„Alle Stadtviertel waren skeptisch“
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Laut Aussagen des Bozner Bürgermeisters Claudio Corrarati konnten bereits 45 Freiwillige für das Projekt der Nachbarschaftskontrolle gefunden werden. Die Idee: Freiwillige sollen als zusätzlichs Wachpersonal im Stadtviertel dienen und Hinweise direkt an die Polizei weitergeben. Während die Landeshauptstadt das Projekt motiviert vorantreibt, hat Meran eine ähnliche Initiative heuer wieder verworfen. Der damalige Initiator, Ex-Bürgermeister von Meran Dario Dal Medico, und Katharina Zeller, die amtierende Bürgermeisterin, zeichnen ein unterschiedliches Bild.
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Meran bereitet den Weg
Dario Dal Medico: steht nach wie vor hinter dem damaligen Pilotprojekt der Nachbarschaftswache in Meran. Foto: Andy Odierno/SALTODal Medico hatte die Nachbarschaftswache in seiner Amtszeit eingeführt und spricht von einem „dreijährigen Entwicklungsprozess“, der Meran zum „ersten Pilotstandort in Südtirol“ gemacht habe. In Abstimmung mit dem Regierungskommissariat, dem Innenministerium und der Polizei seien Protokolle ausgearbeitet und erste Freiwillige evaluiert worden. „Es war eine positive Diskussion, am Ende haben wir einstimmig entschieden, weiterzugehen“, sagt Dal Medico. „Wir wollten bewusst klein beginnen – ein, zwei Viertel – und dann wachsen.“
Der frühere Bürgermeister kritisiert, dass seine Nachfolgerin das Projekt „nach nur wenigen Monaten“ gestoppt habe – obwohl sie während seiner Amtszeit zustimmend gewesen sei. Für ihn handelt es sich um ein „kostengünstiges, streng reguliertes Instrument, das Bürgerinnen und Bürger einbindet, ohne Risiken“. Dal Medico betont zudem, dass andere Städte – etwa Verona – mit ähnlichen Modellen gute Erfahrungen gemacht hätten. „Dennoch bin ich froh, dass wir anderen den Weg bereitet haben“, so sein Fazit.
Auf die Frage, ob sich in Meran Freiwillige gefunden hätten, antwortet Dal Medico: „Nicht so viele wie in Bozen, aber doch einige“. Die genaue Anzahl oder Namen konnten allerdings nicht genannt werden. Die Pilotphase des Projekts begann in Meran mit Beginn des Jahres 2025.Ein Konzept ohne RückhaltKatharina Zeller: sieht es als deutliches Zeichen, dass das Projekt bei Merans Bevölkerung keinen Rückhalt fand. Foto: Andy Odierno/SALTOKatharina Zeller widerspricht dieser Darstellung klar: Das Projekt sei „nie richtig gestartet und in der Bevölkerung kaum auf Akzeptanz gestoßen“, so die amtierende Bürgermeisterin. Es habe schlicht nie genügend Freiwillige gegeben. „Alle Stadtviertel haben sich skeptisch gezeigt oder dagegen ausgesprochen. Das Projekt wurde nicht angenommen und das ist ein deutliches Zeichen“, so Zeller. Zudem argumentiert sie: „Die Sorge, dass man die Menschen dazu aufruft, ihre Nachbarn zu bespitzeln, hatte für viele einen komischen Beigeschmack“.
Zeller erinnert daran, dass Meran vor Einführung des Projekts eine Phase erlebt habe, in der mehrere Zwischenfälle für Unsicherheit sorgten und „gefühlt nichts passiert“ sei. In einer Situation, in der viele nach mehr Sicherheit verlangten, sei es schwer gewesen, das Projekt von Beginn an abzulehnen. Doch im Laufe der Zeit habe sich gezeigt, dass die Initiative in der Bevölkerung kaum Rückhalt fand.
Wie funktionierte Merans Nachbarschaftswache?Für Dal Medico besteht die Nachbarschaftswache aus „ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern, die ihrem Alltag nachgehen und nichts anderes tun als zuvor“. Sie seien Geschäftsleute, Berufstätige oder Pensionisten, die in ihrem jeweiligen Stadtviertel leben und bei Auffälligkeiten – sei es jemand, der Hilfe braucht, eine potenziell gefährliche Situation oder ein mögliches Delikt – über einen direkten Kanal zum Stadtviertel-Koordinator der Nachbarschaftswache Auffälligkeiten melden. Dieser wiederum informiert die lokalen Ordnungskräfte. Verpflichtungen wie feste Arbeitszeiten oder gar nächtliche Runden seien völlig ausgeschlossen: „Diese Menschen leben ihr Leben ganz normal weiter, haben aber einen geschulten Blick für bestimmte Situationen und wissen, wen sie im Ernstfall kontaktieren müssen.“
„Meldungen kriegen wir ja die ganze Zeit, aber es gilt zu sehen, wie dann interveniert wird.”
Dal Medico weist die Kritik zurück, eine Nachbarschaftswache könne in eine Art „Netz von Denunzianten“ ausarten. Die Sorge sei widersprüchlich: „Alle fordern mehr Präsenz und mehr Kontrollen – und wenn sie kommen, haben plötzlich alle Angst davor.“ In Meran existierten ohnehin bereits informelle Strukturen, so Dal Medico, etwa aktive WhatsApp-Gruppen von Geschäftsleuten, die sich gegenseitig über verdächtige Personen oder Diebstähle informieren. Das sei im Grunde nichts anderes als eine rudimentäre Form der Nachbarschaftskontrolle. Es sei absurd, so Dal Medico, dies zu kritisieren: „Wer Angst vor Kontrollen hat, hat meistens etwas zu verbergen. Ich habe keine Angst, kontrolliert zu werden“.
Demgegenüber betont Zeller eine starke Kultur der Nachbarschaftshilfe und Vereinsarbeit in Meran. „Diese Strukturen tragen mehr zum Zusammenhalt bei als ein System, das potenziell als Überwachungsinstrument wahrgenommen wird“, so die Bürgermeisterin.
„Ein unangenehmer Beigeschmack“
Statt auf Nachbarschaftswachen setzt Zeller derzeit auf die engere Zusammenarbeit mit Polizei, Staatsanwaltschaft und Regierungskommissariat, um bei wiederkehrenden Delikten rascher Maßnahmen setzen zu können. „Die Schwierigkeit liegt nicht im Herausfinden von Ursachen oder Schuldigen. Meistens ist bekannt, wo das Problem liegt. Wichtig ist, dass danach die Konsequenzen gezogen werden. Meldungen kriegen wir die ganze Zeit, aber wichtig ist die Intervention”, erklärt Zeller. Konkrete Interventionspunkte seien derzeit das vermutete Bordell in einem chinesischen Massagesalon und besetzte Wohnungen.
Zellers Blick nach Bozen ist von ZUrückhaltung geprägt: Sollte das Projekt dort funktionieren und von der Bevölkerung getragen werden, sei das zu respektieren. Dennoch zeigt sich die Meraner Bürgermeisterin nicht als Fan von einem Projekt, an dem ein „unangenehmer Beigeschmack“ haftet und der an „dunklere Zeiten“ erinnere.
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