Flugwetter

Unterwegs in eine lebenswerte Zukunft, das war der Geist der über Tausend, die am Samstag, 28. Mai 2016 gegen den Ausbau des Flughafens Bozen-Sankt Jakob vom Friedhof Bozen nach Sankt Jakob zogen. Wer ganz zufällig in die Demonstration geriet um die Straße zu überqueren, dem wurde freundlich Platz gemacht. An etlichen Balkonen und Fenstern standen Anrainer mit den no-airport-Fahnen. Der Hof der Grundschule von St. Jakob begann sich zu füllen, als die ersten Gruppen mit den Vereinsbannern, die vielen Eltern mit Kinderwägen, Kindern auf dem Rücken und an der Hand, Erwachsene jeden Alters eintrafen. Zahlreiche hatten das schnellste Bozner Verkehrsmittel zur Seite, das Fahrrad. Unmöglich, sich zu verständigen, als der Lärmsimulator Hörproben von Linienflugzeugen in der Startphase losheulte. Natürlich in gedrosselter Lautstärke, die maximalen 130 Dezibel Lärm muteten die Organisatoren niemandem zu (die menschliche Schmerzgrenze liegt bei 120 Dezibel).
Die Kundgebung stellte das Komitee no-airport/comitato no-airport (www.no-airport.bz) mit Unterstützung des Dachverbands für Natur und Umwelt Südtirol zusammen. Andreas Riedl vom Dachverband für Natur und Umwelt hielt auf der anschließenden Kundgebung denn auch diesen Aspekt fest: Die auffallende Präsenz von Eltern und Kindern ist ein Auftrag an die Politik, die drei Punkte ernst zu nehmen, die den Protest gegen den Ausbau rechtfertigen: Umweltschutz, Gesundheitsschutz und ein verantwortungsvoller Umgang mit Steuergeldern. Diese Eltern sorgen sich um die eigene Zukunft und vor allem die ihrer Kinder. (Dass sie sich engagieren, bedarf es keiner Lockaktionen wie Gratis-Eis. Alle zahlten sich Getränk und kleine Imbisse im Schulhof selbst.) Riedl betonte, wenn die Befürworter des Flughafen-Ausbaus, v.a. Politiker, Menschen Angst machen, den Anschluss an die Zukunft zu verlieren, ist die Kommunikation in einem Stadium angelangt, das besorgniserregend ist. Im Vordergrund sollen Argumente stehen, und nicht nur eins, sondern alle, die notwendig sind, für die nächsten Jahrzehnte folgenschwere Entscheidungen zu treffen.
Darin waren sich alle Redner einig, die Bürgermeister von Leifers, Branzoll, Pfatten, Auer und Meran, Anrainer-Sprecher Otmar Clementi und Bauernbundobmann von Eppan Peter Partdatscher: Der Bozner Kessel ist die am dichtesten besiedelte Landesfläche. Durch das untere Etschtal führen die Autobahntrasse, die Staatsstraße, die Bahnlinie, in Bozen Süd steht die Verbrennungsanlage, in Pfatten eine der sieben Mülldeponien der Provinz Bozen-Südtirol. Jetzt sollen noch Flüge zwischen 6.30 und 23.00 Uhr dazukommen, ein Flieger alle zehn Minuten, in den Stoßzeiten noch mehr. Das heißt weitere Abgase: Der Ausstoß von Kohlendioxid, dem hauptverantwortlichen Gas für die Klimaerwärmung, macht bei einem Flugzeug zehn Mal mehr als beim Zug und 20 Mal mehr als beim Autobus aus (siehe Unterlagen für die Pressekonferenz no-airport.bz, 04.03.2016, Bozen, www.umwelt.bz.it/aktuelles/presse/breites-nein-zum-flughafen-bozen, downloads in deutscher und italienischer Sprache).
Noch bedenklicher ist der Lärm. Ein Thema nur für Leifers und St. Jakob? Die sehr enge Anflugschneise im Bozner Kessel bedingt, dass bei Südwind die Flüge über Kaltern-Eppan umgeleitet werden, und zwar auf niedriger Höhe. Die Start- und Landephasen sind noch im Bozner Viertel Oberrau und in der Industriezone sehr laut (für die Industriezone werden 60 Dezibel angenommen.) Das heißt Dauerbelastung mit den entsprechenden gesundheitlichen Folgen und bei Verkauf bzw. Vermietung eine deutliche Entwertung der Immobilie zwischen Auer, Kaltern-Eppan und den südlichen Stadtvierteln von Bozen. Sehr ausgeglichen der Präsident des Alpenvereins Georg Simeoni, der die Bedenken um die Umwelt und die prekäre Situation der Bewohner des Unterlandes unterstreicht. Mit viel Feuer in seinem Statement Oskar Peterlini, ehemaliger Landtagsabgeordneter und Senator, Argumente und Verve am besten direkt mitverfolgen (www.youtube.com/watch?v=hCA184rY-Us).
Aus dem Vinschgau kam der Unternehmer Heinz Fuchs, der erklärte, warum er gegen den Ausbau des Flughafens ist. Gewohnt zu rechnen, stellte er die Zahlen noch einmal zusammen: Die verlängerte Piste mit den entsprechend größeren Flugzeugen, brächte geschätzte 60.000 Touristen mehr nach Südtirol, also 1% der jährlichen Übernachtungen. Auch ohne Flugplatz für Linien- und Charterflüge stiegen die Übernachtungen von Jahr zu Jahr: Jetzt sind es über sechs Millionen Ankünfte. Vor allem die bekannten, symbolträchtigen Landschaften Südtirols sind bereits heute „überlaufen“, wie Fuchs sich ausdrückte.
Studien zeigen, Fernreisende kommen seit Jahren über die nächsten Flughäfen München, Innsbruck, Verona, zahlreiche Shuttle- und Busunternehmen bieten den Hin- und Rücktransport an. Der Flughafen in Bozen ist für Gäste, die in den Vinschgau, ins Pustertal, nach Gröden wollen, auch nicht in nächster Nähe. Die vielzitierte Erreichbarkeit...Dass Flughäfen mit regulärem Betrieb in einem Wohngebiet liegen und zum Zentrum nur 15 Minuten Autostrecke führen, ist im Vergleich zu vielen anderen europäischen Städten ungewöhnlich. Die Bahnhöfe liegen im Stadtbereich und sind an die öffentlichen Verkehrsmittel angeschlossen, die Flughäfen sind nicht zentral: München, Zürich, Wien, Mailand, Rom, London, um nur einige zu nennen, erreichen die Fluggäste nach einer bis eineinhalb Stunden Autostrecke von den Zugbahnhöfen bzw. Stadtzentren. (siehe Erreichbarkeitsstudie www.umwelt.bz.it/aktuelles/presse/bozner-flughafen-was-ist-dran-an-tourismus-schub-und-erreichbarkeit.) Für die kurzen und mittleren Strecken sind die Schnellzüge nicht nur wirtschaftlicher und ökologischer, sie transportieren die Passagiere auch schneller. Die Züge von Bozen erreichen Rom in viereinhalb Stunden, die Menschen steigen am Bahnhof Termini mitten in der Innenstadt aus, ohne lange Shuttle-Fahrten, ohne Warten beim Check-in und bei der Gepäckausgabe. Der Brenner Basistunnel wird die Fahrzeit der Personenschnellzüge nach Wien, München, Zürich u.s.w. erheblich verkürzen.
Der Schönwetter-Flughafen: Die durch die Gebirge bedingte enge Flugschneise ist in Bozen-St. Jakob Grund, dass bei Wind oder schlechter Sicht die Flugzeuge nicht landen oder starten können und häufig umgeleitet werden. Die letzten 20 Jahre waren dafür hinreichend Testphase.
Christian Kaufmann vom Alpenverein Südtirol, Sektion Welschnofen, betonte die Qualität der Bescheidenheit, um sich den Lebensraum und die Ressourcen (bis zum Jahr 2035 würde der wieder in Vollbetrieb genommene Flughafen 204 Millionen Euro an Steuergeldern kosten) für die Zukunft zu erhalten. Entsprechend brachte das Referat Natur und Umwelt des Alpenvereins Südtirol das Banner mit: „Wir fordern eine neue Bescheidenheit.“ Der Alpenverein bekennt sich zum völkerrechtlich verbindlichen Vertragswerk der Alpenkonvention. Zum Punkt Verkehr sieht die Alpenkonvention ausdrücklich eine umwelt- und sozialverträgliche Entwicklung und den Schutz des Alpenraums vor. Die Umweltauswirkungen von Verkehrsprojekten größerer Tragweite sind entsprechend zu prüfen (www.alpenverein.it/de/natur-umwelt/flughafen-bozen; www.alpconv.org/de/convention/framework/pages).