salto.music | Norbert Dalsass

„Es ist die Poesie, die bleibt”

Jazz Fantasy werden heute Abend in der Carambolage in Bozen ihr neues Album „Still” live vorstellen. Wir haben mit dem Bassisten Norbert Dalsass u.a. darüber gesprochen.
Nutzt sein Studio zur Auseinandersetzung mit seiner Musik: Kontrabassist Norbert Dalsass.
Foto: rhd
Nutzt sein Studio zur Auseinandersetzung mit seiner Musik: Kontrabassist Norbert Dalsass.
Nutzt sein Studio zur Auseinandersetzung mit seiner Musik: Kontrabassist Norbert Dalsass. Foto: rhd
 

Jazz Fantasy sind zu dritt, sind ein klassisches Jazz-Trio: Schlagzeug (Roman Hinteregger), Klavier (Michele Giro) und Kontrabass (Norbert Dalsass). 1993 haben sich die drei Musiker gefunden und sind, dreißig Jahre später – nach einer längeren Auszeit –, immer noch am Ball, wie das aktuelle Album „Still" zeigt. „Still” erscheint über das italienische Jazz-Label Caligola Records und zeigt die Band, wie sie sich zwischen zwei Welten bewegt.

Wir haben uns im Vorfeld mit Norbert Dalsass in dessen Studio getroffen, um unter anderem darüber zu sprechen.

 

salto.music: Der Albumtitel „Still” … „immer noch” ... klingt ein wenig so, als wäret ihr selbst überrascht, dass ihr so lange durchgehalten habt…

Norbert Dalsass: Interessant ... zum langen Durchhalten muss ich mit dem Blick von heute sagen, geht nur, weil Gegensätze da sind. Das heißt, Spannungsfelder, die sich andauernd annähern.

salto.music: Michele und du...

Norbert Dalsass: Michele und ich ... und Roman dazwischen. Es hat nie wirklich funktioniert, wenn einer vorwiegend das Sagen hatte. Ich spiele die Sachen von Michele sehr gern, weil mit die Melodien, wie er sie spielt, gefällt. Ich kann die Songs die er schreibt nicht so begleiten wie er es brauchen würde. Das heißt, es gibt eine Zwischenform, wo das, was ich mache, hineinpasst. Und umgekehrt, braucht auch er seine Zeit, sich in meine Songs einzulassen. Das Interessante daran ist, dass wir dadurch beide voneinander etwas lernen. In diesem Spannungsfeld, man mag sich wundern, ist es möglich lange zusammenzuarbeiten.

 
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„In diesem Spannungsfeld, man mag sich wundern, ist es möglich, lange zusammenzuarbeiten.”: Norbert Dalsass zum langjährigen Bestehen der Band Jazz Fantasy. Foto: rhd
 

salto.music: Wenn du zurückdenkst, was war die ursprüngliche Intention von Jazz Fantasy? Und wie weit seid ihr heute davon entfernt oder weiterentwickelt, sofern sich diesbezüglich etwas geändert hat…

Norbert Dalsass: Anfangs wussten wir nicht, was entstehen sollte. Wir haben uns getroffen, haben gemerkt, da stimmt die Chemie, ganz einfach.

Mit Roman hatte ich damals bereits seit einer Weile zusammengespielt. Das Projekt, an dem auch Michael (Lösch) und Helga (Plankensteiner) beteiligt waren, war damals aber in einer Krise, es begann sich in verschiedene Richtungen zu entwickeln, und ich fühlte mich nicht mehr am richtigen Platz.

Zu dem Zeitpunkt habe ich Michele getroffen. Ich hatte bei einem Projekt des Chors „eXperimento“ mitgemacht und wir waren im Innenhof von Schloss Maretsch: Chor, Flügel und Kontrabass. Plötzlich habe ich „Köln Concert” von Keith Jarrett gehört. Ich dachte mir, „Wow! Schön!” Ich wunderte mich, weil es keine Anlage gab, und entdeckte, dass es glatt Michele war, der gespielt hatte. Da habe ich gemerkt, dass er das Gefühl für jene Art von Jazz besitzt, die mich voll angesprochen hat. An dem Punkt haben wir uns gesagt, lass es uns mit einem Jazz-Trio versuchen. Und an dem Punkt ist Jazz Fantasy gestartet.

salto.music:  Jazz-Trio im Geiste von Keith Jarrett, war das die Ausgangssituation?

Norbert Dalsass: Das kann man so sagen. Michele ist ja auch ein großer Fan von Bill Evans. Und ich kann mich gut an unser erstes Konzertprogramm erinnern, für das wir keinen der damals üblichen Jazz Standards ausgewählt hatten. Wir hatten ein Stück von Keith Jarrett im Programm, Bill Evans sowieso, Michele hatte auch schon selbst einige Stücke bereit, etwas Monk ... damit ist eigentlich bereits ein sehr individuelles Jazzprogramm entstanden. Wir haben in der „Carambolage” gespielt, im „Coocaburra”, im „Marquee”, die es damals noch gab ... vier, fünf Konzerte ... und damit war der Startschuss gegeben.

salto.music: Wie würdest du diese Art von Jazz umschreiben? Michele Giro spielt sehr melodiös...

Norbert Dalsass: Stimmt. Bill Evans macht das auch, und im Prinzip auch Keith Jarrett. Er hat eine Innenwelt, die auf Harmonien und Melodien aufgebaut ist. Komplexe Harmonien, aber harmonische Melodien. Es war einfach schön. Es war jemand da, der genau das spielt was mir gefällt.

Dann war da aber der Punkt, dass Jarrett „Interludes” eingebaut hat, die Platz ließen für etwas, das im Moment entsteht, und das war der Funke, an dem wir gewachsen sind, diese Freiheit in der Form. Wir haben dann Sachen einfach gemacht, wir sind frei geworden und haben damit Wettbewerbe gewonnen.

In dieser Phase haben wir auch das Wort „Fehler” neu interpretiert, Sachen, wo man merkt, da stimmt etwas nicht. Dem sind wir nachgegangen und aus diesem Keim ist etwas völlig Neues entstanden.

 
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„Die Leichtigkeit im Komplexen.”: Norbert Dalsass über die Musik von Jazz Fantasy. Foto: rhd
 

salto.music: Mir ist aufgefallen, dass die neun Stücke von „Still” exakt zur Hälfte von dir und von Michele stammen. Einen habt ihr gemeinsam geschrieben, und je vier von dir, bzw. von Michele. Dabei fällt ins Auge, dass sich die Stücke von Michele – von jemandem, der sich im Jazz nicht auskennt  – als klassischer Jazz umschreiben lassen. Deine Stücke gehen hingegen andere Wege. „Still” zum Beispiel, ist eine Akkordsequenz, die sich in einer Ambient-Atmosphäre ständig wiederholt. Im gegenwärtigen Jazz passiert zurzeit sehr viel und von außen betrachtet ist es mitunter jene Musik, die sich am mutigsten dem unerforschten musikalischen Gelände stellt und dabei auch die Vergangenheit hinter sich zu lassen versucht. Kurz: Du versuchst Neues, Michele hingegen bleibt der Tradition treu.

Norbert Dalsass: Das kann man so sagen, und das was du beschreibst, ist genau eines der vorhin erwähnten Spannungsfelder. Wir sind gegensätzlich gestrickt. Und so funktioniert das auch! Wir haben lange diskutiert über die Reihenfolge der Songs und wenn man sich die CD durchhört, dann bestätigt sich das, weil die Musik vielfältig ist und in diesem Gegensatz spannend bleibt. 

Meine Art Stücke zu schreiben ist eine völlig andere, als jene von Michele. „Still”, so wie es ist, ist zum Beispiel im Studio entstanden. Meine Stücke sind auch nie wirklich fertig. Wenn ich etwa mit Chacmools spiele, dann gibt es da einen roten Faden den ich vorgebe, man könnte auch sagen, ein verschwommenes Bild, bei dem man das Thema kennt. Wenn ich dann Musiker wie Michele oder Roman oder jene von Chacmools habe, dann sind das Individuen, die das hinzufügen, was ich nicht hinzufüge oder nicht hinzufügen kann. Dadurch entsteht dann ein gemeinsames Werk. Dadurch kann Neues entstehen.

Ich komponiere so. Am Ende ist es auch nicht mehr nur mein Werk, denn von mir stammt nur die Spur, die ich vorgebe. Ich sage: Hinauf auf diesen Berg! Aber auf welchem Weg, das ergibt sich dann.

 
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 „Ich brauche die Bühne. Studio macht mir Angst.”: Nach gut zehnjähriger Pause ist Norbert Dalsass wieder mit Jazz Fantasy (und neuem Album) unterwegs. Foto: rhd
 

salto.music: Du hast für je einen Song mit Luis Zöschg und mit Michele Giro zusammengearbeitet. Wie war das, welches waren die Unterschiede in diesem gemeinsamen Komponieren?

Norbert Dalsass: Die Methode war genau die, die ich eben beschrieben habe. Bei „Peace Convention” war es ein Riff, eine Reihe unterschiedlicher Takte, die eine Melodie, ein harmonisches Bewegen ergeben. Luis hat darüber seine Melodie geschrieben.

Bei „New Dream“ stammt die harmonische Grundlage von mir, und Michele hat das Thema gemacht. Da gibt es eigentlich keinen Unterschied.

Ich muss sage, ich bin als einzelner Musiker nicht autark. Mein Wesen braucht andere Menschen, damit sich das ganze Gefüge gut entwickeln kann.

salto.music: Du bist also ein Band-Mensch.

Norbert Dalsass: Absolut. Ich brauche die Bühne. Studio macht mir Angst. Ich bin auch nicht der Genaue. Michele schreibt Stücke, die er mit dem Michele Giro Trio spielt. Die sind dann genau so, wie er sie schreibt und haben will und die verlangen Präzision.

Ich bin da etwas unscharf. Bei den Songs auf „Still”, die von ihm sind, da funktioniert es aber, weil sich die Stücke auch in ihm verändern. Bei der Improvisation zu „Reloaded” zum Beispiel, hat Michele in seinem Spiel etwas, das ich als „schwimmend” umschreiben würde. Das ist toll, denn er hat in seinem „Schwimmen” sehr wohl eine gewisse Logik, aber für mein Bass-Solo ist das sehr inspirierend. Danach folgt seine Improvisation und es geht zurück in die Form. Und genau das macht die Spannung aus.

Wenn du die Songs von Sting nimmst, keiner davon ist wirklich einfach, obwohl sie so schön klingen. Alle haben irgendetwas, das sie interessant wirken lässt. Ein bisschen läuft es so auch in fast allen unserer Stücke. Bei „For Marcin”, spielen wir das Thema im 5/4, wechseln dann in der Improvisation und kommen dann zum 5/4 zurück, und du wirst es kaum bemerkten. Es ist diese Leichtigkeit die das Komplexe haben kann.

 
Seit 30 Jahren gemeinsam unterwegs, Jazz Fantasy (v.l.n.r.): Michele Giro (Klavier), Norbert Dalsass (Kontrabass) und Roman Hinteregger (Schlagzeug).
Seit 30 Jahren gemeinsam unterwegs, Jazz Fantasy (v.l.n.r.): Michele Giro (Klavier), Norbert Dalsass (Kontrabass) und Roman Hinteregger (Schlagzeug). Bild/Grafik: Jazz Fantasy
 

Norbert Dalsass: Weil du vorhin den jungen Jazz angesprochen hast: Sehr viele der jungen Jazz-MusikerInnen sind sehr fokussiert, ich würde sagen, de­kon­s­t­ruk­ti­vis­tisch, musikalisch sehr anspruchsvoll, aber in vielen Fällen fehlt mir die Poesie. Ich bin ein Bill Evans-Fan und liebe Keith Jarrett, im Sinne einer Melodiösität, die gewissermaßen gemütserwärmend ist. Man ist erstaunt, was sie können, aber das Gemütserwärmende fehlt mir oft.

salto.music: Sind sie dir zu punkig?

Norbert Dalsass: Letztlich sind sie mir zu strukturiert, zu perfekt. Es fehlt eine gewissen Unschärfe, die Menschlichkeit zeigt. Wie ich vorhin gesagt habe, aus einem Fehler kann etwas sehr Schönes entstehen, aber hier ist alles perfekt.

Wenn ich in ein Konzert gehe, dann ist es die Poesie, die bleibt. Musik ist ja kein Handwerk, sondern etwas Musisches für die Seele, und die Seele muss sich erwärmen können an der Musik.

salto.music: Diese Poesie die du erwähnst, birgt, dadurch dass sie eben angenehm für die Seele ist, die Gefahr in sich, dass ich auf der Couch sitzen bleibe. Ich möchte aber auch herausgefordert werden von der Musik. Das neue Album von Let Spin zum Beispiel, klingt wie ein Flugzeug das abstürzt und dann doch nicht abstürzt. Und plötzlich klingt die Musik nach Siebziger Progressive Rock, und du weißt nicht, wie du dahin gekommen bist. Das meine ich.

Norbert Dalsass: Da gebe ich dir recht. Ich kenne das. Ich mach das auch, mich dem Gitarristen Enrico Terragnioli, der u.a. auch mit Franco D'Andrea spielt, mit ihm haben wir das Chacmools-Album „The Trio” aufgenommen. Mit ihm weiß man nie wohin es führt.

salto.music: Nach diesem Gespräch habe ich den Eindruck, dass Jazz Fantasy nach 30 Jahren immer noch große Lust auf Musik hat. Es gibt ja Projekte und Bands, die irgendwann zu Ende sind. Ich habe das Gefühl, dass dies bei euch nicht der Fall ist.

Norbert Dalsass: Das war vor fünfzehn Jahren so. Damals haben wir immer das gespielt, was wir kannten. Da hat es dann die Pause von etwa zehn Jahren auch gebraucht. In dieser Zeit ist jeder von uns gewachsen, jeder hat seine Projekte verfolgt. Ich habe Vertrauen in meine Fähigkeiten bekommen. Wir haben und dann wieder getroffen und gemerkt: Wow, wenn wir zusammen spielen, ist es immer noch toll. Wir wollten dann eine schöne CD machen, haben gesehen, dass sich alles von alleine ausbalanciert. Wir waren eineinhalb Tage im Studio, waren zwar vorbereitet, hatten aber noch nicht alles fertig. Wir sind eine Live-Band und wir vertrauen einander. Wir sind zufrieden mit dem Ergebnis, alle drei.

salto.music: Ihr steht heute Abend in der Carambolage auf der Bühne. Gibt es Gäste? Luis Zöschg zum Beispiel? Überraschungen? Wie sieht die Set-List aus?

Norbert Dalsass: Was die Setlist betrifft, die sich wohl an „Still” anlehnen. Aber wir machen die immer im Camerino kurz vor dem Auftritt, im letzten Moment. Die Reihenfolge wird sich aber von der CD unterscheiden, denn Studio und Live-Konzert sind zwei völlig unterschiedliche Sachen.

Die Überraschung wird natürlich sein, ob die CD rechtzeitig da sein wird. Durch das besondere Format, für das wir uns entschieden haben, hat sich alles etwas hinausgezögert.
 
 
Die grafische Gestaltung des Artworks stammt von Alex Pergher: „Still
Die grafische Gestaltung des Artworks stammt von Alex Pergher: „Still" erscheint über das italienische Jazz-Label Caligola Records auch als CD. Grafik: Alex Pergher
 

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Heute Abend sind sie live zu sehen, mit neuem Material: Jazz Fantasy feiern mit ihrem neuen Album „Still“ auch gleichzeitig ihren 30. Geburtstag als Band.
Heute Abend sind sie live zu sehen, mit neuem Material: Jazz Fantasy feiern mit ihrem neuen Album „Still“ auch gleichzeitig ihren 30. Geburtstag als Band. Foto: Jazz Fantasy