Schöne „Schmierereien“

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Mit den Worten „Practice makes perfect“ kommentiert einer der Vernissagen-Besucher der Ausstellung lakonisch das eingangs gezeigte Video, welches die von Kuratorin Leonie Radine und dem New Yorker Künstler und Archivar eingerichtete Schau auf den oberen beiden Etagen eröffnet. Wenngleich Übung auch im Umgang mit einer Spraydose – wie bei jedem anderen künstlerischen Mittel – den Meister macht, so ist Meisterschaft oder Perfektion nicht immer das Ziel. Im hochformatigen Video – Achtung, Bezug zur Gegenwart – sind schnelle Aktionen im öffentlichen Raum zu sehen, wie man sie da und dort auch in Bozen finden könnte.
Etwa neben den beiden Fotografien von „Asphalt Nomaden“ Ludwig Thalheimers (Porträts von Fernfahrern), die in der großen Vitrine nebst des Freiluftbereichs des Café Museion zu sehen sind. Weit muss man nicht gehen. Die Ausstellungskarten neben den Werken verweisen ohnehin zumeist auf zwei Metropolen, an die man vielleicht zuerst beim Wort Graffiti denkt: „lives in Berlin“ oder „lives in New York“ steht dort als Zusatzinformation zu den Künstlern.
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Wo die Ausstellung beginnt, ist die Verbindung zur Straße bis auf zitiertes Video aber ohnehin noch abwesend oder maximal visionär. Hedda Sterne etwa nutzte die damals neue Sprühfarbe noch vorrangig als Mittel zum Experimentieren und das früh: Eingeordnet wird ihr Werk, datiert auf 1955, noch mit dem Überbegriff „Spray Painting“, der Ausdruck ist ein anderer als auf der Straße, Anklänge und Assoziationen zum Graffiti sind dennoch möglich und erwünscht. 1968 sah Lawrence Weiner, als die Spraydose gerade zum Symbol der Graffitikunst wurde, schon das Vandalismus-Potenzial von Graffiti. „Freehand“, also mit freier Hand direkt auf die Wand des Museions gesprüht finden sich seine, im Ausstellungskontext nur als Denkanstoß und nicht als Anweisung zu lesenden Worte, die leicht verlaufen, tropfen: „Two Minutes of spray paint directly upon the floor from a standard aerosol spray can“. Was in der Arbeit, wie in weiteren auf Wand und Glas gesprühten Interventionen zum Ausdruck kommt, ist neben Vandalismus-Potenzial auch der temporäre Charakter der Straßenkunst. Wer in (s)einer Stadt ein Lieblingsgraffiti hat, macht am besten einen Erinnerungs-Schnappschuss, denn was die Gemeinde nicht übermalt, löscht irgendwann die Witterung.
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Achtung Polizei: Ziffern und Lettern finden sich immer wieder. Nicht alle können sie lesen. Foto: Luca Guadagnini für Museion
Als (historische) „Painting Graffiti“ werden hingegen eine Reihe von Werken eingeordnet, die sich in den inneren beiden Räumen angesiedelt ausbreiten. Die klassische Reihenhängung unterstreicht derweil auch den – mehr oder weniger – malerischen Charakter der Werke, die raumgreifend und eindrucksvoll eineunbetitelte Arbeit von Keith Haring beschließen. Die Arbeit auf Leinwand erzeugt mit ihrer Hängung durch Ösen am Rand auch die Assoziation einer Lkw-Plane. Bevor man allerdings in den Raum mit Bildern der namhaften, ans Graffiti angrenzenden Künstler Martin Wong und Keith Haring sowie der Künstlerin Jenny Holzer kommt, geht es durch den „Untergrund“. Graffiti-Writer wie Blade, Seen, Dondi White und Zephyr waren prägend für die Bildsprache des aufkommenden Mediums, das sich in der Bildsprache auch auf U-Bahn Waggons bezieht.
Der äußere Parcours, der in den vierten Stock des Museions führt, ist im Datum rezenter und in der Form dadurch auch noch einmal heterogener: In Materialbeschaffenheit und variierenden Gestaltungsmitteln holt man hier im künstlerischen Kontext den Untergrund an die Oberfläche. Ob diese nun der Hauptcharakter ist, wie etwa bei den beiden minimalistischsten Arbeiten von Heike-Karin Föll, die in „total femme“ zwei schwarze Linien ins Weiß der Bildfläche setzt, oder ob das Bild überladen ist, wie im Falle von „NYPD SMD“ des Künstlers Shaun Crawford, lag im Ermessen der Künstlerin oder des Künstlers. Letzterer veranschaulicht neben der Vorliebe von Graffiti für soziale Brennpunkt-Themen, wie hier etwa Polizeigewalt auch die große Liebe für Kurzform mit Initiallettern oder Zahlen. Während wir das New York Police Department im Titel gerne aufschlüsseln, so überlassen wir was das vulgäre englische SMD der Fantasie der Leser:innen oder deren Google-Lust.
Der oberste Stock des Museions nutzt den großen, offenen Raum vor allem, um unter dem Titel „Making Cities“ eine urbane Landschaft zu erzeugen, in der zentral eingefügt die Arbeit von Josephine Pryde garantiert neun von zehn Blicken zuerst auf sich ziehen wird. Durch die urbane Landschaft verläuft eine kurze Modell-Eisenbahn, der „New Media Express“. An der Seite der beiden Passagierwaggons, auf denen Besucher Platz nehmen können, sind Miniatur-Graffitis anonymer Berliner Writer angebracht, die Fahrt ist kurz und wird erst im Vorwärts-, dann im Rückwärtsgang bestritten. Während der Modellzug auch eine der beliebtesten Leinwände von Sprayerinnen und Sprayern in die Ausstellung bringt, unterstreicht die Fahrt auch den verspielten, ja oft kindlichen Charakter des weiten Kunstfelds Graffiti.
Neben dem Zug bestimmt etwa auch eine Skulptur von R.I.P. Germain, die eine - selbstverständlich besprühte - Ladenfassade zeigt, hinter der sich Hinweise auf (versteckte) Probleme im urbanen Raum auftun. Es ist in der Ausstellung nicht der einzige Verweis auf Drogenkonsum. Ebenso, wenn nicht noch mehr prägend für den Raum sind die vier Stromverteilerkästen und sieben Mülleimer, die Klara Lidén als Readymades ausstellt: Für ein ordentliches, aufgeräumtes Stadtbild wohl nicht mehr schön genug und ausrangiert, bringen sie einen Hauch von Großstadt nach Bozen. Zu entdecken gibt es darüber hinaus sicher noch vieles, gerade bei kleingliedrigen Werken in großer Stückzahl und mit dokumentarischem oder Wimmelbild-Charakter, wie sie in der Ausstellung mehrfach vorkommen, aber ohnehin endet die Ausstellung idealerweise nicht im vierten Stock des Museions: Vielleicht nehmen einige Besucherinnen und Besucher einen neuen Lektüreschlüssel mit auf die Straßen der Großstadt Bozen.
Die Ausstellung „Graffiti“ ist bis 14. September zu sehen. Ab 11. April ist zudem „You and the Night and the Music – Die Editionen Francesco Conz aus der Sammlung des Museion“ zu sehen.