Politik | Wien Wahl

Wien bleibt rote Hochburg

Trotz leichter Verluste hat Bürgermeister Ludwig (SPÖ) die Wahl zwischen drei Koalitionspartnern.
Michael Ludwig
Foto: Michael Ludwig
  • Dass die Sozialdemokraten stärkste Kraft in der Hauptstadt – die zugleich mit zwei Millionen Bewohnern auch das größte der neun österreichischen Bundesländer ist – bleiben und wie seit 1945 den Bürgermeister stellen werden, hatten die Meinungsumfragen richtig vorausgesehen. Aber in Zeiten der allgemeinen Volatilität von Wahlergebnissen und politischer Kräfteverhältnisse, stellt die Wiener Stabilität doch eine Ausnahme dar. Immerhin waren die letzten fünf Jahre von bedeutenden Krisen und Erschütterungen geprägt: die COVID-Pandemie, der Aggressionskrieg Russlands in der Ukraine, Energiekrise, Lieferketten- und Inflationsschock, Rechtsruck in zahlreichen europäischen Ländern und schließlich das 100-Tage-Chaos durch die Rückkehr Donald Trumps an die Macht. Daran gemessen, könnte man die Wiener Ergebnisse geradezu als Antithese zum grassierenden Populismus sehen.

  • Foto: ORF/APA/Foresight
  • Viele Gewinner und eine Flurbereinigung

    Mit 0,5% unter den angepeilten 40% können Michael Ludwig und die SPÖ durchaus äußerst zufrieden sein. Zudem muss man den 2,4%-Zuwachs der NEOS ebenso teilweise Ludwig zuschreiben, weil ja er es war, der die Liberalen anstelle der vormals mitregierenden Grünen zu Koalitionspartnern gemacht hat. Ebenso begeistert zeigten sich am Wahlabend die Grünen. Aufgrund ihrer Arbeit als kleiner Koalitionspartner der ÖVP in der Bundesregierung, hatten sie viel Zuspruch unter ihren Anhängern verloren und lagen in den Umfragen vor einem knappen Jahr noch unter 10%. Dass sie in Wien ihr historisch bestes Ergebnis von 14,8 nur um 0,3% verpassten, zeugt von einer gelungenen Mobilisierung und auch davon, dass ihr sehr konsequenter Kurs in Sachen Umweltpolitik wieder honoriert wird. Der dezidiert linken KPÖ, die zuletzt in Graz und Salzburg spektakuläre Wahlerfolge und Popularität errungen hat, bleibt der Einzug in den Wiener Gemeinderat/Landtag zwar knapp verwehrt, aber die Verdoppelung ihrer Stimmen und ihrer Bekanntheit ist für sie ebenso ein Erfolg. 

  • Nicht gering zu schätzen ist natürlich die Verdreifachung der Stimmen für die FPÖ auf 20,4%, worüber ihre Vertreter jubeln. Aber dieses Ergebnis muss doch kontextualisiert werden. Denn bei der Wien-Wahl 2015 hatte die FPÖ mit dem Spitzenkandidaten H.C. Strache 30,79% erzielt. Der Absturz auf 7,11% im Jahr 2020 war ja die Folge des Skandals um das berühmt-berüchtigte IBIZA-Video und der daraufhin gefallenen Bundesregierung. Somit ist das neuerliche 20%-Ergebnis der Freiheitlichen durchaus eine teilweise Rückholung ihrer Wähler, aber weit entfernt vom Ergebnis der Parlamentswahl vom September 2024, als die FPÖ mit Herbert Kickl und fast 29% zur stärksten Partei wurde. Ebenso in diesem Kontext zu sehen ist das Ergebnis der ÖVP. Ihre für Wien außerordentlichen 20+% von denen sie jetzt auf die Hälfte abgestürzt ist, hatte sie 2020 dem populären Zugpferd Sebastian Kurz zu verdanken – nicht zuletzt, weil dieser enttäuschte FPÖ-Wähler binden konnte. Das Ergebnis dieser osmotischen Wanderungen zwischen den Konservativen und der extrem rechten Partei ist jedenfalls eine Rückkehr zu einer Radikalisierung der Rechten auch in Wien.

  • Foto: Schaub-Walzer / PID
  • Welche Stadt- und Landesregierung?

    Dass Michael Ludwig am liebsten die bisherige Koalition mit den NEOS fortführen will, ist ein offenes Geheimnis. Seit Jahren gibt es heftigen Streit zwischen den Grünen und der SPÖ über den geplanten Bau eines großen Tunnels zur Stadtumfahrung und zur Entlastung der Stadtautobahn. Die Grünen bekämpfen das 6-Milliarden-Projekt, weil es unter dem Erholungsgebiet Lobau errichtet werden soll. Aber auch in Fragen des Wirtschaftsstandortes und der Migration sind sich Ludwig und die Liberalen näher. Trotzdem will Ludwig auch mit den Grünen und der ÖVP Sondierungsgespräche führen, auch wenn es dabei wohl hauptsächlich darum geht, die Form zu wahren und vor allem alle Joker beim Verhandeln eines neuen Abkommens mit den NEOS in der Hand zu haben.

  • Hochgelobte Lebensqualität Wiens trotz Schattenseiten

    Seit Jahren rangiert Wien in den Rankings internationaler Organisationen und Medien an der Spitze der Tabellen, wenn es um die Bewertung der Lebensqualität, Verkehr, Sicherheit, Umwelt etc. geht. Allein in den letzten drei Jahren adelte der britische „The Economist“ Wien mit dem 1. Platz. Ihren legendären Ruf als das „Rote Wien“ erlangte die österreichische Hauptstadt in den Jahren zwischen dem Ende des 1. Weltkrieges und dem Staatsstreich der Austrofaschisten unter Engelbert Dollfuss 1933. Die sozialistische Stadtregierung sorgte nicht nur für Wiederaufbau und Infrastruktur, sondern auch für Sozial-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen und vor allem für den großangelegten sozialen Wohnbau. Noch heute kommen Architekturstudenten aus aller Welt zur Besichtigung der nach wie vor bestehenden Gemeindebauten – und auch gegenwärtig leben mehr als 50 Prozent der Mieter Wiens im sozialen oder geförderten Wohnbau. Als Hauptstadt des Habsburgerreiches hatte Wien zur Zeit des 1. Weltkrieges schon zwei Millionen Einwohner. Während des Kalten Krieges und aufgrund des Eisernen Vorhangs sank diese Zahl auf anderthalb Millionen. Seit dem Zerfall des Sowjetimperiums und des Warschauer Paktes begann Wien wieder zu wachsen, in den letzten zehn Jahren sogar rasant, so dass jetzt wieder die 2-Millionen-Grenze überschritten wurde. Das hat zu einer enormen Vitalisierung, Verjüngung und kulturellen Bereicherung und zu wirtschaftlichem Aufschwung Wiens geführt. Aber es stellt die Stadt auch vor große Herausforderungen. Trotz permanenten Ausbaus sind die öffentlichen Verkehrsmittel ebenso wie der Straßenverkehr in den Stoßzeiten oft an der Belastungsgrenze. Das Sanitätswesen und die Gesundheitsversorgung sind fachlich auf hohem Niveau aber quantitativ überlastet, teils extrem lange Wartezeiten für Kassapatienten der Alltag. Dass Schüler in Not-Containern unterrichtet werden müssen und aufgrund des Lehrermangels die Behörden händeringend um Quereinsteiger ohne ausreichende pädagogische Ausbildung werben müssen, sorgt für anhaltende Krisenstimmung im Bildungswesen. 

  • Foto: ORF/APA/Foresight
  • Flucht, Zuwanderung und Integration

    Ebenso wie Deutschland gehört Österreich zu der Handvoll EU-Länder mit der höchsten Rate an Geflüchteten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Deshalb hat die neue Regierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS jetzt eine vorübergehende Suspendierung des Familiennachzugs beschlossen. Und nachdem die eigentlich beschlossene Verteilung von Zuwanderern auf die neun Bundesländer nicht wirklich eingehalten wird, hat Wien einen besonders hohen Anteil an Asylwerbern, Asylberechtigten oder Migranten mit subsidiärem Schutz und somit auch an Empfängern von Mindestsicherung oder Grundversorgung, darunter mehrere tausend aus der Ukraine. Insgesamt haben 49% der Wiener*innen einen Migrationshintergrund erster oder zweiter Generation (also schon in Österreich geboren), österreichweit sind es rund 27%. Und 34% aller Wiener*innen haben keine österreichische Staatsbürgerschaft, wobei fast die Hälfte von ihnen aus EU-Staaten stammt und die Bürger aus Deutschland dabei an der Spitze stehen. Unter der größten und problematischen Überlastung leiden die Schulen aufgrund der hohen Anzahl von Kindern und Jugendlichen mit mangelnden Deutschkenntnissen. Das führt zwangsläufig zu Defiziten bei der Integration, dem weiteren Bildungsweg, der Arbeitssuche. Richtiggehende Ausländer-Ghettos wie man sie in Frankreich, Belgien oder London kennt, gibt es in Wien nicht. Trotzdem gibt es Bezirke mit sehr starker migrantischer Präsenz und ein halbes Dutzend sogenannte „Hotspots“, in denen auch verstärkt Klein- und Jugendkriminalität für Verunsicherung und Probleme im Zusammenleben sorgen. Die anlässlich der jetzigen Wahl durchgeführten Vorwahlbefragungen haben ergeben, dass Zuwanderung, mangelnde Integration und Sicherheit an erster Stelle der diskutierten Probleme genannt wurden. Die neue Bundesregierung hat schon eine Serie neuer Maßnahmen zur verpflichtenden Teilnahme an Integrationsprogrammen beschlossen. Und im Wien-Wahlkampf haben alle Parteien ebenso solche Maßnahmen versprochen. Bundespolitisch bedeuten die Ergebnisse der Wien-Wahl, bei der immerhin jeder sechste Wahlberechtigte Österreichs zur Urne gerufen war, eine klare Stärkung der seit zwei Monaten amtierenden Regierung, zu deren Bildung der mächtige Wiener Bürgermeister und Landeshauptmann Michael Ludwig wesentlich beigetragen hat.

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