Gesellschaft | aus aktuellem Anlass

Abtreibung in Polen

In dem Land, in dem Frauen*rechtsorganisationen von 200.000 illegalen und lebensgefährlichen Abtreibungen jährlich ausgehen, wird es bald ein absolutes Verbot geben.

Vor wenigen Tagen genehmigte der polnische Sejm in erster Lesung das bereits länger angekündigte absolute Abtreibungsverbot. Das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper wird Frauen* somit völlig genommen. Wer es sich leisten kann, ließ den Eingriff bisher im Ausland durchführen - doch nun steht selbst das unter Strafe: Bis zu fünf Jahre Gefängnis bedeutet eine Abtreibung künftig für die Betroffene und die durchführende Person. Frauen*, die sich die Treppe hinabstürzen, die Stricknadel oder Kleiderbügel zur Hand nehmen, die gefährliche Substanzen einnehmen - ein Kapitel, das der Vergangenheit angehören sollte - das Beispiel Rumänien hat es gezeigt. Dabei hatte Polen lange Zeit eine liberale Gesetzgebung in puncto Abtreibung, wie sie in Europa kaum noch existiert.

1932 wurde Abtreibung in Polen von General Piłsudski verboten, Ausnahme bildeten lediglich die Schwangerschaften, die aus Inzest oder Vergewaltigung resultierten. Dies änderte sich 1956: Nachdem es auch in der Sowjetunion unter Chrušev zu einer breiten Liberalisierung kam, zog Polen nach. Schwangerschaftsabbrüche waren von nun an auch aufgrund schwieriger Lebensumstände der betroffenen Frau erlaubt. Noch heute wird diese Gesetzeslage in der wissenschaftlichen Literatur als vorbildlich angeführt: Die "schwierige Lage" musste nicht näher ausgeführt oder nachgewiesen werden. Der Eingriff war in staatlichen Krankenhäusern von der Sozialversicherung gedeckt, die Betroffene war von der Arbeit freigestellt wie es im Falle einer Erkrankung auch üblich war.

Nach 1956

In den folgenden Jahren und Jahrzehnten kam es immer wieder zu geringfügigen Änderungen des Gesetzes. Maßgeblich waren vor allem die späten Änderungen. 1989  wurde beispielsweise eingeführt, dass die betroffene Frau die „schwierigen Lebensumstände“ nachzuweisen hatte. Es oblag außerdem nicht mehr einem_einer Ärzt_in, ob der Eingriff durchgeführt wurde, sondern einem Komitee. Der UN-Bericht „Abortion Policies. A Global Review“ zeigt im Falle Polens auf, dass die Zahl der legalen Abtreibungen mit den geringfügigen Änderungen sank. Wie sich im Vergleich dazu die Zahl der illegalen Schwangerschaftsabbrüche verhielt, lässt sich schwer bis gar nicht herausfinden.

Die Entwicklung verschärfte sich auch nach 1989 zunächst schrittweise: 1992 trat ein neuer Kodex medizinischer Ethik in Kraft. Dieser stellt natürlich kein bindendes Gesetz dar, ist aber für Mediziner_innen von maßgeblicher Bedeutung. Dieser neue Kodex verbot es Ärzt_innen, Abtreibungen vorzunehmen, wenn die Schwangerschaft nicht Resultat eines kriminellen Aktes war oder aber Lebensgefahr für die Mutter bestand. Obwohl dieser Kodex dem ursprünglichen Gesetz von 1956 klar widersprach, weigerten sich spätestens von da an zahlreiche Ärzt_innen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.

Das unersetzliche Gesetz von 1993

Das (noch) aktuelle Gesetz - das genauso ein faktisches Verbot von Abtreibung ist - stammt aus dem Jahre 1993. Ein Schwangerschaftsabbruch ist demnach nur legal, wenn die Schwangerschaft Resultat eines kriminellen Aktes ist, der Embryo starke Missbildungen aufweist oder Lebensgefahr für die Mutter besteht. Das Gesetz verbietet außerdem Abtreibungen in Privatkliniken. Spannend ist, dass bis dahin nur jene bestraft wurden, welche den Eingriff durchführten - in der Formulierung „wer den Tod des Fötus“ verursacht. Dies machte es verschiedenen Organisationen wie etwa Women on waves möglich, Betroffene aus dem Ausland zu unterstützen.

Bereits 1994 startete die Frauengruppe im polnischen Parlament den Versuch, das Gesetz zu liberalisieren - und scheiterte daran, dass Präsident, Friedensnobelpreisträger und Symbolfigur des freien Polens nach der Wende, Lech Wałęsa sich weigerte, seine Unterschrift unter das Gesetz zu setzen. Der nächste Versuch startete 1996/97, wurde aber als verfassungswidrig aufgehoben - selbstverständlich zufällig am Vorabend des Papstbesuches in Polen. Der Grund dafür: Ein Grundsatz der polnischen Verfassung ist seit 1993 der Schutz des Lebens des Fötus. Diesen aufzuheben bedürfte einer verfassungsgebenden Mehrheit.

Anders als es vielleicht aktuell den Anschein hat, geriet Polen in den letzten Jahren aufgrund seiner Politik in puncto Reproduktionsrechte immer wieder in die Schlagzeilen: Nach wie vor ist Sexualkundeunterricht nicht verpflichtend in den Lehrplan aufgenommen worden, Verhütung und Familienplanung sind tabuisiert, Verhütungsmittel nur schwer zu bekommen. Auch wenn in Polen genauso wie alle anderen EU-Staaten die „Pille danach“ rezeptfrei verkauft wird, so obliegt es doch jeder Apotheke selbst, ob sie das Präparat im Sortiment führt - auch hierzu gibt es überaus eigenartige Ethikkodizes für Pharmazeut_innen. 2012 wurde einer Vierzehnjährigen nach einer Vergewaltigung die Abtreibung zunächst verweigert, sie und ihre Mutter wurden von Kirchenvertreter_innen unter Druck gesetzt, letztendlich musste der Staat eingreifen, um den Abbruch möglich zu machen. Polen wurde daraufhin vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Strafzahlungen verurteilt, weil es die wenigen Ausnahmen seines Abtreibungsverbots umzusetzen nicht imstande war.

Und jetzt?

Was nun passiert, dass das Verbot absolut wird, ist leider keine Überraschung, sondern wurde im vergangenen Jahr immer wieder angekündigt und diskutiert. Trotz nationaler und internationaler Proteste von Opposition, Zivilgesellschaft und Frauen*rechtsorganisationen wurde das absolute Verbot nun in erster Lesung vom Sejm genehmigt. Daran ändert auch dieser Blogbeitrag nichts. Doch was er vielleicht aufzeigen kann: Die Proteste in Polen sind da - sie waren auch 1993 schon stark. Doch der autoritäre Umbau des gesamten Staates macht auch vor Selbstbestimmungsrechten von Frauen* nicht halt. Was Polen geschafft hat, ist, dass sich die Proteste für Rechtsstaatlichkeit, für Pressefreiheit und jene für Selbstbestimmung von Frauen* über ihren eigenen Körper zusammenfinden und bündeln. Das heißt, dass feministische Forderungen gleichberechtigt neben anderen stehen - ein seltener aber wichtiger Vorgang. Das hat etwas, das ich in so manchem anderen europäischen Staat sehr gerne sehen würde.

Der Beitrag wurde zunächst auf easterneuropeantrails.wordpress.com veröffentlicht.