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Facebook oder Twitter?

Der Schriftsteller und Künstler Daniel Oberegger hat im vergangenen Sommer ein Gespräch mit Norbert C. Kaser aufgezeichnet. Er hat ihn in den Niederlanden getroffen.
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Foto: Foto: Privat

Herr Kaser, bis vor kurzem haben wir im Glauben gelebt, Sie seien am 21. August 1978 im Krankenhaus von Bruneck gestorben. Wie kommt es, dass wir Sie hier in Holland bei bester Gesundheit antreffen?
In Südtirol war es nicht zum Aushalten. Aus dem Spital konnte ich im letzten Moment entkommen. Aus der Kirche auszutreten, war nur der erste Schritt in die richtige Richtung, also bin ich auch aus Südtirol ausgetreten und habe bald hier in den Niederlanden meine Bleibe gefunden. Kein Berg verhindert die Aussicht, da brauche ich auch keinen Alkohol mehr.

Herr Kaser, Sie haben einst über die „eingeklemmte Generation“ geschrieben. Sind wir das auch heute noch?
Nein, heute ist es anders. Heute graut uns vor der Vergangenheit, aber vorwärts geht es nicht mehr. Seitlich zu gehen wäre eine Lösung, aber dafür bräuchte es einen größeren Horizont.

Sind Sie noch Dichter?
Ja. Ich bin es vielleicht mehr denn je, aber ich habe keine Gedichte mehr veröffentlicht. Aus dem mühsamen Herausgeben meiner Gedichtsammlungen im Selbstverlag bin ich ausgestiegen. Das Leben selbst ist für mich poetischer Akt.

Die beste Idee aber war, das Austreten aus der Allgemeinheit dieser Allgemeinheit nicht aufdrängen zu wollen.

Ihr Haus hier … ist so leer. Sie besitzen weder Telefon noch Fernseher, weder Computer noch Kühlschrank.
Da müssten Sie einmal das Haus von Professor Eulenburg sehen, der drüben in Noordwijkerhout wohnt. Es ist noch viel leerer als dieses hier, obwohl es ihm gehört. Er besitzt keine anderen Möbel als ein Bett, einen Tisch und einen einzigen Stuhl.

Leben Sie hier in Miete?
Nein. Seit meiner Flucht aus dem Spital in Bruneck habe ich ausschließlich leerstehende Hauser besetzt. Kommt der Eigentümer zurück, verabschiede ich mich höflich und besetze ein anderes Haus. Ich bin aus der Idee der lebenslänglichen Bemühung um einen Platz zum Wohnen ausgetreten. Aus dem Konsum sowieso. Die beste Idee aber war, das Austreten aus der Allgemeinheit dieser Allgemeinheit nicht aufdrängen zu wollen. Ich muss niemandem etwas beweisen.

Leben Sie denn ganz alleine?
Nein. Ich besetze dieses Haus alleine, aber ich bin nicht alleine. Niemand ist das. Auf der Welt leben alle mit – zum Glück nicht alle im gleichen Haus. Ich sehe den Möwen zu, treffe beim Spazierengehen jemanden oder in der Bibliothek. Ob er bekannt oder unbekannt ist, das sind eigentlich recht unwesentliche Details.

Wir finden es schade, dass Sie sich so zurückgezogen haben. Sie sind aus der Kirche, aus Südtirol, aus dem Literaturbetrieb, aus jeder Menschengemeinschaft ausgetreten.
Nein, nicht aus jeder Menschengemeinschaft. Ich habe eine Menge loser und fester Freundschaften, alle privater Art. Vor ein paar Jahren habe ich eine Wohnung in Noordwijkerhout besetzt und in dieser Zeit die Bekanntschaft mit Professor Eulenburg gemacht. Für ihn habe ich auch ein paar Gedichte geschrieben. Sehen Sie, hier unterm Bett habe ich immer noch meine mechanische Schreibmaschine. Die nehme ich immer mit, wenn ich Wohnung wechsle. Eulenburg kommt mich manchmal besuchen. Den ganzen Weg geht er zu Fuß, und für einen Achtzigjährigen sind die mehr als fünf Kilometer her und später denselben Weg wieder zuruck doch eine lange Strecke.
Bevor Sie fragen, ich habe auch wesentlich jüngere Freunde. Hier in der Bibliothek gibt es einen kostenlosen Internetzugang, und so kann ich auch leicht mit meinen Freunden aus Australien in Kontakt bleiben. Ich habe nichts gegen die Social-Networker, finde aber selten einen darunter, bei dem es vor lauter Messaging und Konsumverblödung noch gelingt, etwas zu finden, worüber sich eigentlich zu reden lohnt.

Haben Sie selbst ein Facebook-Account oder sind Sie bei Twitter?
Nein, nein. Meine Spezialität ist das Austreten, nicht das Mitmachen.

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Lesen Sie das ganze Interview im Buch: endet denn der winter nie? N.C. Kaser zum 70. Geburtstag 

Mit Beiträgen von: Eeva Aichner, Rut Bernardi, Toni Bernhart, Arno Dejaco, Margit von Elzenbaum, Pepi Feichtinger, Klaus Gasperi, Maria C. Hilber, Elfriede Kehrer, Kurt Lanthaler, Martha Lanz, Selma Mahlknecht, Louis Marley Crowfoot Schropp, Lene Morgenstern, Armin Mutschlechner, Wolfgang Nöckler, Klothilde Oberarzbacher Egger, Daniel Oberegger, Josef Oberhollenzer, Lissy Pernthaler, Anne Marie Pircher, Josef Rainer, Ina Maria Simon, Ursula Steinkasserer, Gerd Sulzenbacher, Matthias Vieider, Stefan Walder, Hermann Winkler, Stefano Zangrando, Jörg Zemmler