„Man muss nicht perfekt sein“
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Ulrike Oberhammer scheut sich nicht, bestimmte Dinge beim Namen zu nennen. Als SVP, Lega und Fratelli d'Italia sich diese Woche im Regionalrat gegen eine Frauenquote entschieden haben, hat die Kritik der Präsidentin des Beirats für Chancengleichheit nicht lange auf sich warten lassen. „Es gibt viele Männer, die in politischen Ämtern sitzen, die weniger qualifiziert sind als die Frauen, die dort nicht sitzen dürfen“, so Oberhammer, Mitglied der SVP-Frauenbewegung, in einer Aussendung an die Medien.
Dass auch Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) klein beigegeben hat, obwohl er für Chancengleichheit zuständig ist, sorgte bei vielen für Ärger. Über 1.500 Menschen haben bereits eine Petition unterschrieben, da die Mehrheitsentscheidung dem Südtiroler Gleichstellungsaktionsplan widerspreche.
„Ich fand es toll, so viele motivierte Frauen zu hören und zu sehen.”
Offenbar sind viele im Regionalrat davon überzeugt, dass eine Frauenquote mehr Probleme schafft als löst. Oberhammer fordert Frauen hingegen auf, sich mehr zuzutrauen und auch mehr einzufordern. Männer würden in der Regel nicht nur ihr Gehalt besser verhandeln, sondern auch in der Politik Herausforderungen anders angehen als Frauen: „Männer bauen, wenn es ein Problem gibt. Frauen hingegen schauen mehr auf das Soziale“, sagte sie gegenüber SALTO vor einigen Monaten im Interview.
Wie das Südtiroler Gemeindepolitikerinnen sehen, hat SALTO für diesen Artikel in Erfahrung gebracht. Magdalena Gamper und Anna Vicentini sind zwei Frauen, die gerne anpacken, ihre eigene Meinung haben und weiblichem Nachwuchs in der Südtiroler Parteienlandschaft den Rücken stärken wollen. Das will auch der neue Lehrgang für Frauen in der Gemeindepolitik, organisiert vom Landesbeirat für Chancengleichheit, dem Frauenbüro des Landes und dem Institut für Public Management von Eurac Research.
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76 Frauen haben sich in den vergangenen Wochen in Online-Workshops mit Themen wie Wahlkampf, Zeitmanagement oder digitaler Kommunikation befasst. Heute wird der Lehrgang mit Kompatscher in Bozen feierlich abgeschlossen.
Eine der Teilnehmerinnen ist Viktoria Oberhammer, 36 Jahre alt und Mitglied der SVP in Bruneck. „Der Kurs war für mich abwechslungsreich und hat viele verschiedene Perspektiven beleuchtet. Ich erhielt neue Ideen und fand es toll, so viele motivierte Frauen zu hören und zu sehen”, erklärt Oberhammer, die Cousine der Beiratspräsidentin.
Südtirol erlebe sie als Land, wo noch viele Frauen zögern, selbst Politik zu machen. „Das finde ich sehr schade, weil auch wir Frauen etwas ändern können, wenn wir aktiv werden.” Der Lehrgang habe sie bestärkt, selbst bei den Gemeinderatswahlen in Bruneck für die SVP zu kandidieren. Wichtige politische Bereiche sind für sie Bildung, Soziales und Gesundheit.
NachgefragtMagdalena Gamper, 36 Jahre alt, macht bei der Bürgerliste in Klausen mit. In dem Gemeinderat mit 18 Mitgliedern ist sie eine von drei Frauen. Im Rückblick sagt sie, dass sie vorher gerne gewusst hätte, wie mühsam Oppositionsarbeit ist – kandidieren will sie aber trotzdem wieder. „Wir wachsen in einer Gesellschaft auf, wo die Frauen eher auf das Soziale schauen und der Mann eher der Macher ist“, sagt Gamper. Es freue sie, dass diese Rollenmuster nun aber vermehrt aufgebrochen werden, ob im Beruf oder in der Familie.
Politisch aktiv ist sie geworden, um die Betreuungszeiten für Kinder auszuweiten und zu vereinheitlichen. „Die Betreuungszeiten sind Jahr ein, Jahr aus im Gespräch, aber aktuell ist noch keine Lösung da. In Klausen haben wir beispielsweise für die Grund- und Mittelschulen keinen Mittagstisch. In einer Zeit, wo beide Eltern berufstätig sein müssen, ist das schwierig“, sagt die Gemeinderätin und Mutter von drei Kindern.
„Die Betreuungszeiten sind Jahr ein, Jahr aus im Gespräch, aber aktuell ist noch keine Lösung da.“
Für die Zukunft wünscht sich Gamper nicht nur mehr Frauen in der Politik, sondern auch mehr Kompromissfähigkeit bei Entscheidungsträger*innen. Neueinsteigerinnen empfiehlt sie: „Einfach mal probieren. Man muss nicht perfekt sein, wenn man etwas Neues startet, und kann in eine Rolle hineinwachsen.“
Anna Vicentini, 39 Jahre alt, ist Gemeinderätin vom Team K in Bruneck. Dass Frauen eher mit sozialen Berufen und Männer eher mit Geld, Wirtschaft und Politik in Verbindung gebracht werden, hat für sie vor allem kulturelle Gründe. „Geschlechter haben verschiedene Fähigkeiten, das kann man nicht leugnen. Ich finde es aber nicht in Ordnung, wenn Frauen in eine soziale Rolle gedrängt werden. Sie machen 50 Prozent der Gesellschaft aus – also ist es unwahrscheinlich, dass die Hälfte sozial kompetent ist und die andere nicht. Das kann man den Männern auch nicht aberkennen.”
Die Entscheidung, selbst in die Politik zu gehen, sei nach ihrer Rückkehr nach Südtirol gefallen: „Ich habe zwölf Jahre lang in der Emilia-Romagna gelebt, dort studiert und gearbeitet. Als ich zurückgekommen bin, hatte ich einen ganz anderen Blick auf Südtirol”, erklärt Vicentini. „Ich wollte mich nicht über Dinge ärgern und nichts tun wie viele meiner Gleichaltrigen”, fügt sie hinzu und will für die Gemeinderatswahlen erneut kandidieren.
„Ich wollte mich nicht über Dinge ärgern und nichts tun wie viele meiner Gleichaltrigen.”
Südtirol erlebt sie als zweigeteilt: Auf der einen Seite herrsche eine konservative Denkweise, auf der anderen Seite gebe es viel Potential für eine zukunftsfähige Wirtschaft. „Wir haben gute Schulen und die Infrastruktur der öffentlichen Dienste ist super. Wir könnten deshalb in vielen Dingen Vorreiter sein”, so Vicentini vom Team K. Der NOI Techpark in Bruneck sei beispielsweise ein idealer Ort für Innovation, aus dem noch mehr herausgeholt werden könnte.
Vicentini wünscht sich für die Zukunft eine Politik, die weniger Bürokratie verursacht, mehr Hausverstand an den Tag legt und auf junge Menschen ausgerichtet ist. „Wenn du viel mit Bürokratie arbeitest, bist du irgendwann betriebsblind und denkst in Paragrafen”, gesteht sie. Junge Menschen seien hingegen disruptiv, sprich rebellisch, und das sei gut so. „Neben der Bewahrung von Stabilität braucht es auch die Möglichkeit, etwas Neues auszuprobieren.”
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