Kultur | Salto Weekend

Das Wörgler Freigeldexperiment

Der denkwürdige Börsencrash 1929 an der Wallstreet vernichtete Milliardenvermögen und riss die gesamte Welt in eine tiefe Wirtschaftskrise.
Freigeld Brücke
Foto: Unterguggenberger Institut

Geldkultur (zum Weltspartag am 31.10.) 
Teil 2. Ein Gastbeitrag von Hans Winkler

Als an der Wall Street eine gewaltige Spekulationsblase platzte, blieb der so genannte „Schwarze Freitag“ am 25. Oktober 1929 für eine gewisse Zeit das Symbol für das Ende einer großen Illusion, von Reichtum und Wohlstand für Alle!

Die Schaffung eines Geldes, das sich nicht horten lässt, würde zur Bildung von Eigentum in anderer wesentlicherer Form führen.
Albert Einstein (1878–1955)

Auch die Gemeinde Wörgl in Tirol, war mit 1.500 Arbeitslosen, bei 4.200 Einwohnern direkt von der Wirtschaftskrise betroffen. In dieser konfliktreichen, schwierigen Zeit, in der sowohl die Kommunen kein Geld hatten, als auch die Staatskassen leer waren, legte der Wörgler Bürgermeister Michael Unterguggenberger den Grundstein für ein Wirtschaftsexperiment, und bescherte dem Ort dadurch ein „Wirtschaftswunder“. Inspiriert wurde er bei seinem Vorhaben von der Freigeldidee des deutschen Kaufmanns und Sozialreformers Silvio Gesell. Gesell sah das Kernproblem des Kapitalismus in der Natur des Geldes, da es nicht wie alle anderen wirtschaftlich relevanten Güter verfault oder veraltet, sondern sich aufbewahren lässt und durch den Zins auch noch an Wert gewinnt. Bei der Einführung von Arbeitswertscheinen stellte Unterguggenberger das neue Freigeld Modell der Wörgler Bevölkerung vor: „Langsamer Geldumlauf ist die Hauptursache der bestehenden Wirtschafslähmung. Das Geld als Tauschmittel entgleitet immer mehr den Händen der schaffenden Menschen. Es versickert in den Zinskanälen und sammelt sich in den Händen weniger Menschen, die das Geld nicht mehr dem Warenmarkt zuführen, sondern als Spekulationsmittel zurückhalten. Das träge und langsam umlaufende Geld der Nationalbank muss im Bereich der Gemeinde Wörgl durch ein Umlaufmittel ersetzt werden, welches seiner Bestimmung als Tauschmittel besser nachkommt als das übliche Geld.

Da von hier aus die Welt nicht befreit werden kann, wollen wir wenigstens ein Zeichen setzen“. In Kooperation mit einer Gruppe einflussreicher Bewohner gründete er einen Wohlfahrtsausschuss und leitete folgende Schritte ein: Die Gemeinde kaufte vom Wohlfahrtsausschuss „Arbeitswertscheine“, die dann zur Bezahlung jener Arbeiten verwendet wurden, die im Auftrag der Gemeinde geschahen. Mit dem Ausbau der städtischen Infrasturktur (Straßen, Brücken, Wintersportanlagen) konnte ein Großteil der Arbeitslosen beschäftigt und mit den lokalen Arbeitswertscheinen bezahlt werden. Damit konnten sie ihre Lebensmittel und Waren bei lokalen Kaufleuten bezahlen; die Händler wiederum konnten mit den zirkulierenden Wertscheinen ihre Steuern und Gebühren bei der Gemeinde begleichen. Um die fehlende Eigenschaft der „verderbenden“ Wertscheine nachzubilden, kamen Stempel zum Einsatz, die gegen Bezahlung auf die Banknote gedruckt wurden und damit ihre Gültigkeit sicherten.

Das Horten von Geld wurde durch die anfallenden Kosten unattraktiv gemacht. Dieses Freigeld bewirkte, dass innerhalb kurzer Zeit die Hälfte der ortsansässigen Arbeitslosen eine Beschäftigung erhielt, während im gesamten österreichischen Raum die Arbeitslosigkeit um 20% zunahm. Da viele Staaten vor ähnlichen Problemen standen, fand das Wörgl-Modell großes Interesse in Europa und Amerika. So hielt sich Frankreichs Ministerpräsident Daladier im Sommer 1933 in Wörgl auf, um sich selbst ein Bild zu machen. Begeistert schrieb er: „Dieses Geld hat überaus beachtenswerte Ergebnisse gezeitigt … Die Bewohner haben mir erklärt, dass sie solches Geld, das sie leben läßt, dem Goldwahn und anderen veralteten Ideen vorziehen“.

Geld muss rosten!
Silvio Gesell (1862–1930)

Auch der Dichter Ezra Pound reiste nach Wörgl und stellte das Experiment in den Mittelpunkt seiner dichterischen Wirtschaftskritik im IXXIV der Pisaner Cantos: „…und als ein Schein der Kleinstadt Wörgl über die Theke wanderte in Innsbruck und der Bankier es wahrnahm, geriet der Geldklüngel Europas aus dem Häuschen. „Keiner“, so sprach die Frau Bürgermeister, „in diesem Dorf, der einen Artikel schreiben konnte, wusste, dass es Geld war, doch gaben vor, es sei keins, um sicher zu gehen vor dem Gesetz.“

Da die Gemeinde Wörgl immer mehr Aufsehen erregte und viele andere Städte zur Nachahmung inspirierte, veranlassten die Regierung und die Nationlalbank in Österreich, das Verbot und den Einzug des Freigeldes im Jahr 1933. Nur 50 Kilometer von Wörgl entfernt rief 70 Jahre später eine Gruppe um den Wirtschaftslehrer Christian Gelleri das mittlerweile erfolgreichste deutsche Regionalwährungssystem ins Leben. Basierend auf Silvio Gesells „verderbendem“ Geld kursieren derzeit mehr als 80.000 „Chiemgauer“ im Landkreis Rosenheim.