Kultur | Salto Afternoon

Ein Plus an Bewegung

Ohne Motto, aber mit der Willensbekundung, aus dem Pandemie-Betrieb mit Restriktionen zurückzukommen stellte man heute das Programm der 22. Edition von transart vor.
Transart: Oozing Earth
Foto: Transart
Die Programmpunkte von transart22 stellte man nicht im einzelnen vor, um den eine Bühne für anwesenden Künstlern für ihre Worte zu geben. Das war kein generisches Maskulinum, aber, wie Direktor Peter Paul Kainrath beteuerte auch keine bewusste Entscheidung, sondern der aktuellen Anwesenheit auf dem Territorium geschuldet. Nach Grußworten von Sponsoren und Politik ging es am Teich des NOI Techparks in medias res.
Bei der Eröffnung am 7. September in der Bozner Bahnhofsremise verspricht man mit „Oozing Earth“ den Überschreitungscharakter des Festivals zu bedienen. Das multinationale Ensemble Modern trifft auf Flo Murnier (Metalheads bekannt als Drummer von Crytopsy) und Attila Cshiar (Mayhem), für ihre Version einer Apokalypse.
Das nächste, aus einer bedeutend leiseren Grundstimmung heraus gesetzte Ausrufezeichen dürfte am 10. September im Kloster Marienberg in Mals gesetzt werden: Vor drei Jahren zog sich der Südtiroler Komponist Eduard Demetz dort für eine Woche zurück und erfuhr von einem anderen, seit 900 Jahren anhaltenden und durch je fünf Gebete am Tag geprägten Rhythmus. Daraus ging seine neueste Komposition „Atlas der schönen Welten“ hervor, die er in Zusammenarbeit mit Literatur Lana mit zwei Textsträngen verschränkt hat: Dem „Registrum“ von Goswin von Marienbergs (um 1400) und „Atemschaukel“ der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller von 2009, in welchen sich Leitmotive festmachen ließen: Der Hunger und das Gebet. Zur Uraufführung wird „Atlas der schönen Welten“ vom Ensemble Windkraft gebracht werden.
 
 
Vorzumerken kann man sich auch den Termin am 13. September im Bozner Stadttheater „Billy’s Violence“ der Needcompany. „Quentin Tarantino wirkt wie ein Chorknabe angesichts der ungebändigten Gewalt bei Shakespeare.“, Jan Lauwers der für Szenografie und Kostüme verantwortlich zeichnet. Zehn Werke Shakespeares voller Gewalt und Sex werden mit Fokus auf die Frau im Mittelpunkt zu einem Stück verdichtet, dass hinterfragt ob und wie sich unser Verhältnis zu fiktiver Gewalt seit dem 16./17. Jahrhundert verändert hat.
Spannend dürfte auch die diesjährige Neuauflage des Festival-Fixpunkts „Inaudito“ sein, welches mit „Frische / Otium“ in diesem Jahr am 18. September auf das Vigiljoch übersiedelt, um dort die historischen Sommerfrisch-Häuser um den 100 Jahre alten Sessellift durch das mdi Ensemble zu bespielen. Bei „Inaudito“ handelt es sich um mehrere, auf Räume aufgeteilte Kleinkonzerte, bei welchen man sich seine Konzerterlebnisse selbst zusammenstellen kann. Drei Fragen an den Kurator des Projekts Hannes Kerschbaumer folgen am Ende des Artikels.
Zwei russisch-ukrainische Abende dürfen in einem Festival, das sich zeitgenössisch und kritisch positionieren möchte nicht fehlen: Zuerst treffen die beiden am 21. September im Bozner Dormizil aufeinander, für „Stimmen / Voci - Stimmlos / Senza voce“. 2018 bei einer Reise durch die Ukraine entstandene Aufnahmen von den Stimmen alter ukrainischer Frauen überlagern die der russischen Komponistin und Sängerin Natalia Pschenitschnikova, welche sie mittlerweile als „Ausdruck tiefer Bewunderung für die Freiheit der Ukrainer“ versteht. Gemeinsam mit der Sängerin Viktoriia Vitrenko performt sie ein Stück über Stille und Starre.
Pschenitschnikova und Vitrenko sind auch Teil des Abschlusskonzertes „Cantata“ mit dem Haydn Orchester. Das von der ukrainischen Dirigentin Vitrenko kuratiert und geleitete Konzert, von Maxim Kolomiiets und Valentin Silvestrov komponierte Stück widmet sich, ausgehend vom „Espenbaum“ des ukrainischen Komponisten Maxim Kolomiiets, welcher wiederum von Paul Celans Gedicht inspiriert wurde, andächtigen Themen: Trauer, innere Energien und eine persönliche Verbundenheit mit der Ukraine im Sopran Pschenitschnikovas in Kolomiiets Kantate Nr. 8. Man beendet den Abend mit einem „filigranen DJ-Set von DJ Innerlicht“.
Wer es weniger filigran mag, der darf sich vorab auch schon freuen: Die Partnerschaft transarts mit Mutek nimmt auch wieder zwei Termine für sich ein: Zum einen ein Audio-Visual Experience  im Noi Techpark am 22. September und zum anderen, nach zwei Jahren Pause wieder ein „Advanced Clubbing“, nachts darauf im Museion. Immer unter der Voraussetzung, dass es neue Corona-Maßnamen nicht unmöglich machen.
 
 
Salto.bz: Herr Kerschbaumer, verändert sich das Format von „Inaudito“ dadurch, dass man statt verschiedenen Räumen nun Häuser bespielt? Entsteht ein Moment der Stille?
 
Hannes Kerschbaumer: Das ist sicher ein wichtiger Aspekt, mit der Stille. Das Format in seiner Gesamtheit verändert sich nicht drastisch. Wir hatten diese Idee von vielschichtigen Räumen, das nehmen wir mit aus der Universität oder der Stiftung Antonio Dalle Nogare, wo es immer verschiedene Räume sind. Hier ist es spannend, dass jedes von den Häuschen von seiner Geschichte her extrem aufgeladen ist und sein ganz eigenes Flair hat. Den Aspekt des Wanders zwischen den Orten haben wir zum Innehalten als wichtig empfunden. Das war in den verschachtelten Akustiken der vorhergegangenen Räume nicht möglich. Wir haben zuvor den Kontakt mit der Natur noch nicht erwähnt: Es gibt auch Performances im Freien, etwa durch den Performance-Künstler Dario Buccino, der eine spezielle Art der Interaktion mit der Umwelt entworfen hat, die er zwischen den Bäumen umsetzt.
 
WIe fand die Zuweisung der Künstler zu den einzelnen Orten statt? Hat diese die Kuration übernommen, oder war ein Lokalaugenschein möglich?
 
Das war beides. Wir waren natürlich in allen Häusern drinnen, die wir bespielen können und da haben sich auch ganz banale Möglichkeiten gezeigt, etwa: Gibt es Häuser mit Klavier? Wir haben zwei Häuser mit Klavieren, daraus ergeben sich gewisse Wegmarken. Dann haben wir versucht gemeinsam mit dem Ensemble mdi den Parcour zu gestalten, der es ermöglicht, dass zwei Stränge gleichzeitig ablaufen: Man kann sich das Programm vom oberen oder unteren Bereich erschließen. Man ist da sehr frei. Diese genaue Strukturierung war mit Covid ein Problem. Es war eine Interaktion mit den Räumlichkeiten, die zum Teil das Programm mit kreiert haben.
 
 
Man hat davor auch von  den historisch aufgeladenen Orten gesprochen, dass dort das Sommerdomizil eines NS-Offiziers fünf Häuser von der Unterkunft geflüchteter Juden entfernt ist. Wie setzt man sich in einem modernen Kulturangebot mit dieser Spannung auseinander?
 
Wir reflektieren in diesem Falle, den historischen Background auf einer zweiten Ebene, die dazu kommt. Wir haben uns primär von den jetzigen Besitzern, welche dort sind inspirieren lassen. Einige vor Ort haben uns erzählt, was da an Geschichten da ist. Die Musik gibt uns die Möglichkeit verschiedene Herangehensweisen zu finden. Wir haben ein Programm, das umspannt tatsächlich 100 Jahre: Wir haben Stücke von den Anfängen der 20er-Jahre, der Geburtsstunde der neuen Musik, bis rauf, über die 40er-, 50er-, 60er-Jahre und bis ins heute. Da haben wir verschiedene ästhetische Standpunkte, die natürlich auch über diese Dinge, aber über Musik reflektieren.