Kultur | Salto Afternoon

Wir sind in der Zeit

Wie erleben wir Zeit? Wie eignen wir sie uns an? Was haben Musik und Töne damit zu tun? Albert Mayr hat über 50 Jahre dazu geforscht. Das Museion zeigt sein Schaffen.
albert_mayr4.jpg
Foto: Museion / Daniele Fiorentino

Vor über einem Jahrzehnt hat sich Albert Mayr an der Bergstation der Seilbahn zum Rittnerhorn einen Wanderweg für Zeit-und-Musik-Freaks ausgedacht. Er realisierte einen harmonischen Weg, der das Wandern musikalisiert und bei dem die Wanderer*innen sich ihren eigenen Wander-Rhythmus entlang der vorgesehen Tafeln "ergehen" können – ob sportliche, kontemplative, gesprächige, oder eben eine persönliche Variante, für die räumliche Empfindung nach eigenem Taktgefühl. Im Oktober 2020 ließ Mayr allerdings aufhorchen: sein harmonisches Projekt am Ritten war einigen Betreibern nicht mehr genehm. Salto berichtete.
Nun lässt der Soundkünstler erneut aufhorchen, mit einer Schau zu seinem 80. Geburtstag im Museion. Dort haben die Ausstellungsgestalter des Grafikstudios bruno aus Venedig für den wackeren Zeit-Gestalter einen visuellen Zugang zu Mayrs Hörerlebnissen in den Raum gestellt – just im Museion, welches mit seinem akustischen Raumklima Tontechnikern oder DJane`s die Haare zu Berge stehen lässt. 
 

Wie kann die Kunst zu einem größeren Bewußtsein für die uns von außen auferlegten Zeiten und Rhythmen beitragen und dazu, unser eigenes Bedürfnis wiederzuentdecken, wie wir unsere Zeit erfahren wollen?


Albert Mayr Time Aspects nennt sich die von Frida Carazzato und Andreas Hapkemeyer kuratierte kleine Ausstellung im hinteren Eckraum der Museion-Passage und sie präsentiert „zentrale Aspekte seines außerordentlichen, zwischen Musik und Kunst angesiedelten Werks.“ Als Ausgangspunkt dienen in erster Linie Mayrs Werke der Sammlung Museion – insbesondere aus den 1970er, 80er und 90er Jahren.
 


In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre realisierte Mayr beispielsweise mehrere Werke, die das „Unverwechselbare seines Ansatzes“ deutlich machen, etwa sein Projekt an der psychiatrischen Klinik von Volterra, wo er die sonst zur „Passivität verurteilten Patienten und Patientinnen mit einfachen Instrumenten ausstattete“ und „spontane Sound-Events“ kreierte. Oder Mayrs dokumentierter Besuch im slowenischen Dörfchen Brdo, in welchem er im Jahr 1978 eine abgeschiedene Gemeinschaft mit Rhythmen und Klängen zu einem Hörerlebnis formt und den Zuhörer*innen die dortige „soziokulturelle Situation“ näherbringt. 
 


Albert Mayr, 1943 in Bozen geboren, lebt und arbeitet in Florenz. Bereits in jungen Jahren konnte er sich für einen „weit gefassten Musik-Begriff“ begeistern, bei welchem Alltag und Alltagsgeräusche eine wichtige Rolle einnehmen. Nach Abschluss des Konservatoriums in Bozen spezialisierte sich Mayr am Konservatorium Cherubini in Florenz auf Komposition, ging anschließend mit einem Stipendium nach Kanada und kam dort sogar mit dem 2021 verstorbenen Raymond Murray Schafer in Kontakt, dem Begründer des 1971 lancierten World Soundscape Project – an dem auch Mayr mitwirkte. Von 1973 bis 1991 hatte Alber Mayr den Lehrstuhl für elektronische Musik am Konservatorium in Florenz inne. 
 


Fotos, Filme, Hörbeispiele oder Partituren machen die Arbeit Mayrs in der kleinen Schau erlebbar und eröffnen – auf kleinstem Raum – innovative und zuvor unentdeckte Räume, die über seine Berechnungsmuster in eine sehr spezielle Wahrnehmbarkeit führen, seinem Konzept des Time Designs. Dafür erstellte er Stunden- bzw. Zeitpläne und entwickelte daraus eine kreative Disziplin. Mit Anleitung. Seit über einem halben Jahrhundert beschäftigt er sich nun schon mit dem Thema und experimentiert manchmal gerne sogar dort wo man nichts hört, und wo dennoch aus Zeit Musik wird.“
 


„Zeit haben wir nicht, wir sind in der Zeit“, ist ohne Zweifel Mayrs bekanntester Zeit-Slogan, sein Lebensmotto sozusagen. Mit dieser Sentenz ließ er sogar T-Shirts bedrucken. Auch mit 80 Jahren "Lebenszeit" will er weiterhin der Zeit in all ihren Möglichkeiten nachspüren und sie erfahrbar machen. Besucher*innen sollten sie sich (im übertragenen Sinn) für Albert Mayrs Ausstellung "nehmen". Unter außergewöhnlichen Vorzeichen ist dies am heutigen 30. März, ab 19 Uhr, möglich, wenn im Museion mit Francesco Canavese und Francesco Giomi von Tempo Reale, sowie mit Francesco Michi, Luca Miti und Stefano Zorzanello, eine musikalische Veranstaltung zum Werk von Albert Mayr stattfindet. Ein Zuhörer (!) der Performance wird auf jeden Fall der Sonic Youth Pavilion des Künstlers Dan Graham sein. Er steht zeitlos in der Passage und ist bekanntlich dem schrägen Ton verpflichtet. Was für ein wunderbarer Zufall.