Gesellschaft | Gesundheit

„Problem an der Wurzel packen“

Was in den skandinavischen Ländern schon seit Jahrzehnten praktiziert wird, soll nun auch in Italien eingeführt werden: eine wohnortnahe Pflege- und Gesundheitsversorgung
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Foto: LPA/Fabio Brucculeri
Der demografische Wandel, die damit einhergehende Zunahme der chronischen Erkrankungen, was wiederum höhere Pflegeleistungen zur Folge hat, und lange Wartelisten in den Krankenhäusern stellen die Gesundheitssysteme in den westlichen Ländern vor eine große Herausforderung – Italien bzw. Südtirol bildet hier keine Ausnahme. Um auch in Zukunft den Bürgern und Bürgerinnen eine gute Betreuung zu ermöglichen, investieren Staat und Land in wohnortnahe Betreuungseinrichtungen und in die frühzeitige Begleitung gebrechlicher Senioren und Seniorinnen. Im Rahmen der heutigen Pressekonferenz (30. August) wurden die geplanten Maßnahmen vorgestellt.
 
 
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Landeshauptmann Arno Kompatscher, Günther Burger, Direktor des Landesressorts für Gesundheit, Pflegedirektorin Marianne Siller sowie die Vertreter der verschiedenen Ärztegewerkschaften stellten heute das Planungsinstrument für eine wohnortnahe Gesundheitsversorgung vor. (Foto: LPA/Fabio Brucculeri)
 
 
Wie Landeshauptmann und Gesundheitslandesrat Arno Kompatscher vor dem Hintergrund der steten Zunahme der Gesundheitsleistungen erklärte, liege das Ziel in einer frühzeitigen Begleitung der Senioren und Seniorinnen bzw. in der Vorsorge, um letztendlich das gesamte Gesundheitssystem zu stärken. „Die Aufwertung der wohnortnahen Betreuung ist fundamental für das Wohl der Bürger und Bürgerinnen und die beste Methode, um das gesamte Gesundheitssystem zu stärken.“ Voraussetzungen dafür seien zum einen neue Landeszusatzverträge, mit welchen beispielsweise die Einrichtungen der Strukturen und die Finanzierung geregelt wird, sowie die Umsetzung des Planungsdokumentes für die Weiterentwicklung und Stärkung der Berufe in Allgemeinmedizin und der Kinderärztinnen und -ärzte sowie das Projekt zur Feststellung der Notwendigkeit der gesundheitlichen Hausbetreuung je nach Bedarf. Damit, so Landeshauptmann Kompatscher, möchte man das Problem an der Wurzel packen.
 
 
 
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Investitionen in die Gesundheitsversorgung: Zusätzlich zu den Ausgaben für Hausärzte, Kinderärzte und Ambulatoriumsfachärzte werden rund 3 Millionen Euro für das Projekt zur Feststellung der Notwendigkeit der gesundheitlichen Hausbetreuung zur Verfügung gestellt. (Foto: Autonome Provinz Bozen)
 
 
Ziel des Planungsinstrumentes sei es, das Netzwerk der wohnortnahen Dienste aufzuwerten, um eine umfassende Betreuung der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, erklärte Günther Burger, Direktor des Landesressorts für Gesundheit. Ein weiterer Schwerpunkt liege in der Zusammenarbeit zwischen Primärbetreuung, Fachmedizin, Krankenhäusern und Sozialdiensten. Zukünftig sollen die verschiedenen Gesundheitsberufe in einem multidisziplinären Team zusammenarbeiten, um die Bürgerinnen und Bürger nahe am Wohnort zu betreuen zu können. Dazu werden Zusammenschlüsse mehrerer Allgemeinmediziner und -medizinerinnen unter einem Dach, sprich Gruppenmedizin, gefördert. Vorgesehen ist, dass diese Ärzteteams Unterstützung von Seiten des Gesundheitspersonals, wie Pflegepersonal oder Psychologen, und vor allem administrative Hilfe von Sekretariatsmitarbeitenden erhalten. Eine engere Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern soll zudem zu einer Verbesserung der Angemessenheit von Verschreibungen für Facharztvisiten beitragen.
 
 

Schlusslicht Südtirol

 
Das Planungsdokument dient weiters als Grundlage für die Ausarbeitung der neuen Landeszusatzverträge in Allgemeinmedizin und für Kinderärztinnen und -ärzte freier Wahl. Darin sind unter anderem auch verschiedene Maßnahmen im Bereich Pädiatrie definiert. Wie Rosalba Leuzzi, Generalsekretärin der Gewerkschaft der Kinderärztinnen und -ärzte freier Wahl (Fimp), erklärte, liege eines der prioritären Handlungsfelder in der Erhöhung der Durchimpfungsrate bei Kindern. „Südtirol liegt im italienweiten Durchschnitt noch im Schlussfeld. Hier möchten wir gemeinsam mit dem Gesundheitsbetrieb verstärkt Impfkampagnen organisieren und Aufklärungsarbeit betreiben“, so Leuzzi.
Weiters wird im Planungsinstrument die gesundheitliche Betreuung der wachsenden Anzahl von älteren Personen thematisiert. Um dieser Herausforderung zu begegnen, soll die integrierte Hausbetreuung ausgebaut werden. „Ältere Personen, die nicht mehr selbstständig leben können, werden im Rahmen der integrierten Hausbetreuung von einem multidisziplinären Team zu Hause betreut“, erklärte Simon Kostner, Pressesprecher der Gewerkschaft Snami. Damit soll neben einer vorort Versorgung der Patientinnen und Patienten auch eine Reduzierung der Krankenhauseinweisungen erreicht werden.
 
 
 
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Als Basis für die Feststellung der Notwendigkeit der gesundheitlichen Hausbetreuung dient unter anderem die sogenannte Rockwood Skala. (Grafik: Autonome Provinz Bozen)
 
Um genau jene Personen zu erfassen, die eine integrierte Hausbetreuung in Anspruch nehmen könnten, wird im September 2023 ein Projekt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Allgemeinmedizin gestartet. „Im Rahmen des Projektes werden alle über 74-Jährigen von ihrem Hausarzt oder ihrer Hausärztin eingeladen. Gemeinsam werden zwei Fragebögen ausgefüllt. Sie geben Auskunft darüber, ob der Patient gebrechlich ist und eventuell eine integrierte Hausbetreuung vonnöten ist“, erklärte der wissenschaftliche Leiter am Institut für Allgemeinmedizin Giuliano Piccoliori. Laut Schätzungen von Fabio Salvio, Allgemeinmediziner und Mitglied der Gewerkschaft Fimmg, kommen bei den rund 40.000 über 74-jährigen in Südtirol lebenden Personen in etwa 5.600 bis 8.400 für eine integrierte Hausbetreuung in Frage. Für das Projekt, das vom Land und mit Geldern des nationalen Wiederaufbaufonds (PNRR) finanziert wird, stehen an die drei Millionen Euro bereit.
 
 
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Salto User
Manfred Gasser Mi., 30.08.2023 - 20:21

Was soll das denn werden, wenn im Moment nicht mal die gerechte Auszahlung des Pflegegeldes funktioniert. Meine Mutter ist laut Rockwoodskala stark gebrechlich, ihr wurde aber nur die 2. Pflegestufe genehmigt, mit 96 Jahren, an den Rollstuhl gebunden und dement. Bin gespannt, ob sie einen Brief bekommt.

Mi., 30.08.2023 - 20:21 Permalink