Eine handfeste Krise
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Es war nicht alles schlecht in den letzten Wochen beim FC Südtirol: Ein Sieg gegen Reggiana mit starken (einstudierten) Standards, „Moral bewiesen“ gegen Sampdoria – und dennoch: 9 Gegentore in 6 Spielen lassen große Schwächen in der Abwehr vermuten. Ein „expected Goals Against“-Wert von 4,5 stehen die Südtiroler aber im Ligavergleich an erster Stelle. Die Südtiroler Defensive ließ demnach nur relativ ungefährliche Torabschlüsse zu. Oder anders ausgedrückt: Die Abschlüsse der Gegner hatten bisher eine geringe Erfolgswahrscheinlichkeit – der FCS hatte ein bisschen Pech.
Nun sind diese „advanced stats“ nicht immer korrekt und können ohnehin nicht alle Einflussgrößen – wie etwa den Spielverlauf – abbilden. Dennoch helfen sie dabei, Entwicklungen und Trends zu verstehen. In unserem Fall sind sie ein weiteres Argument für die letztens aufgestellte These, dass die größte Baustelle die Südtiroler Offensive ist. Na ja…denkste.
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Dieses Mal ist aber wirklich die Defensive schuld
FCS-Trainer Federico Valente schickte seine Mannschaft in der gewohnten 3-4-2-1-Formation aufs Feld, demgegenüber liefen die Gäste aus Palermo im 4-3-3 auf, das defensiv in ein 4-1-4-1 umgewandelt wurde. Südtirol presste von Beginn an (und v. a. bei gegnerischen Abstößen) sehr hoch und passte auch die Pressingabläufe an.
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Odogwu lief als Sturmspitze den ballführenden Innenverteidiger an, während – je nachdem, welche Seite – einer der beiden Halbspieler, Tait oder Casiraghi, den zweiten Innenverteidiger attackierten. Ziel war es, das Spiel der Gäste auf die Seiten zu lenken, dort schoben die Außenspieler – Rover auf links und Molina auf rechts – dann auf die jeweiligen Außenverteidiger.
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Diese Pressingvariante hatte nur einen Makel: Der zentrale Mittelfeldspieler Palermos, Gomes, hatte keinen direkten Gegenspieler. Genauer gesagt: Tommaso Arrigoni war zwar sein Gegenspieler, der ihn mannorientiert verfolgen sollte, allerdings war die Distanz, die der Südtiroler Sechser dafür zurücklegen musste, zu groß. Gomes konnte immer wieder „aufdrehen“ oder die Ablagen seiner Mitspieler mit Gesicht zum Südtiroler Tor annehmen und weiterverarbeiten.
Rückten die Südtiroler Sechser, etwa Arrigoni gegen Gomes, dann doch einmal heraus, verstand es das Mittelfeld Palermos sehr gut, die Mannorientierungen in Südtirols Defensive zu manipulieren. So tauschten etwa Gomes und Segre vorübergehend die Positionen; Arrigoni verfolgte brav den ausweichenden Gomes und Segre war im Zentrum wieder alleine.
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Palermo im Pressing und Südtirols Offensivbemühungen
Die Gästen liefen Südtirol nur bei Abstößen (oder gelegentlich bei Rückpässen auf Torhüter Poluzzi) hoch an. Das geschah dann ebenfalls sehr mannorientiert. Kippte aber Jasmin Kurtic zwischen die Innenverteidiger, wurde die Verfolgung aufgegeben und Palermo zog sich tiefer ins 4-1-4-1 zurück. Die Führung nach 20 Minuten spielte den Gästen natürlich in die Karten: Sie konnten sich jetzt noch weiter zurückziehen und pressten nur mehr gelegentlich etwas höher.
Der FC Südtirol hatte es wiederum mit den bekannten Probleme im Ballbesitzspiel zu tun. Zu Beginn bewegte sich Daniele Casiraghi vermehrt in den 10er-Raum, als Palermo dann aber (in Folge der Führung) tiefer verteidigte und das Zentrum sowie den Zwischenlinienraum versperrte, besetzte Casiraghi wieder „seine“ Position im linken Halbraum. Die Mehrzahl der Südtiroler Angriffe wurde dann über links eingeleitet und gespielt. Casiraghi hatte dabei mit Matteo Rover einen ähnlich offensiv denkenden Partner, der immer wieder ins Zentrum einrückte oder mit Casiraghi die Position wechselte. Rover selbst kam dadurch zu einigen Abschlüssen, die vielen Flanken im Südtiroler Spiel, die wir eigentlich gewöhnt sind, blieben heute aber aus. Raphael Odogwu mühte sich im Zentrum ab, bekam aber keine brauchbaren Zuspiele.
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Südtirol und das Standardparadoxon
Die zweite Halbzeit begann mit einem positiven Ausrufezeichen: Daniele Casiraghi verwandelte per direktem Freistoß zum 1:1 (Traumtor btw.) und insgesamt waren die Südtiroler bemüht, noch aggressiver zu pressen, um den spielerisch überlegenen Gästen so beizukommen. Die 10-12 Minuten nach dem Ausgleichstreffer waren auch Südtirols besten: Aggressivität, Intensität, pressen und gegenpressen - Südtirols Spiel hatte in dieser Phase all das, endete dann aber plötzlich. Palermo gelang nämlich wieder die Führung. Wieder war es eine Standardsituation. Wieder ein Kopfballtor nach einer Freistoßflanke. Südtirol kann zwar Standards (offensiv), aber irgendwie auch nicht (defensiv). Auch das ist eine Erkenntnis aus den ersten 7 Spielen dieser Saison.
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Jetzt macht auch noch der Trainer Fehler
So schlecht war das Alles auch heute wieder nicht. Es gab wieder durchaus gute Ansätze. Zum Beispiel die Pärchenbildung Casiraghi-Rover auf links. Oder das hohe Pressing, bei welchem einer der Halbspieler den zweiten Innenverteidiger Palermos attackierte. Aber da lag auch wiederum das Problem: Wieder wurden diese aussichtsreichen Ansätze nicht zu Ende gespielt. Zu Ende gedacht. Das Pressing wies große Lücken auf, die Anpassung kam erstens zu spät und wurde zweitens von Palermos Mittelfeld kurzerhand selbst wieder umgangen. Konnte Valente den Sieg gegen Reggiana noch für sich verbuchen, geht diese Niederlage auf seine Kappe.
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