Kultur | SALTO weekend

Gewendeter Kommunist?

Felix Gasbarra trat mit 25 in die Berliner KP ein. Als er 1935 nach Italien übersiedelte, war er bereits Mitglied des Partito Nazionale Fascista. War er ein Opportunist?
Felix Gasbarra
Foto: Edizion Raetia
  • Wie geht man mit einem Vater um, der nie Kontakt zu einem gesucht hat, sein Kind lebenslang verleugnete und in einer halbgaren Rechtfertigung an die Mutter es nicht einmal fertigbrachte, dessen Namen auszuschreiben? Im Brief heißt der Sohn schlicht G.
    Hinter diesem G. steckt Gabriel Heim. Er wuchs bei der Mutter in Zürich auf. Ilse Winter, eine jüdische Berliner Schauspielerin, war vor den Nationalsozialisten erst nach Paris, dann in die Schweiz geflohen. Sohn Gabriel kam 1950 zur Welt. Später lernte Ilse Winter einen Zürcher Fabrikanten kennen, Albert Heim, dessen Namen Gabriel jetzt trägt. 
    Auch ohne richtigen Vater ist aus Gabriel etwas geworden: Münchner Filmhochschule, Regisseur von Dokumentationen, Programmleiter beim WDR, Fernsehdirektor beim Berliner ARD-Sender und nach der Wende verantwortlich für dessen Fusion mit dem Brandenburger Pendant zum RBB. Nun dieses Buch über den Vater. Untertitel: Eine Vatersuche. Mehr Annäherung war nicht drin. Vielleicht ist das auch gut so. Einem solchen Vater möchte man nicht allzu nahe kommen und ist dankbar für die Distanz, die geografische und die zeitliche. 

  • Das Vaterbuch: "Um Gasbarra zu verstehen, hat Gabriel Heim auf dessen umfangreichen Briefwechsel zurückgegriffen." Foto: Alfred Tschager
  • Die Titelfrage Wer sind sie denn wirklich, Herr Gasbarra? lässt sich von Heim nicht beantworten, auch nicht von seinen Halbschwestern Claudia und Livia, Gasbarras Töchtern, zu denen er ein besseres Verhältnis pflegte als zu Heim. Und auch nicht von Gasbarras Lebensgefährtin über Jahrzehnte, Doris Homann. Sie ist die Heldin des Buches. 
    Doris Homann war eine Berliner Malerin, Epigonin von Käthe Kollwitz, ähnlich begabt und in der Weimarer Republik durchaus wahrgenommen, doch dann in Vergessenheit geraten – auch weil sie ihre Interessen stets denen Gasbarras unterordnete und für den Unterhalt der Familie sorgte. Den Nationalsozialisten hat sich Homann nie angedient. Kaum jedoch war Gasbarra nach Rom gezogen, in die Hauptstadt des Faschismus, folgte Doris. Finanziell unabhängig und beruflich erfolgreicher, obwohl emanzipiert und so souverän, dass sie Frauenrollen hinterfragte und nicht erfüllte, ordnete sie sich Gasbarra unter. Nicht jeder Widerspruch lässt sich klären. 
     

    ...was Gasbarra von den Melonis und Salvinis dieser Welt unterscheidet.


    Im Fall Gasbarra sind es eine ganze Reihe Widersprüche. Der Wechsel von der KP zum PNF erfolgte abrupt, schien aber gut vorbereitet. Gasbarra war nicht der erste ursprünglich Linke, der sich von den Faschisten angezogen fühlte. Curzio Malaparte, Ezra Pound, Knut Hamsun, Oswald Mosley, Ernst Niekisch, alle mit festen Überzeugungen und nicht nach persönlichen Vorteilen schielend, waren ebensowenig Konjunkturjäger wie Gasbarra ein Salonkommunist. Sein späterer Starrsinn wie auch die Weigerung, zu bereuen, liegen in der mehrfach gebrochenen Persönlichkeit eines Enttäuschten begründet, dessen Seitenwechsel nicht in der Vorteilnahme begründet ist, was Gasbarra von den Melonis und Salvinis dieser Welt unterscheidet. 

  • Malerin und Mutter: "Doris Homann ist die Heldin des Buches" Foto: Edition Raetia
  • Gasbarra ist bürgerlicher Herkunft (Homann sogar großbürgerlicher). Dennoch erlernt er ein Handwerk und bestreitet als Tischler seinen Lebensunterhalt. Der KP-Beitritt ist logische Folge seines Klassenbewusstseins. Von einnehmendem Wesen, agitiert er in Berliner Lokalen und auf Versammlungen, gewinnt zahlreiche Genossen für die Partei und merkt bald, dass er neben der manuellen auch eine intellektuelle Begabung hat. 
    Gasbarra beginnt zu schreiben: Pamphlete, Theaterstücke, Texte jeder Art, nur politisch müssen sie sein. Als Dramaturg wirkt er im Hintergrund der Avantgardebühnen Erwin Piscators, der Toller, Brecht und Mehring inszeniert. Gegen Ende der Weimarer Republik ist Gasbarra eine Berühmtheit, zumindest in der Theaterwelt, unter Kollegen und Kritikern. Der Begriff des Politischen Theaters ist seither untrennbar mit seinem Namen verbunden. 
     

    Ein volles Jahrzehnt besorgt er die Schlussredaktion für den Platzhirschen in Südtirols Presselandschaft...


    Weshalb nun der Umschwung, ohne äußere Not vollzogen? Noch waren die Nationalsozialisten nicht an der Macht. Gasbarra war niemand, der auf fahrende Züge aufspringt; das wird nach Lektüre von Heims Buch klar. Wenn es darauf ankam, hat Gasbarra sich lieber selber geschadet als eine Gelegenheit beim Schopf gepackt. Das hatte er mit Pound (den Gasbarra persönlich kennenlernte, als beide für den italienischen Rundfunk arbeiteten) oder Hamsun gemeinsam. Durchgemogelt, wie der Klappentext nahelegt, hat sich Gasbarra nicht, zumindest nicht durch die Gesellschaften. Gut möglich, dass es zwei Gasbarras gab, einen privaten und einen politischen. Der private lässt sich nicht mehr erklären, der politische eventuell doch. 
    „Nein, Erwin“, schreibt Gasbarra kurz nach Kriegsende an Piscator, „ich bin nie ein Bürger gewesen und bin auch keiner geworden.“ Bürger nicht, aber Faschist? Gasbarra übersetzte die Werke führender Regimeideologen ins Deutsche und trug so zu einer Stärkung der Achse Berlin – Rom bei. Dabei blieb er, wie schon im Theater, stets im Hintergrund. Gasbarra soll auch Reden für Mussolini geschrieben haben. Die Nähe zum Faschismus, das ist noch gelinde gesagt, bereitete ihm keinerlei Probleme. Den kompletten Weg, eine Parteikarriere hinzulegen und, keineswegs unrealistisch, Galeazzo Cianos rechte Hand im Propagandaministerium zu werden, beschreitet Gasbarra nicht; „dazu war ich“, lässt er Piscator wissen, „politisch viel zu indifferent geworden.“
     

    Gasbarra, der Unfassbare, Gasbarra, das politische Chamäleon: Das sind die Schlagwörter, die auf ewig mit ihm verbunden bleiben.


    Die Gleichgültigkeit wirkt vor allem der Niedergeschlagenheit geschuldet. „Ich sehe weit und breit nichts mehr, für das sich noch zu kämpfen lohnte, sehe es schon seit vielen Jahren nicht mehr.“ Ist dem wirklich so, war Gasbarra auch schon während seiner Zeit in Rom ein Desillusionierter. Der erste erlebte Zusammenbruch nach einem Weltkrieg, der von 1919, hatte Gasbarra noch einen Schaffensschub gegeben. Jetzt wird er nur noch arbeiten, um zu überleben. Ein volles Jahrzehnt besorgt er die Schlussredaktion für den Platzhirschen in Südtirols Presselandschaft, mit dem Herausgeber der Dolomiten, Michael Gamper, klerikalkonservativ und antikommunistisch, verbindet ihn noch dazu eine persönliche Freundschaft.  
     

  • Späte Sichtweisen: „Ich sehe weit und breit nichts mehr, für das sich noch zu kämpfen lohnte, sehe es schon seit vielen Jahren nicht mehr.“ Foto: Edition Raetia
  • Von Doris Homann lebt Gasbarra inzwischen getrennt, sie hat sich zu den beiden ausgewanderten Töchtern nach Brasilien aufgemacht. Ihren Lebensmenschen wird sie nie wiedersehen. Gasbarra bleibt in Bozen zurück. Später schreibt er Hörspiele für die Südtiroler RAI, übersetzt unter anderem Jules Verne und George Orwell und verfasst einen satirischen Roman, Schule der Planeten. Mit zunehmender Erblindung vereinsamt der ohnehin schon sehr zurückgezogene Gasbarra. Er stirbt 1985, fast 90-jährig, in einem Blindenheim. Da ist Doris Homann schon über ein Jahrzehnt tot.
    Gasbarra, der Unfassbare, Gasbarra, das politische Chamäleon: Das sind die Schlagwörter, die auf ewig mit ihm verbunden bleiben. Daran ändert auch Heims Buch nicht. Trotzdem sollte er an diesem Punkt nicht stehenbleiben. Nicht als Autor. Lass gut sein, würde dem Sohn ein Psychologe, falls er einen hat, nun raten. Lass nicht locker, werden seine Leser, möge es ihrer viele geben, nun wünschen. 
     

    Es gibt nicht allzu viele, deren Abirrung von links nach rechts sich nachvollziehen lässt – ein gar nicht so seltenes Phänomen...


    Um Gasbarra zu verstehen, hat Gabriel Heim auf dessen umfangreichen Briefwechsel zurückgegriffen. Als nächstes könnte er ihn veröffentlichen, mit seinen Kommentaren versehen. Nicht ausgeschlossen, dass sich dann der politische Gasbarra ein wenig mehr erschließt. Lohnenswert wäre dies. Einen Anfang hat Heim nun gemacht (nachdem bereits sein Buch über Ilse Winter erschien, Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus. Eine Mutterliebe in Briefen).
    Es gibt nicht allzu viele, deren Abirrung von links nach rechts sich nachvollziehen lässt – ein gar nicht so seltenes Phänomen, von der historischen und literarischen Forschung gleichermaßen vernachlässigt. Womöglich birgt sich in einer solchen Herangehensweise ein Ansatz, wie mit der Desillusionierung ehemals hingebungsvoller Aktivisten – zu beobachten auch in heutigen Demokratien – umzugehen ist, bevor sie schlimme Früchte trägt.

  • Felix Gasbarra: "Sein späterer Starrsinn wie auch die Weigerung, zu bereuen, liegen in der mehrfach gebrochenen Persönlichkeit eines Enttäuschten begründet" meint Ralf Höller Foto: Edition Raetia