2010 aus. Seit 2001 bewirtschaftet Erich Pichler mit seiner Familie die höchste Schutzhütte Südtirols.

 

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Auszug aus einem Interview (AVS-Magazin Bergeerleben 03/19) mit Hermann Vantsch von Gislar Sulzenbacher und Evi Brigl

Hermann Vantsch hat beinahe sein ganzes Leben am Berg gelebt. Den meisten ist er als Wirt vom Becherhaus bekannt, das er 13 Jahre lang geführt hat. Wir haben mit ihm über sein Leben und Arbeiten gesprochen.

Wie bist du zum Becherhaus gekommen?
Und was bedeutete das für deine Familie? Als das Becherhaus 1988 „frei“ wurde, habe ich die Hütte übernommen. Unsere einjährige Tochter mussten wir in der ersten Saison meiner Schwester Regina im Passeiertal geben. Das war sehr hart. Für die drei Buben war schon das erste Jahr auf dem Becher super und sie haben schon fest mitgeholfen. Eine Hütte übernehmen kannst du nur, wenn dich die Familie unterstützt. Das klingt zwar nach Kinderarbeit, aber es gibt auf der Hütte auch Zeiten, wo du viel Zeit mit deinen Kindern hast.

Warst du in der Zeit als Hüttenwirt auch auf Hilfe angewiesen?
Wir haben die Hälfte der Verpflegung für das Becherhaus zu Saisonbeginn mit dem Hubschrauber hochgeflogen, dann ist der Hubschrauber noch ein, zwei Mal geflogen. Daher brauchst du Leute im Tal, die dir helfen; mal etwas einkaufen und die 12 Kilometer von Maiern aus hochbringen. Oft waren es die Bergrettungsmänner. Wenn du da jede geleistete Stunde bezahlen müsstest, kannst du es gleich vergessen.

Haben sich die 13 Jahre auf dem Becher für dich wirtschaftlich rentiert?
Ja, aber wir haben sehr viel gearbeitet. Ein Vorteil ist natürlich, dass man oben für sich und die Kinder nichts braucht. 1999 hatten wir dann einen schlechten Sommer und die Pacht ist auch gestiegen. 2000 sind wir wieder hoch zum Becher, voll Freude und Zuversicht. Der Sommer lief aber wieder nicht gut; da haben wir beschlossen aufzugeben. Ich war dann Fernfahrer bis zu meiner Pensionierung. Aber seit 2015 führen meine Frau und ich die Magdeburger Hütte. Nebenher koordiniere ich die Wegeinstandhaltung im Tal und widme mich in meiner Freizeit meiner jüngsten Bergpassion: dem Säumen.