Gesellschaft | Start Europe Up

LEGO-Häuser für die Menschen im Slum

Mit seinen Twist-Blocks gibt Oliver von Malm den Menschen im Slum das Werkzeug, um sich ihre Lebensgrundlage zurückzuholen: Ein sicheres und würdiges Dach über dem Kopf.
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Foto: Start Somewhere
Armut, Schmutz, Gestank, brütende Hitze, und geschätzt über eine Million Menschen, die auf engstem Raum zusammenleben. Der afrikanische Kibera-Slum, südlich von Nairobi, der Hauptstadt Kenias, ist nur ein Beispiel von vielen informellen Siedlungsgebieten, welche weltweit rund eine Milliarde Menschen beheimaten, zumindest nach aktuellen Schätzungen der Vereinten Nationen. Die Weltbank schätzt 1,2 Milliarden (2022), allerdings bestätigen ExpertInnen eine weitaus größere Dunkelziffer. Aus den Perspektiven unserer privilegierten Breitengrade, schockieren die Einblicke in den kiberischen Slumalltag: Dunst strömt aus den verwahrlosten, überquellenden Sanitäranlagen. Großfamilien oder sonstige Lebensgemeinschaften bewohnen kleine Wohnräume, die regelmäßig von Bränden heimgesucht und von Grundbesitzern eingerissen werden. Die wenigen Kinder, die das Glück haben in die Schule zu dürfen, sitzen aneinander gezwängt in Blech- und Lehmhütten, in denen Temperaturen von bis zu 50 Grad herrschen.
 
Hier landete Oliver von Malm vor beinahe 12 Jahren. Noch während seiner Studienzeit an der Universität Innsbruck, reiste der deutsche Architekturstudent nach Kenia, sah die geschilderten Verhältnisse und wusste, dass er helfen musste. Von Malm erzählt, wie die Idee des „TwistBlock", die er im Rahmen seiner Masterarbeit entwickelte, ihren Weg vom Social-Startup hin zur gemeinnützigen GmbH „Start Somewhere“ gemacht hat, um heute aktiv das Leben der Menschen von Kibera in vielerlei Hinsicht zu verbessern.
 

Den Menschen muss geholfen werden, Hauptsache irgendwo anpacken!

 
Wie der Name der gemeinnützigen GmbH bereits andeutet, machte es sich von Malm damals zur Aufgabe den Menschen im Kibera-Slum, die ihm zu FreundInnen wurden, zu helfen und begann damit gleich nach der Rückkehr an seinen Studienort Innsbruck, auch wenn er noch nicht recht wusste auf welche Weise. Hauptsache: irgendwo anpacken! Nachdem er Partys für wohltätige Zwecke veranstaltete, bei welchen die Ausgaben durstiger StudentInnen den kiberischen Schulkindern Arbeitsbücher und Essen sowie lokalen Lehrkräften ein Mindestgehalt sicherten, wurde ihm klar, dass er durch sein Wissen noch nachhaltiger helfen konnte. Auf Anfrage der örtlichen Lehrpersonen, bei der Konstruktion eines Schulgebäudes zu helfen, begann von Malm seine Innovation, die „TwistBlocks“, auszuarbeiten. Die Herausforderungen des Slums sind beträchtlich: Materialien müssen feuerfest und kühlend sein, günstig und lokal produziert werden können, den Regenperioden standhalten, im chaotischen Terrain stabil sein und zur Not versetzt bzw. abgebaut und wiederverwendet werden können.

 

 

Im Zuge seiner Masterarbeit tüftelte er dazu einen hohlen Betonstein aus, der ein wenig an einen Lego-Baustein erinnert und den Grundbestandteil eines mörtellosen Stecksystems bildet, welches Konstruktionen von Wänden mit stufenlosen Winkeln ermöglicht, flexibel anpassbar an die ungeraden Grundrisse des Slums. Für die Betonmischung kann lokal-gewonnener Sand verwendet werden und so ermöglicht die Architekturtechnologie den günstigen Bau von Häusern in großer Zahl, die, aufgrund der unsicheren Grundbesitzverhältnisse der informellen Siedlungen, ohne professionelle Bauarbeiten, von den Menschen vor Ort selbst auf- und abgebaut werden können. Werden BewohnerInnen eines Grundstückes beispielsweise aufgrund des Baus einer Straße vertrieben, können die Häuser sozusagen mitgenommen werden. Die Betonhohlsteine werden mit Erde aufgefüllt, wodurch TwistBlock-Wände lediglich ein Sechstel des Betons von herkömmlichen Betonwänden benötigen. Dabei schließt das System an traditionellen afrikanischen Konstruktionsweisen an, welche die natürliche Kühlung der Gebäude bewerkstelligen. Durch den lokalen Produktions- und Gestaltungsansatz, haben die EinwohnerInnen ebenso die Möglichkeit kulturelle afrikanische Elemente in der Bauweise zu bewahren, etwa durch farbige Ausgestaltung oder Wellenkonstruktionen.
 

 

Als Start-Up entwickelte von Malm die Idee, unter anderem mit Unterstützung von universitätsinternen Strukturen in Innsbruck, weiter. Durch eine Fundraising-Kampagne für die Projekte wurden Förderer, wie der internationale Hersteller von Schalungs- und Gerüstsystemen PERI SE sowie die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), auf das Start-Up aufmerksam. Durch derartige Unterstützungen gelangen von Malm schließlich die Gründung seiner gemeinnützigen GmbH, die den Namen „Start Somewhere“ beibehält, sowie die Patentierung der TwistBlock-Innovation. Darauf aufbauend, konnten bis Ende 2020 in einem Pilotprojekt bereits eine Schule für 400 Kinder und eine Betonhohlstein-Manufaktur realisiert werden; teilweise via Zoom-Meeting aufgrund der COVID-19-Pandemie. Mittlerweile konnten noch eine Bibliothek, eine TwistBlock-Fabrik im ländlichen Kenia und ein dazugehöriger Campus aufgebaut werden, während sich eine weitere Schule, mit Platz für mehr als 800 Kinder, sowie eine stabile Wohnanlage mit 14 Wohneinheiten derzeit in der Konstruktionsphase befinden.
Ihre Art und Weise zu bauen, werde ich nicht ändern, nur ihre Mittel.
Von Malm sah darin jedoch noch nicht die Erreichung des Endziels: „Ich will eine Methode entwickeln, die von Menschen in Kibera selbst angewandt werden kann“. In der ersten kiberischen TwistBlock-Manufaktur konnten bereits fünf permanente Arbeitsstellen aufgebaut werden und bei Bauten kann ein beträchtliches Team von EinwohnerInnen angestellt und angemessen entlohnt werden. All‘ dies sind Meilensteine, so von Malm, jedoch gehe es ihm, neben der Ankurbelung des Wirtschaftskreislaufs, darum, die Herstellung und Bauweise so kosteneffizient wie möglich gestalten und für mehr Menschen zugänglich machen zu können. Ein Einfamilienhaus kostet derzeit noch rund 3000 Euro, was jedoch seiner Vision gemäß noch beträchtlich reduziert werden kann. Damit halten sich die Kosten der TwistBlock-Bauweise zwar unter jenen der vorherrschenden Mauerblock-Bauweise in Kenia, allerdings ist sie immer noch teurer als die in Kiberia üblichen Bauten aus Wellblech oder Matsch, welche jedoch kein menschenwürdiges Wohnen ermöglichen.
 

 

Von Malm legt das Ziel dar, in den nächsten Jahren 25 lokale Manufakturen aufzubauen, was laut Social-Impact-Schätzung bis 2030 die Konstruktion von 4.500 Häusern und 165 Gemeinwohlprojekten (Schulen, Krankenhäuser, etc.) ermöglichen würde. Dabei könnten rund 3800 Stellen aufgebaut werden und ein Gesamteinkommen von umgerechnet 11 Millionen Euro für MitarbeiterInnen in den Manufakturen, im Projektmanagement und auf den Baustellen erzeugt werden. „Menschen in den Slums haben ihre Häuser immer schon selbst gebaut. Ihre Art und Weise zu bauen, werde ich nicht ändern, nur ihre Mittel.“ Seine Vision sei es, die Slums von innen ausgehend zu verändern, den Menschen zu lernen sich selbst zu helfen, ihnen das Handwerkzeug zu geben und dabei nicht von oben herab zu agieren oder ausländische Baufirmen in den Slums einzunisten.
 

 

Ein weiteres bereits anwendbares Handwerkzeug dafür ist die Planungssoftware von Start Somewhere, welche mittels Algorithmus die Steine anordnet und so eine sehr intuitive Planung von Gebäuden, (zukünftig durch Fingerzeichnungen auf dem Tablet) ermöglichen soll. In Entwicklung befindet sich zudem ein Dachsystem, welches mittels TwistBlock-Technologie die Wellblechkonstruktionen ersetzen soll. Ein großes Ziel bis 2030 sieht von Malm auch darin, klimaneutral arbeiten zu können. Dafür wird zurzeit, im Labor des Hauptsitzes von Start Somewhere in München, mit Baumaterialmischungen, bestehend aus Hanf und Limette oder diverse Abfallprodukte, experimentiert.
 

„to start somewhere“ scheint die richtige Einstellung zu sein!

 

Von Malm blickt optimistisch in die Zukunft: „Bereits einige Menschen von Kibera sind wahre ExpertInnen in der TwistBlock-Bauweise geworden. Sie experimentieren mit Formen und Farben und sind stolz darauf. In naher Zukunft werden sie selbst zur vollständigen Planung, Produktion und Konstruktion imstande sein. Andere NGOs erkennen zunehmend die Vorteile der schnellen und günstigen Bauweise und verwenden sie zum Aufbau eigener Schulen und Gemeinwohlprojekte.“ Viel Arbeit steckt noch in der Entwicklungsarbeit in Kibera, jedoch scheint Start Somewhere auf dem richtigen Weg zu sein, nachhaltig das Leben von Menschen in Slums verbessern zu können.