Kunst und Künstlichkeit
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In kaum einem Sektor wird der Umgang mit der sogenannten künstlichen Intelligenz so kontrovers diskutiert, wie in der Kunstwelt. Die einen sehen darin ein Mittel mehr an die eigene Arbeit zu gehen, die anderen sehen ihre Arbeit dadurch infrage gestellt oder – ohne monetäre oder namentliche Anerkennung – als Vorlage genutzt oder gestohlen. Insofern musste die zentrale Frage lauten: „Will AI feed or eat Art?“.
Dass künstliche Intelligenz die Kunst nicht ganz versteht, zeigte gestern Abend auch – da das Thema derzeit in aller Munde ist – ein Beitrag in der Kulturzeit auf 3sat, in welcher dem AI Kunstkritiker „Aiden“ zwei Werke gezeigt werden: Gerhard Richters „1024 Farben“ und ein namenloses Werk einer noch nicht namhaften Künstlerin, die sich im Malraum ihrer Kindergartengruppe austoben durfte. Tendenziell sprach Aiden eher das namenlose als das namhafte Werk an, zumindest aus einer vielleicht als „hermeneutisch“ einzustufenden Perspektive, die „nur“ vom Bild ausgeht. Den kritischen, zynischen Ton hat Aiden von seinem Schöpfer, dem Künstler, Kurator und Ökonom „Herr“ Claire Bötschi. -
Der ersten Studentin, Tessa Hinz, geht es um das unsichtbare „Back-End“ der verschiedenen Modelle künstlicher Intelligenz, die uns nur dann Arbeit abnehmen und unsere Bequemlichkeit stützen können, wenn wir ihr Training auslagern. Hinz wagte den Selbstversuch und dokumentiert 30 Tage „Data Work“ mit Arbeitszeit, geforderten Komplexitäten, invasiven Fragen und der – bestenfalls – im einstelligen Euro-Bereich ausfallenden Entlohnung. Dass diese Arbeiten, die vom Beschriften oder Einordnen von Bildern, der Aufnahme von Bildern oder Stimmsamples bis zum Vergleich von Ticketpreisen reichen, damit in strukturschwache Länder ausgelagert werden, dürfte nach dem Durchblättern der 30 Slides niemanden mehr wundern.
Fe Simeoni befasste sich dagegen mit Irrungen und Wirrungen der Künstlichen Intelligenz beim Thema „Gender“. Simeoni ließ verschiedene generative K.I.-Modelle Bilder unterschiedlicher „Gender Expressions“ (nicht „Gender Identity“, es geht um den externen Ausdruck des sozialen Geschlechts) generieren. Dass das den Horizont der K.I. übersteigt, dürfte wenig verwunderlich sein. Besonders witzig – ohne dem Leser erklären zu müssen was Demi-Männer und Demi-Frauen sind – fanden wir dabei die Interpretation von Midjourney zum Auftrag „Feminine man from South Tyrol“. Der „feminine“ Mann aus Südtirol könnte auch einen Bruder in der Südtiroler Landespolitik haben, mit einem etwas üppigerem Bart, versteht sich. Vielleicht würde diesem notorischen Flaggenverbrenner, dem es im Winter fröstelt, etwas mehr Femininität das Herz erwärmen.
Michele Cremaschi will mit seinen beiden, interaktiven Objekten, die er als eine „Steampunk Exploration of A.I. Acceleration“ bezeichnet, Reibung zwischen den Nutzern und Nutzung von künstlicher Intelligenz zu erzeugen. „Isotta“, einer Zeigerschreibmaschine der Firma Mignon aus der Mitte der 1920er mit angeschlossenem iPad und „X“-Account (vormals Twitter), sowie „Alessia“, dass die Sprachassistentin aus dem Hause Amazon mit einem alten Mikrofon und einem „Reel to Reel“ (Spule auf Spule, Anm. d. Red.) Tonbandgerät verknüpft. Die Technik wird hier gewissermaßen zum Akteur, der den Willen des Nutzers untergräbt, da durch einen weiteren Störfaktor auf der Audio-Ebene und dort durch das gewählte Sprachmodell, mit welchem Isotta die Kurznachrichten für die Online-Plattform zu Ende führt. Bei einer Schreibmaschine aus dem Berliner Hause „AEG“ (mittlerweile Teil von Daimler-Benz) sind wir froh, dass Cremaschi sein Sprachmodell nicht von der Sprache der Zeit beeinflussen hat lassen, oder dies zumindest nur indirekt getan hat. Statt dessen „inspiriert“ „Isotta“ der Code der Sith aus Star Wars in der Vollendung der Sätze um Hoffnungen und Ängste in Bezug auf die zukünftige Entwicklung von K.I. und deren Folgen.
Dass wir nicht zu weit in die Zukunft schauen müssen, zeigte uns bereits Ende des letzten Jahres der erste komplett von künstlicher Intelligenz geschriebene Spielfilm, „The Diary of Sisyphus“. Von GPT-NEO geschrieben und von Mateusz Miroslaw Lis als Regisseur fällt es schwer, die Absurditäten und den Surrealen Charakter des Films gänzlich einer Maschine oder einem Menschen zuzuordnen. Die großen, tiefgreifenden Probleme der Menschheit versteht künstliche Intelligenz, wenn überhaupt nur unvollständig. Das Bild von Protagonist Adam, der einen Fiat Panda bergauf schieben muss, ist jedenfalls eindrücklich und blieb mir hängen. Genau wie für Sisyphus muss es immer weiter gehen, auch wenn nicht klar ist wie, oder warum.