Wirtschaft | Banken
Class Action & Zermürbungstaktik
Foto: Salto.bz
Massimo Cerniglia sagt es an diesem Nachmittag unmissverständlich gleich mehrmals: „Es geht uns nicht darum, Prozesse gegen Banken zu führen, sondern darum, dass die Bankenführungen Verantwortung übernehmen und die geschädigten Aktionäre und Sparer zu ihrem Recht kommen“.
Der römische Rechtsanwalt und Uniprofessor, sein Mitarbeiter Alessandro Caponi und der Verbraucherschützer Walter Andreaus haben am Mittwoch im Bozner Kolpinghaus zur Pressekonferenz geladen. Das Aktionärskomitee Südtirol und die Verbrauchervereinigungen Robin und Centro Cosumatori Italia starten einen Generalangriff auf die Südtiroler Volksbank. „Wir tun etwas, was es in Südtirol bisher noch nie geben hat“, sagt Walter Andreaus, „wir gehen mit einer Sammelklage gegen eine Bank vor“.
Genauer gesagt sind es gleich zwei Sammelklagen (Class Actions), die Massimo Cerniglia in den nächsten Wochen beim Unternehmensgericht in Venedig gegen die Südtiroler Volksbank hinterlegen wird. Es ist ein Schritt, mit dem ganz bewusst die juristische Auseinandersetzung auf eine neue Ebene gehoben wird.
Seit Jahren kämpfen Massimo Cerniglia und seine Mitstreiter für Aktionäre und Kleinsparer vor Gericht gegen verschiedene Banken, darunter auch alle Südtiroler: Raiffeisen, Sparkasse und Volksbank. Dabei hat der Bankenfachmann mehrere Gruppenklagen betreut. Jetzt aber greift man erstmals zum Instrument der Sammelklage. „Sie ist schnell, unkompliziert und äußerst kostengünstig“, meint Walter Andreaus. Ein oder zwei Sparer werden die Sammelklage vor Gericht einreichen. Wird sie vom Gericht zugelassen, kann sich dann jeder Geschädigte in das Verfahren einlassen. „Potenziell kann es 28.000 Klägerinnen und Kläger geben“, beschreibt Alessandro Caponi die Lawine, die auf die Volksbank zurollen könnte.
Die Kapitalerhöhung
Ausgangspunkt der Klage ist die Kapitalerhöhung und die Umwandlung der Volksbank in eine Aktiengesellschaft 2015/2016. Ende 2015 hat die Südtiroler Volksbank zur Aufstockung ihres Eigenkapitals fast fünf Millionen neue Aktien ausgegeben; über 95,7 Millionen Euro brachte diese Aktion. 28.000 Menschen kauften die Aktien. 26.800 davon waren bereits Volksbank-Aktionäre, 1.200 stiegen neu ein. Der Preis der Aktie: 19,20 Euro. Festgelegt nicht etwa durch ein unabhängiges Schätzgutachten, sondern per Beschluss des Verwaltungsrates.
Wenige Monate später folgt dann die Ernüchterung. Bei der Umwandlung der Genossenschaftsbank in eine Aktiengesellschaft können Gesellschafter von einem gesetzlich festgelegten Rücktrittsrecht Gebrauch machen. Ein Sachverständigengutachten legt den Aktienpreis, den die Bank diesen scheidenden Gesellschaftern zahlt, auf 12,10 Euro fest.
Spätestens damit wird klar, dass der Aktienpreis 10 Monate zuvor deutlich zu hoch angesetzt worden war. Es brandet ein Sturm der Empörung auf, und Hunderte Volksbank-Aktionäre wenden sich an das Südtiroler Aktionärskomitee und Massimo Cerniglia.
Die Verbraucherschützer und der römische Anwalt nehmen sich der Fälle an und fahren von Anfang an eine zweigleisige Strategie.
Zum einen reicht man einige wenige Musterklagen gegen die Volksbank beim Landesgericht Bozen ein. Zum anderen aber hinterlegt man im Namen der Aktionäre hunderte Beschwerden beim Finanzschiedsgericht (ACF) der italienischen Börsenaufsicht Consob.
Problematische Information
Das Finanzschiedsgericht der Börsenaufsicht hat inzwischen 40 Entscheidungen gefällt, in denen ein unkorrektes Verhalten der Südtiroler Volksbank zum Schaden der Aktienkäufer festgestellt wird.
Das unabhängige Expertengremium kommt zum Schluss, dass die Volksbank beim Verkauf ihrer Aktien nicht die Verhaltensregeln des Einheitstextes für das Kreditwesen und der Consob-Verordnungen eingehalten hat, mit denen die MiFID-Richtlinien (2004 und 2006) umgesetzt wurden. Vor allem aber wurde in den gesetzlich vorgeschriebenen Broschüren wörtlich erklärt, dass der Preis der Aktien im Laufe der Zeit nicht niedriger sein kann bzw. wird als der bei der Platzierung der Aktien gezahlte Ausgabepreis.
Diese Erklärung wurde vom Finanzschiedsgericht als irreführend angesehen und „habe die notwendige, freie und bewusste Entscheidung der Sparer vereitelt.“ Daraus sei laut dem Schiedsgericht den Betroffenen ein schwerer Schaden entstanden, da die Aktien im Vergleich zum Kaufpreis fast 50 % an Wert verloren haben.
Dieses Urteil einer institutionellen und von den Banken anerkannten Schiedskommission ist jetzt auch der Kernpunkt der ersten Sammelklage. „Hier wurden alle 28.000 Käuferinnen und Käufer mit falschen Informationen in die Irre geführt“, sagt Massimo Cerniglia.
73 Prozent zu viel
In der zweiten Class Action geht es hingegen um den anläßlich der Kapitalerhöhung 2015 von der Bank festgelegten Wert von 19,20 € je Aktie. Im Rechtsstreit der ausgeschiedenen Aktionäre vor dem Bozner Landesgericht wurde ein Gerichtssachverständiger ernannt, der den Wert der Volksbank-Aktien zum fraglichen Zeitpunkt mit 11,04 Euro je Aktie ermittelte. Walter Andreaus: „Die Volksbank scheint daher bei der Platzierung einen überhöhten Preis verlangt zu haben, einen Aufpreis von mehr als 73% gegenüber dem realen Wert der betreffenden Aktien.“
Alles das mache deutlich, dass die Bank den europäischen Grundsatz des ehrlichen und fairen Handelns nicht beachtet habe und dementsprechend den Sparern ein erheblicher Schaden entstanden ist. Derzeit wird die Volksbank-Aktien auf der Hi-MTF-Plattform mit rund 9,00 € gehandelt. De facto ist die Aktie aber fast unverkäuflich. „Wir haben einen konkreten Fall, wo ein Sparer in den letzten drei Jahren 21-mal vergeblich versucht hat, seine Aktien auf diese Plattform zu verkaufen“, plaudert Alessandro Caponi aus der Schule.
Mit den Sammelklagen will man jetzt erreichen, dass das Gericht den Aktionären zumindest einen Schadenersatz in Höhe der Differenz zwischen dem Kaufpreis der Aktien und ihres tatsächlichen Wertes - wie vom Gerichtssachverständigen des Landesgerichts Bozen festgestellt- zuspricht.
„Unmögliches Verhalten“
Die amtierende Führung der Volksbank hat einiges dazugetan, dass es überhaupt zu diesen zwei Sammelklagen gekommen ist. „Die Zermürbungstaktik der Südtiroler Volksbank gegenüber ihren geschädigten Aktionären hat den Ausschlag gegeben, diesen Schritt zu tun“, sagt Walter Andreaus.
Denn die Volksbank hat nicht nur den Großteil der Schiedssprüche des Finanzschiedsgericht (ACF) mehr oder weniger ignoriert. Die Bank hat auch einen Schritt getan, den man als böses Foul auf dem Spielfeld für Kontroversen dieser Art bezeichnen kann.
Das Aktionärskomitee hat bisher 2.000 schriftliche Beschwerden bei der Volksbank eingereicht. Normalerweise setzen sich die Bankverantwortlichen spätestens in dieser Situation mit den Vertretern der Kläger - dem Aktionärskomitee - in Verbindung, um eine einvernehmliche Lösung auszuloten.
Doch die Volksbank hat sich bisher nicht gemeldet. Im Gegenteil: Die Beschwerdeführer werden von der Bank einzeln vorgeladen und zu einer Mediation vor der Anwaltskammer geladen. Dort handelt man dann individuelle Entschädigungen aus, die weit unter dem Wert liegen, der den Klageführern zustehhen dürfte.
„Das Verhalten der Bank erinnert an das 18. Jahrhundert“, kanzelt Massimo Cerniglia diesen Versuch der Volksbankführung ab, die Kläger auseinanderzudividieren.
Diese Aktion der Bank sei der berühmte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte und letztlich mit auschlaggebend für die Sammelklagen ist.
Einigung mit Sparkasse
Dass es auch anderes gehen kann, macht ausgerechnet eine anderen Südtiroler Bank vor, die jahrelang mit noch drastischeren Verfehlung in den Schlagzeilen und in den Ermittlungsakten der Bozner Staatsanwaltschaft landete.
Auf der Pressekonferenz am Mittwoch wurde ausschließlich über die Volksbank geredet.
Was aber ist mit der Südtiroler Sparkasse?
Auch dort vertreten Massimo Cerniglia und das Aktionärskomitee in ähnlichen Streitfällen hunderte Kläger und Aktionäre, die sich bei den Kapitalerhöhungen 2008 und 2012 hinters Licht geführt fühlen. Es gibt Klagen und offizielle Beschwerden. „Ich werde hier keinerlei Aussagen tätigen“, wiegelt Cerniglia eine konkrete Nachfrage an diesem Tag ab, „denn es handelt sich um vertrauliche, berufliche Informationen“.
Dabei hat die Ruhe im Hause Sparkasse einen einfachen Grund. Nach gesicherten Informationen von Salto.bz gibt es nicht nur seit vielen Monaten Gespräche auf Augenhöhe zwischen den Anwälten der Verbraucherorganisationen und der Sparkassenführung, sondern auch bereits konkrete Lösungen.
So soll man für rund 250 Sparer, die sich als Geschädigte der Kapitalerhöhung 2008 ansehen, eine einvernehmliche Lösung gefunden haben. Man spricht von rund 4 Millionen Euro, die die Sparkasse den Sparern freiwillig rückerstattet hat.
Aber auch für den größeren Brocken, der die Kapitalerhöhung 2012 betrifft, ist man dabei, still und leise eine einvernehmliche Lösung zu suchen.
Dabei greift man auch auf eine bewährte Methode zurück, die Massimo Cerniglia zum ersten Mal vor über zehn Jahren im Fall der Banca Popolare di Milano angewandt hat. Es wurde damals ein paritätisches Komitee zwischen der Bank und den Anwälten der Verbraucherschutzorganisationen eingesetzt, das 30.000 Einzelpositionen geprüft und einvernehmlich gelöst hat. „Seitdem haben wir diese Methode in unzähligen Streitfällen angewandt“, sagt Cerniglia an diesem Nachmittag mit Stolz.
Es ist ein klarer und offener Fingerzeig in Richtung Volksbank. „Die Volksbank hat jetzt noch zwei Wochen Zeit“, meint Robin-Präsident Walter Andreaus, „dann wird die Sammelklage in Venedig hinterlegt“.
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