Gesellschaft | Jugendkultur

Glückliche Einheimische

Jugend braucht Raum zum Experimentieren, so lautet das Credo der Berliner Agentur „Happy Locals“.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Präsentation Happy Locals
Foto:  netz | Offene Jugendarbeit
  • Jugend braucht Raum zum Experimentieren, so lautet das Credo der Berliner Agentur „Happy Locals“, deren Gründer und Gründerin am 14. September bei der „Plattform“, dem vom netz | Offene Jugendarbeit organisierten Treffen der Südtiroler Jugendarbeiter*innen, ihre Vision mit einem interessierten Publikum teilten, das dafür aus allen Landesteilen ins Brixner Jugend- und Kulturzentrum „Astra“ gekommen war.

    Wir haben herausgefunden, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft vor allem an einem Ort zusammenfinden: bei Tisch.

    Dimitri Hegemann und Annette Ochs sind so etwas wie die Architekt*innen der Berliner Jugend(sub)kulturszene. Der 69jährige Westfale gilt als Begründer der Berliner Technobewegung mit dem Club, der den Grundstein für den noch heute ungebrochenen Ruf als der Hauptstadt als Party- und Szenemetropole legte: dem „Tresor“. Auch das gleichnamige Plattenlabel geht auf Hegemanns Kappe, ebenso wie zahlreiche weitere Szenelokale im Berlin der 80er und 90er Jahre. Annette Ochs ist Architektin, Designerin und Kulturmanagerin, aber unter anderem auch leidenschaftliche Kochaktivistin. Was das heißt, erklärt sie während ihres einstündigen Vortrags: „Wir haben herausgefunden, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft vor allem an einem Ort zusammenfinden: bei Tisch.“ So kam es, dass sie die Idee verwirklichte, gemeinsam zu kochen – und zwar deutsche Traditionsgerichte zusammen mit Speisen aus fernen Ländern, Themengelagen in improvisierten Küchen, die eigentlich gar keine waren, und an ungewöhnlichen Orten, etwa einem Kirchenraum oder auf dem Freigelände eines verlassenen Krankenhauses. Ein sozial-kulturelles Projekt, das ungeheuren Anklang fand – nicht nur, aber vor allem bei den Jugendlichen.

  • Bei der „Operation Spargel“ tauschte man sich bei Tisch und unter freiem Himmel aus. Foto: zur Verfügung gestellt von Annette Ochs Foto: Anette Ochs
  • Raum zum Experimentieren

    Die Beratungsagentur, die Hegemann und Ochs 2012 gegründet haben, heißt „Happy Locals“. Sie soll einfache Kulturangebote für Jugendliche in ländlichen Gebieten schaffen, um der allgegenwärtigen Abwanderung entgegenzuwirken, und fungiert als Vermittlerin zwischen Jugendlichen auf der Suche nach Freiräumen und jenen, die ihnen diese geben könn(t)en: Gemeinden, Land, private Firmen und – warum nicht? – die Kirche: Das jüngste Projekt, das Hegemann angeleiert hat und noch in den Kinderschuhen steckt, ist ein alter Schlachthof im Norden Brandenburgs, den sein Besitzer, die evangelische Kirche, den Jugendlichen zur Nutzung überlassen soll.

    Hegemann, Ochs und ihre Teams kümmern sich um die Gespräche der jungen Macher*innen mit der öffentlichen Verwaltung, helfen bei der Raumsuche, veranstalten Workshops, machen lokale Unternehmen und Sponsoren mobil, vernetzen junge Macher*innen vor Ort, gerne auch mit internationalen Künstler*innen, zu denen sie beste Connections haben. „Dieser ‚Urban Input‘, wie jemand das einmal nannte, öffnet neue Horizonte,“ stellt Ochs zufrieden fest. „Er kann einen Drehpunkt für Jugendliche darstellen, das ist wichtig, dass man das ermöglicht. Die Verantwortlichen müssen verstehen, dass die Jugend unsere Zukunft ist. Auch die Jugendlichen, die noch keine Stimme haben.“

  • Unfertige Räume

    Ihr Name ist gleichzeitig auch erklärtes Ziel der Agentur: Sind die „Locals“ zuhause happy, wollen sie gar nicht mehr weg in die große, weite Welt, um sich ihre Abenteuer und ihren Raum zum Experimentieren zu suchen. Dazu müssen Konzepte her, die in den Jugendlichen den Funken der Eigeninitiative entfachen, oder die für sie – im Idealfall – den fruchtbaren Nährboden bereiten, um ihre eigenen Ideen zu verwirklichen. Sie sollen von (Kultur-)Konsument*innen zu Produzent*innen werden.

    Unfertige Räume sind gefragt.

    Dabei zeichnet die Agenturgründer vor allem ein Gespür dafür aus, wie Räume auszusehen haben, damit sie Jugendliche inspirieren. „Unfertige Räume sind gefragt,“ weiß Annette Ochs. „Die Jugendlichen wollen und sollen ihre Orte selbst gestalten und ihre Selbstwirksamkeit erfahren. So fühlen sie sich mit ihrem Ort, ihrer Gemeinde, ihrer Heimat verbunden.“ Sie weiß, wovon sie spricht: Zusammen mit Dimitri Hegemann hat sie bereits dabei mitgeholfen, verlassenen Fabrikhallen, Tankstellen, Raffinerien oder Autohäusern neues Leben einzuhauchen – als Clubs, aber auch als Kulturstätten, Kunsthallen, Treffpunkte oder Festival-Locations.

     

  • Jugendliche einfach mal machen lassen – wie hier in der Bildungsmanufaktur Glashaus in Prenzlau (Uckermark). Das Interieur wird zum Großteil von den jungen Betreiber*innen und Besucher*innen selbst zusammengebaut. Foto: Anette Ochs
  • Jugendkultur als Wirtschaftsmotor

    Ochs und Hegemann sind davon überzeugt, dass es in jedem Ort schlaue, kreative und engagierte Jugendliche gibt, die von einem aufregenden und erfüllten Leben träumen. Und wenn sie das nicht in ihrem Umfeld finden, suchen sie es woanders. Genau hier setzt die Arbeit der „Happy Locals“ an, genau hier sind die lokalen Behörden, Wirtschaftstreibenden und sonstigen Förderer gefragt, damit sie als Motor für die Entwicklung der Jugendlichen wirken. Damit diese kreativ und damit produktiv werden.

    Letztendlich profitieren alle von glücklichen Jugendlichen, die sich ihrer Heimat durch vielfältige Kulturangebote verbunden fühlen.

    „Letztendlich profitieren alle von glücklichen Jugendlichen, die sich ihrer Heimat durch vielfältige Kulturangebote verbunden fühlen,“ erklärt Dimitri Hegemann während seines Vortrags. „Wenn man sie nur lässt, dann machen die Jungen das schon. Oft ist den Entscheidern gar nicht bewusst, was für eine Wirtschaftskraft in Aktivitäten der Jugendsubkultur steckt: Als wir mit dem „Tresor“ die Technoszene im Berlin nach der Wende einführten, spielten wir mit den Ideen, alles schien leichter in der Nacht, wir hatten eine Lücke gefüllt, von der die Stadt nicht gewusst hatte, dass sie da war. Und zugleich entstanden weitere Clubs, weitere Räume für Jugendliche, hunderte kleiner Start-ups. Zusammen waren wir eine Economic force, die die gesamte DNA der Stadt Berlin veränderte: Erste Festivals entstanden, und daraus wiederum so Riesendinger wie die Loveparade. Von den Leuten, die nach Berlin kamen, brachten viele neue Ideen mit, und die Szene wurde zum Wirtschaftsfaktor für andere Unternehmen, die Traumumsätze machten und Tausende Jobs schufen. Wir überlegten uns, wie wir das in den ländlichen Raum übertragen können.“

  • Einfach mal machen

    Nun ist Südtirol zwar auch ländlich, aber der Raum scheint nicht allein durch die Berge begrenzt. Neue Initiativen der Jugendkultur werden nur allzu oft unvermittelt vor scheinbar unüberwindbaren Auflagen im Aufkeimen erstickt, möchte man meinen. Hier raten die „Happy Locals“-Gründer*innen zu etwas mehr Mut. Auf die Frage, wie mit behördlichen oder baulichen Hindernissen umzugehen ist, rät Annette Ochs den Jugendlichen dazu, durchaus mal etwas zu wagen und einfach mal anzufangen, und etwaige Probleme sozusagen „unterwegs“ anzugehen. Die größte Hürde in Deutschland klingt dabei auch in Südtiroler Ohren bekannt: „Die meisten Probleme bei der Nutzung von leerstehenden Räumen machen nicht die Bürgermeister*innen oder die Landkreise, sondern die Bauämter. Dieses Dilemma lösen wir mit der temporären Pacht dieser Räume. Für eine Zwischennutzung sind die baulichen Vorschriften nicht so streng. Und für die Eigentümer*innen ergibt sich ganz nebenher ein Vorteil, nämlich Schutz vor Vandalismus.“

  • Glückliche Berater: Dimitri Hegemann und Annette Ochs wollen mit ihrer Agentur „Happy Locals“ zusammenbringen Foto: Ben de Bie
  • Analog statt digital

    Es bleibt die Frage, ob mit dem Internet und den sozialen Medien nicht ohnehin unbegrenzter Raum da ist, in dem sich die Jugendlichen treffen und ausleben können, so dass gar kein Bedarf an physisch existierenden Räumen besteht. Hier haben die Hegemann und Ochs die Erfahrung gemacht, dass junge Menschen natürlich das Internet nutzen, um zu interagieren, aber sich dann doch lieber analog treffen – und vor allem analog feiern. Vor allem die Clubs seien oft das Zugpferd dieses Mikrokosmos aus Kunst, Kultur, Bildung, sozialer Vernetzung und Musik, der aus der Eigeninitiative und -verantwortung der Jugendlichen entsteht, weiß Annette Ochs. Ihr persönliches Anliegen ist aber auch die Unterstützung junger Frauen. „Jungs sind auch innerhalb der Jugendkultur häufig sichtbarer – weshalb wir uns dafür einsetzen, dass bestimmte Angebote sich dezidiert an Mädchen richten, etwa DJ-Workshops nur für Frauen.“

    Bettina Conci