Gesellschaft | Mystische Orte

Im Schalensteinwäldchen von Luns

Drei große Schalensteine verbergen sich im kleinen Hain von Luns bei Bruneck im Pustertal.
Luns
Foto: Martin Ruepp

 

Auf den Spuren mystischer Orte - Teil 8

 

Während man im Schatten schöner Lärchen zwischen jungen Birken, Farnen, Wildrosen, Berberitzen, Weideröschen und Wacholderstauden durch das sumpfige Wäldchen stapft und nach den prähistorischen Steinriesen Ausschau hält, begleiten einen so manche Vogelstimmen: Krächzende Kolkraben und Eichelhäher auf ihrer Suche nach Futter, hie und da ein von Stamm zu Stamm flatternder Buntspecht, und mit etwas Glück hört man den durchdringenden Schrei des Bussards, der in den Lüften seine Kreise zieht. Ganz unvermittelt steht man dann plötzlich vor einem der großen Schalensteine und fragt sich staunend: Was mag die Menschen vor Tausenden von Jahren wohl dazu bewegt haben, die vielen Schälchen hier in den Stein zu reiben?

Es ist ein wildes, gleichzeitig sehr lichtes Wäldchen und eine leicht verträumte Stimmung liegt über ihm. Zwischen Lärchensilhouetten ergibt sich ein ungehinderter Ausblick auf den ehemals heiligen Berg des Pustertals: den Kronplatz.

Den größten und beeindruckendsten Schalenstein finden wir in einer Linie mit dem Außerkröllhof, nur circa 500 Meter tiefer gelegen. Er liegt im sumpfigen Gelände nahe einer Steinmauer direkt im Schatten einer stattlichen Lärche. An die 250 Vertiefungen in unterschiedlichen Formen und Größen sind auf dem Stein verteilt. Mühelos kann man auf seine ebene Oberfläche steigen, welche zwei verschieden hohe Ebenen bildet. Die niedrigere Hälfte ist etwas schmaler, und eine Rinne in ihrem tiefsten Teil lässt an eine Absprengung denken. Die höher gelegene Fläche hingegen ist so breit, dass sie sogar mehreren Personen Platz bietet, sich auf ihr auszustrecken. Der Stein animiert dazu, hier innezuhalten, sich niederzulegen und auszuruhen. Denn er hat etwas Ruhiges, Sanftes und leicht Wehmütiges an sich und berührt die Ebene der Erinnerungen: solche an vergangene Tage, an frühere Menschen und vor allem an jene, die sie für immer verlassen haben.

 

In südwestlicher Richtung liegt der zweite Schalenstein leicht auffindbar direkt am Weg, der von Dietenheim nach Amaten führt. Seine Oberfläche ist begehbar und, so man will, beliegbar. Man möchte man in diese schönen Schälchen etwas hineingeben: Blüten, Beeren, Blätter oder kleine Lärchenzapfen, am liebsten aber Wasser. Es ist ein liebevolles symbolisches Geben an den Stein, an die Geister und die Wesen des Ortes, auch immer in Hinblick auf die Ahnenwelt, deren Angedenken auch genährt sein will.

 

Den letzten der drei großen Schalensteinblöcke finden wir nicht so mühelos wie die beiden anderen, denn er liegt verborgen zwischen Farnen und Sträuchern am südöstlichen Rand des Waldes. Er ist über und über mit Moos bedeckt, und erst als wir ihn davon befreien, zeigen sich über dreißig Vertiefungen.

 

Als letzten wollen wir noch einen vierten, ebenso außergewöhnlichen Schalenstein besuchen, der zwar nicht in unserem lieblichen Wäldchen liegt, aber nicht weit entfernt und mit den erwähnten Schalensteinen in Verbindung zu stehen scheint. Man findet ihn mitten im schattigen Nadelwald am Nordhang über Dietenheim, südöstlich vom Huber unterm Berg.

 

War es im Lärchenwäldchen zwar urwüchsig, aber dafür licht und erhebend, so hat dieser Ort eine ganz andere Ausstrahlung: Wenn man so will, fühlt es sich einsam und verhalten, ja fast verschwiegen an. Dabei ist dieser Schalenstein nicht weniger beeindruckend als seine drei Nachbarn, nur seine Lage ist etwas sonderbar. Während seine Kameraden sich nebeneinander befinden und eine freundliche und sonnige Aussicht genießen, liegt er allein und abgeschottet im dunklen Nadelwald in nordwestlicher Richtung abseits des Weges von Dietenheim nach Amaten. Sein Blickfeld, von den Bäumen verstellt, geht deutlich in Richtung Westen, ins Reich der untergehenden Sonne und damit ins Reich der Toten.