Gesellschaft | Medien & Corona

Medien und „Fake news“

Ist es an der Zeit, die Corona-Pandemie aufzuarbeiten? Im Rahmen einer Fachtagung hat die Eurac Reasearch einen ersten Versuch unternommen.
Udo Göttlich
Foto: Salto.bz
  • Unter dem Motto „Gesundheitskrise – Gesellschaftskrise?“ fand vor Kurzem in der Eurac Research eine Vortragsreihe statt. Die Veranstaltung war, wie eine Zuhörerin anmerkte, trotz des spannenden Themas wenig besucht, auch der Inhalt konzentrierte sich vorwiegend auf Studien, die in Deutschland durchgeführt wurden. Laut Harald Pechlaner, Leiter des Center for Advanced Studies, liegt der Grund darin, dass man in unserem Nachbarland, was die Aufarbeitung der gesellschaftlichen Folgen betrifft, bereits weiter ist als in Südtirol, und die Fachtagung als Denkanstoß für weitere Studien und Veranstaltungen zu diesem Thema gesehen werden soll.

    Im Rahmen der verschiedenen Vorträge versuchten die Referenten, den Fragen nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt vor dem Hintergrund einer Gesundheitskrise, die sich zu einer Gesellschaftskrise auswuchs, nachzugehen. Udo Göttlich, Professor für allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Zeppelin Universität (Friedrichshafen), beleuchtete in seinem Vortrag den Medien- und Öffentlichkeitswandel im Kontext von Social Media und der Verbreitung „alternativer Fakten“. Welche Auswirkungen die Pandemie auf das Vertrauen in die Institutionen, in die Wissenschaften und in die politische Handlungsfähigkeit sowie die demokratische Legitimation von Entscheidungen hatte, ist noch nicht ausreichend beantwortet, so Göttlich, der seine Position als öffentlichkeitskritisch bezeichnet.

  • Medienwissenschaftler Udo Göttlich: „Kennt man eine Talk-Show zum Thema Corona, kennt man alle.“ Foto: Salto.bz
  • So machte er während der Pandemie einen Konflikt zwischen den Massenmedien und den sozialen Netzwerkmedien aus, was sich vor allem im Erstarken der sogenannten „Querdenker-Szene“ bemerkbar gemacht habe. Diese sahen in der Berichterstattung der Mainstream-Medien wiederum ein Komplott, dem man nur mit der Veröffentlichung von „alternativen Fakten“ beikommen könne. Der Widerstreit habe sich insbesondere bei den Themen Masken-Pflicht und Impfung hochgeschaukelt. „Das Ergebnis war eine Spaltung in eine klassische Medienlandschaft und in einen Raum der alternativen Fakten“, so der Medienwissenschaftler. Durch diesen Bruch habe die klassische Medienlandschaft das Monopol über die Berichterstattung verloren und wahrheitsgemäße Unterscheidung zwischen Information und Desinformation habe während der Pandemie nicht mehr unumstritten auf Seiten der Massenmedien gelegen, die versucht hätten, eine schwierige politische Entscheidungslage zu vermitteln. Diese habe sich insbesondere in den verschiedenen Talkshows von einer Konstante zu einer Variable entwickelt, was zu einer Verunsicherung des Publikums geführt habe.

  • Kennt man eine, kennt man alle

    Laut einer Erhebung der globalen Datenbank Statista wurden im Jahr 2020 im deutschen Fernsehen 110 Sendungen zum Thema Corona ausgestrahlt, im Jahr 2021 waren es 31 Sendungen. Diese Zahlen geben nur jene Sendungen wieder, die über die öffentlich rechtlichen Medien ausgestrahlt worden sind, zählt man die privatrechtlichen hinzu, sind es noch weit mehr. Immer wieder seien dieselben prominenten Figuren in der Berichterstattung auf die Bildschirme zurückgekehrt, so der Professor, dessen Fazit lautet, dass Prominenz offenbar mehr Geltung hatte als Wahrheits-Kriterien, ungefähr nach dem Motto „Kennt man eine dieser Talk-Shows, kennt man alle.“ Ab einem bestimmten Zeitpunkt seien nicht mehr die verschiedenen wissenschaftlichen Positionen aufgegriffen worden, denn dies sei nicht mehr vermittelbar gewesen. Von den „Querdenkern“ seien sie deshalb als System-Medien beschimpft worden. Dadurch, dass die Massenmedien keinen Versuch unternommen haben, die sich widersprechenden Meinungen einzubinden, habe man es den sozialen Medien leicht gemacht, diese Nachfrage zu bedienen.

  • Die Querdenker wurden nicht eingeladen, sich an den Diskussionen in den Massenmedien zu beteiligen. Ihre Meinungsäußerungen haben sich deshalb in ihre eigenen Medien verlagert.

  • „Die Querdenker wurden nicht eingeladen, sich an den Diskussionen in den Massenmedien zu beteiligen. Ihre Meinungsäußerungen haben sich deshalb in ihre eigenen Medien verlagert“, so Göttlich. Das habe wiederum die Leitmedien dazu veranlasst, die Auswüchse der Querdenker zu einem Hauptthema zu machen, was die klassischen Medien auch davon entlastet habe, sich einen Weg durch das Dickicht der Expertisen und Studien zu bahnen. „Das Dilemma dabei ist, dass es gar nicht um die Frage von Wahrheit, Wirklichkeit und Unwahrheit geht. Es geht um die Frage, der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit – auf welcher Seite man auch immer stehen mag“, so Professor Göttlich, der auf eine Aussage des deutschen Soziologen und Gesellschaftstheoretikers Niklas Luhmann verwies. Dieser erklärte: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Medien.“ Doch wie könne man nun davon ausgehen, dass alles, was man durch die Medien über die Welt weiß, überhaupt wissen könne, gab Göttlich zu bedenken und erklärte, dass die entscheidende Frage sei, wie das Wissen zustande kommt.

  • Die Medien der „Selbstbehaupter“

    Nach Luhmann liege die Leistung der Massenmedien im System-Erhaltbzw. übten sie eine stabilisierende Funktion aus. Der Preis dafür sei allerdings, dass es kein Zurück mehr gebe. „Wir sind ein Publikum der Massenmedien und es gibt keinen Turn back. Mit den Social Media ist eine neue Dynamik entstanden. Während die Logik der öffentlichen Medien darin besteht, die Informationen für die Bürger bereit zu stellen, die sich dann ihre eigene Meinung bilden können, geht es in den sozialen Medien nicht um Wahrheit und Wirklichkeit, sondern um soziale Akzeptanz“, so der Medienwissenschaftler. Seiner Meinung nach seien die Tweeter und Poster „Selbstbehaupter“, die einer Follower-Logik entsprechend argumentieren. Die Follower-Zahlen seien dabei eine „harte Währung“, die es mit entsprechenden Informationen – und seien sie noch so abstrus – zu gewinnen gelte.

  • Es geht in den sozialen Medien nicht um Wahrheit und Wirklichkeit, sondern um soziale Akzeptanz.

  • Je mehr Tweets, desto entscheidender ist die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Vor diesem Hintergrund kommen laut Göttlich die „alternativen Fakten“ ins Spiel. Als Beispiel nannte der Medienwissenschaftler den berühmten Tweet von Donald Trump und den Diskurs, bei welcher Amtseinführung – Barack Obama oder Donald Trump – denn nun mehr Anhänger anwesend waren. „Es ging dabei nicht um die tatsächlich Zahl, sondern darum, wie Trump die Realität wahrgenommen hat. Es geht nur darum, den Followern die eigene Haltung als die dominante zu vermitteln“, so Göttlich, der betonte: „Das ist ein Problem.“ Die Einführung von Fakten Checks und mehr Medienkompetenz in den sozialen Medien sei jedoch unrealistisch.

  • Kontrolle über die Stinkstiefel

    Könnte diese 5. Gewalt aber die 4. Gewalt, sprich die Medien, kontrollieren?„Nein“, sagt Professor Göttlich. Dazu gebe es zu viele verschiedene Kommunikationsstränge in den Social Media. Die meisten davon würden vollkommen unauffällig stattfinden und viele Themen seien keine Themen für die Leitmedien. Der Medienwissenschaftler zeigte sich jedoch davon überzeugt, dass es einen Raum des Austausches brauche – ähnlich der guten alten Kaffeehaus-Kultur.

  • Auch ein absoluter Quertreiber und Stinkstiefel wird sich in einer sozialen Gruppe nicht daneben benehmen.

  • „Wir brauchen in den Medien neue Formate, in denen sich Sprecher auf Augenhöhe begegnen können und in ihrem Streit immer eines riskieren, und zwar das soziale Ansehen bzw. die Einbindung in die soziale Gruppe. Auch ein absoluter Quertreiber und Stinkstiefel wird sich in einer sozialen Gruppe nicht daneben benehmen, weil er durch die Gruppe kontrolliert wird“, so Göttlich. Danach gefragt, wie man ein solches Kaffeehaus-Medium schaffen könnte, musst der Professor allerdings passen: „Wenn ich eine Antwort darauf hätte, würde ich in den Talkshows sitzen.“