Beratung aus dem Camper
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Dichte Nebelschwaden hängen am Mittwochmorgen über Sand in Taufers, als der Campingwagen der Landesgewerkschaft für Handel, Fremdenverkehr und Dienstleistung (LHFD-AGB) auf dem Gemeindeplatz parkt. Ende Oktober ist die Sommersaison für die meisten Beherbergungsbetriebe der Umgebung bereits zu Ende – und mit ihr auch die Arbeitsverträge von rund 80 Prozent ihrer Angestellten. Trotz des vielerorts gewünschten Ganzjahrestourismus bleibt die Saisonalität ein fester Bestandteil der Branche in Südtirol.
Um die Schwierigkeiten abzufedern, die sich aus der Saisonarbeit ergeben, und um Beschäftigte über ihre Rechte und Möglichkeiten zu informieren, sind Luca Galletti, Franco Giuliano und Vinzenz Schlechtleitner nun schon zum siebten Mal mit einem Camper in ganz Südtirol unterwegs. Im Auftrag des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes AGB/CGIL machen sie Halt in Orten wie Wolkenstein, Stern, Innichen oder Kastelruth – und heute zum letzten Mal in Sand in Taufers. Der Camper bietet ein niederschwelliges Beratungsangebot, das, so die Gewerkschafter, mittlerweile gut angenommen wird:
„Viele wissen, dass wir am Ende der Sommer- und Wintersaison mit dem Camper unterwegs sind und buchen schon im Vorfeld einen Termin“, erzählt Vinzenz Schlechtleitner. „Andere kommen spontan vorbei und werden von uns bei Anträgen und Fragen unterstützt.“
Arbeitslosengeld und SaisonarbeitDie meisten, die zum Camper kommen, nutzen das Angebot, um Arbeitslosengeld für die Zwischensaison zu beantragen.
„Etwa 80 Prozent der knapp 40.000 Personen, die im Tourismus arbeiten, haben keine Festanstellung, sondern saisonale Arbeitsverträge“, schätzt Schlechtleitner die Zahlen für das laufende Jahr. „Wenn die Betriebe im Herbst und Frühjahr schließen, greifen sie auf die Arbeitslosenunterstützung zurück.“
„Etwa 80 Prozent der knapp 40.000 Personen, die im Tourismus arbeiten, haben keine Festanstellung“.
Diese Struktur birgt Vor- und Nachteile – für Arbeitnehmende wie für Arbeitgebende. „Viele, die im Tourismus arbeiten, schätzen die Flexibilität, besonders jene, die nur für die Saison aus dem Ausland nach Südtirol kommen“, sagt Schlechtleitner. „Andere, vor allem einheimische Arbeitskräfte, wünschen sich hingegen eine Festanstellung und mehr Sicherheit.“
Wie Galletti, der im Patronat der AGB/CGIL tätig ist, erklärt, bergen die kurzen Verträge jedoch so manches Risiko: „Wer mehrere Monate im Jahr arbeitslos gemeldet ist, muss letztlich mehr Jahre arbeiten, um seinen Pensionsanspruch geltend zu machen.“ Auch in anderen Bereichen kann die Unsicherheit problematisch werden – etwa wenn man einen Kredit aufnehmen möchte, einen Mietvertrag unterschreiben oder Mutterschutz in Anspruch nimmt. „Kurze Arbeitsverträge bieten in solchen Situationen weniger Stabilität und erschweren es, vorauszuplanen“, so Galletti.
„Neue Vertragsmodelle notwendig“Angesichts des Arbeitskräftemangels im Tourismus bieten heute mehr Betriebe als früher unbefristete Verträge an. Meist betrifft das jedoch nur bestimmte Berufsgruppen – etwa Rezeptionist:innen oder Chefköch:innen, die ganzjährig beschäftigt werden oder deren Know-how für den Betrieb unverzichtbar ist.
Um flächendeckend mehr Sicherheit zu schaffen und gleichzeitig die öffentliche Hand zu entlasten – diese zahlt nämlich für die im Frühjahr und Herbst arbeitslos gewordenen Personen – seien laut Schlechtleitner neue Vertragsmodelle notwendig.
Ein Vorschlag kommt vom Südtiroler Arbeitsforschungsinstitut AFI: die sogenannte „Zeitbank“. Sie sieht eine ganzjährige Festanstellung vor, deren effektive Arbeitsstunden jenen der Saisonarbeit entsprechen. Die im Sommer und Winter geleisteten Stunden sollen jedoch nicht sofort vollständig ausbezahlt, sondern die Bezahlung auf die restlichen Monate verteilt werden. Konkret bedeutet das, dass Urlaub und Überstundenabbau auf die tourismusschwachen Monate im Herbst und Frühjahr geschoben werden.
Für Schlechtleitner ist das ein erster Ansatz, der jedoch sorgfältig geprüft werden müsse, um zu verhindern, dass die Situation zu insgesamt niedrigeren Löhnen oder eingeschränkten Urlaubsansprüchen führt – und damit letztlich auf dem Rücken der Arbeitnehmer:innen ausgetragen wird.
Zehrende ArbeitsbedingungenNeben den strukturellen Problemen beschäftigen die Gewerkschafter auch die Arbeitsbedingungen vieler Beschäftigter.
„Lange Arbeitszeiten, nicht eingehaltene Ruhezeiten und viele Überstunden während der Saison führen häufig dazu, dass sich Beschäftigte überlastet fühlen“, sagt Schlechtleitner. Gleichzeitig suchen zahlreiche Betriebe händeringend nach Personal. „Das führt dazu, dass es in der Branche heute sehr viel Wechsel gibt.“
Wie sich dieser Druck konkret auswirkt, zeigt sich an diesem Mittwochmorgen im Inneren des Campers, der dank Laptop, Drucker und einem kleinen Heizstrahler zu einem mobilen Büro umfunktioniert wurde. Dort sitzt G., ein 34-jähriger Koch, der in einem Beherbergungsbetrieb im Ahrntal arbeitet. Er ist gekommen, um seine Kündigung einzureichen.
„Lange Arbeitszeiten, nicht eingehaltene Ruhezeiten und viele Überstunden“
Die Bezahlung sei zwar gut, erzählt er, aber die Belastung während der langen und intensiven Arbeitstage im Hotel sei zu groß geworden. „Die Aufgaben sind genau getaktet. Wenn ich irgendwo ein paar Minuten verliere, schaffe ich es nicht, die Ansprüche zu erfüllen“, sagt er. Künftig möchte er zwar wieder in der Branche arbeiten, dann aber in einem kleineren Betrieb, mit weniger Stress. „Ob ich dann weniger verdiene oder nur einen Saisonvertrag habe, ist mir egal. Hauptsache, der Druck ist weg.“ Schlechtleitner und Galletti helfen G. beim Papierkram und beraten ihn zu seinen Optionen.
Bis zum nächsten JahrWar der „Tourismus-Camper“ in diesem Jahr in Sand in Taufers zum letzten Mal zu sehen, soll er schon zum Ende der nächsten Wintersaison wieder auf die Straße rollen – um Arbeitnehmende über Rechte, Zusatzrentenfonds oder Urlaubsansprüche zu informieren und ihnen beim Antrag auf Arbeitslosengeld, bei Kündigungen und anderen Fragen unter die Arme zu greifen.
„Ich brauche von Bozen zwar zwei Stunden, um mit dem Camper nach Sand in Taufers zu kommen“, sagt Galletti zum Abschied, „aber wenn wir sehen, wie gut das Angebot angenommen wird und wie viel Dankbarkeit wir erfahren, dann ist es den Aufwand auf jeden Fall wert.“
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