Kultur | Salto Afternoon

Höhenluft und Größenwahn

Ein Buch zu ersten Berghotels in Südtirol legt zahlreiche Pionierleistungen offen und regt zu kulturhistorischen Vergleichen mit der Gegenwart an. Beispiel Rosengarten.
Berghotels
Foto: Birkhäuser Verlag GmbH

Es war der 29. Juli 1900, als die Kölner Hütte am Rosengarten – erbaut vom Alpenverein in Köln in den Jahren 1898/99 – feierlich eröffnet wurde. Bereits einen Tag vorher versammelte sich die Alpenvereins-Sektion Rheinland im Karersee-Hotel. Am darauffolgenden Tag erfolgte dann frühmorgens um 7 Uhr der Aufstieg zur Hütte. Um 11 Uhr fand die feierliche Eröffnung statt, um 12 Uhr wurde ein gemeinschaftliches Gabelfrühstück auf Kosten der Sektion Rheinland eingenommen und um 15 Uhr ging es wieder zurück zum Karersee Hotel, wo es ab 19 Uhr das Festessen mit Tafelmusik gab.

Vergleicht man die touristischen Erschließungswünsche der Bergwelt von damals mit jenen der Gegenwart, gibt es durchaus Parallelen aber auch eklatante Unterschiede in der Herangehensweise.

Seit wenigen Wochen sind die Bauarbeiten zur neuen 10er Kabinenbahn zur Langzeit-Baustelle Kölner Hütte so gut wie abgeschlossen. Die rund 1.800m lange Bahn mit Mittelstation bringt die Fahrgäste in sechseinhalb Minuten direkt an die Bergwand – zum langsamen Sessellift bisher, ein enormer, ja beinahe überdimensionierter, technischer Qualitätsschub. Seit Jahren liebäugeln Tourismustreibende der Gegend allerdings mit einem noch größenwahnsinnigeren Vorhaben, welches zunächst einen unverhältnismäßig großen gläsernen Turm vorsah und nun über Umwege ein Hotel. 
Vergleicht man die touristischen Erschließungswünsche der Bergwelt von damals mit jenen der Gegenwart, gibt es durchaus Parallelen aber auch eklatante Unterschiede in der Herangehensweise.


Die 1900 eingeweihte Kölner Hütte war die Folge eines raschen Mobilitätsschubs, der mit dem Bau der Brennerbahnlinie Mitte der 1850er Jahre seinen Anfang nahm. Es folgte der Bau der Straße ins Eggental und Ende des 19. Jahrhunderts der Bau eines großen Hotels oberhalb des Karersees. Anfang Juli 1896, also vor genau 125 Jahren, wurde es feierlich eröffnet. Die Kölner Hütte sollte  nur wenige Jahre nach der Inbetriebnahme der Bettenburg das Sahnehäubchen sein. Bescheiden gebaut, war die Errichtung der Hütte auch ein Hinweis auf die federführenden Kräfte des Hotelbooms dieser Jahre, denn die Tourismustreibenden von damals waren häufig Vorstandsmitglieder verschiedenster Sektionen im Alpenverein, in erster Linie also Bergliebhaber. Wie aber steht es um die Liebe zum Berg bei Erschließungsvorhaben der Gegenwart?

 

In einer frisch erschienenen zweibändigen Publikation wird alten wuchtigen Berghotels nachgespürt. Die ausführliche Dokumentation zeigt mit vielen spektakulären Details zur Baugeschichte, wie der frühe Tourismus in den Alpen funktionstüchtig gemacht wurde. Die Besonderheiten zum Innenleben – und zur äußerlichen Wahrnehmung dieser Berghotels – hat die Kunsthistorikerin Bettina Schlorhaufer in mühevoller und jahrelanger Recherche zusammengetragen: „Es ist erstaunlich“, erzählt sie, „dass diese Hotels in 14 Monaten so gut wie bezugsfertig hingestellt wurden.“ Als Fremdenverkehrspionier der ersten Stunde zeichnete der Wiener Theodor Christomannos verantwortlich. In Südtirol arbeitete er mit mehreren Architekten zusammen – zunächst mit Otto Schmid, dann mit dem Baubüro Musch & Lun.


Groß gedacht und gebaut wird zunächst in Sulden und Trafoi, dann auch am Karersee. „Wir sind heute in der glücklichen Lage, dass es einen ausführlichen Bericht zum Hotel Karerersee gibt“ sagt Schlorhaufer. 
Im Unterschied zum Schweizer Berghotel-Boom – der nur wenige Jahre vor jenem in Tirol einsetzte – waren es hierzulande vor allem gigantische Speisesäle und das spezielle Marketing, welches Jahr um Jahr mehr Gäste anlockte. Eine Recherche zu den Menüs der zeitgleich stattfindenen Eröffnungsfeierlichkeiten im Karersee Hotel und im Grand Hotel Penegal am Mendelpass belegen einen touristischen Zeitgeist, der internationale Küche mit Lokalkolorit zu Tisch und zur Sprache bringt. 


Geködert wurden die Reisenden auch mit malerischen Inszenierungen. „Tony Grubhofer war derjenige, der das erste touristische Bild von Südtirol geschaffen hat. Es ist vergleichbar mit dem was wir heute auf Instagram sehen“ berichtet Schlorhaufer. Wo immer Berghotels entstanden, sorgte der Künstler für die bildhafte Verzauberung. 

Ein ultimativer Berghotel-Vergleich führt hingegen zu einer durchaus ernsten Überlegung, die nicht im Buch steht, aber erneut, wie am 29. Juli 1900, vom Karersee Hotel zur Kölner Hütte und retour führt. Hat man einst das Berghotel im Tal bewusst für einen sumpfigen und eher unattraktiven Welschnofner Landstrich erdacht, dreht die Tourismusbranche des 21. Jahrhunderts den Spieß um und will sich stylisch und direkt an der Wand, die eigentliche Bergkulisse zu eigen machen. Mit einem Berghotel anstelle der Kölner Hütte, würde sie sich diese Idylle jedoch zunichtemachen.