Politik | Prozess

Abgeblitzte Deeg

Das Landesgericht hat eine Strafanzeige von Ländesrätin Waltraud Deeg gegen den Autor dieser Zeilen archiviert. Die Ermittlungen haben den Salto-Artikel voll bestätigt.
Deeg
Foto: Montage: salto.bz
Marco Mayr zieht an diesem Vormittag alle Register. „Sie werden sehen“, versucht der renommierte Bozner Strafverteidiger den Richter für die Vorerhebungen zu warnen, „wenn sie diesen Fall archivieren, dann wird Franceschini einen weiteren Artikel schreiben“. Mayr steht als Anwalt an diesem Vormittag am Bozner Landesgericht für ein prominentes Ehepaar im Verhandlungssaal und er wird  mit seiner Prophezeiung Recht behalten.
Landesrätin Waltraud Deeg und ihr Ehemann Wilfried Taschler haben eine Strafanzeige wegen Rufschädigung gegen den Autor dieser Zeilen und Salto.bz eingebracht. Die Landeshauptmannstellvertreterin und der Gemeindesekretär von Toblach fühlen sich durch den vor eineinhalb Jahren erschienenen Salto-Artikel „Die Papierbäuerin“ verleumdet.
Laut Ausführungen ihre Anwalts Marco Mayr beruhen der Artikel und weitere Folgeberichte auf eine völlig falsche Darstellung und seien ausschließlich eine populistische Hetze auf eine Politikerin. Die Forderung: Dem Autor Christoph Franceschini müsse der Prozess gemacht werden.
Im Verfahren geht es dabei um eine absurde Spielart der Südtiroler Bauernschläue. Während überall auf der Welt eine Politikerin nach diesen Enthüllungen den Hut nehmen müsste, passiert in Südtiroler das Gegenteil. Die SVP-Sozialpolitikerin und ihr Ehemann haben die Chuzpe die Affäre per Strafanzeige und vor Gericht aus dem Weg räumen zu wollen.
Es ist ein Versuch, der ordentlich in die Hose gegangen ist. Denn die Ermittlungen der Bozner Staatsanwaltschaft haben die Salto-Enthüllungen mehr als nur bestätigt. Deshalb hat Vorermittlungsrichter Peter Michaeler vergangene Woche die Strafanzeige gegen den Salto.bz und den Autor archiviert. Mit einer eindeutigen Begründung: „Der wahre Kern ist vorhanden.“
Doch der Reihe nach.
 

Kreative Lösungen

 
Am 8. November 2019 zeichnet Salto.bz unter dem Titel „Die Papierbäuerin“ eine politisch brisante Geschichte nach, in deren Mittelpunkt Landesrätin Waltraud Deeg und ihr Ehemann Wilfried Taschler stehen.
2005 steht in Niederdorf ein genehmigtes Bauprojekt zum Verkauf. Es handelt sich um die Aussiedlung und Neuerrichtung einer Hofstelle für einen geschlossenen Hof. Weil der Neubau am Weiherweg entstehen soll, erhält das Hofprojekt den Namen „Weiherhof“.
Wilfried Taschler, der Ehemann von Waltraud Deeg, kauft das Projekt und baut zwischen 2005 und 2009 einen ansehnlichen Hof mit einem gleich großen Nebengebäude, in dem Stadel und Stall untergebracht sind. Das Ganze ist eher eine Villa als ein Bauernhof. Im Bauernhaus werden auch zwei Wohnungen gebaut, die für den „Urlaub auf dem Bauernhof“ dienen sollen.
 
 
Am 19. Jänner 2010 lässt sich Wilfried Taschler in der Bozner Handelskammer als landwirtschaftlicher Unternehmer eintragen. Dabei wird auch die Aufzucht von Vieh und die Haltung von Pferden eingetragen. Zweieinhalb Jahre später wird die Tätigkeit auf „Agrotourismus und Beherbergung von Gästen“ erweitert. Der Hof und die Wohnungen sind in das offizielle Register in der Kategorie „zwei Blumen“ eingetragen.
Explizit wird im Artikel darauf hingewiesen, dass dabei alles legal und nach geltenden Gesetzen vonstattenging. Es wird aber auch angeführt, dass die Familie Deeg dabei eine gewisse Kreativität an den Tag legt. Während Waltraud Deeg in ihrer Wohnung in Bruneck wohnhaft ist, haben ihr Mann und ihre Tochter ihren Hauptwohnsitz am Weiherhof in Niederdorf. Auch das ist gesetzlich durchaus zulässig. Aber nötig, um dort den Urlaub auf dem Bauernhof überhaupt betreiben zu können.
Salto.bz hatte die Geschichte als Musterbeispiel dafür gebracht, wie man mit dem „Urlaub auf dem Bauernhof“ in Südtirol umgeht. Eine Politikerin, die im Jahr 162.756 Euro (Steuererklärung 2018) verdient und ein Gemeindesekretär, der ein Jahresgehalt von 101.204,02 Euro (2018) hat, besitzen einen geschlossenen Hof, auf dem sei eine Bestimmung ausnutzen, die eigentlich dafür gemacht wurde, einer Bauernfamilie ein Nebeneinkommen und damit das Überleben auf dem Hof zu sichern.
 

Die Nicht-Besitzerin

 
Zwei Wochen nach Erscheinen des Artikels reichte das Ehepaar Deeg/Taschler gegen den Autor Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Bozen ein. Staatsanwältin Luisa Mosna ermittelte fast ein Jahr lang und beantragte in der Folge die Archivierung des Strafantrages, da die angeblichen falschen Unterstellungen laut Abschlussbericht der Carabinieri von Niederdorf vom 12. September 2020 „sich im Kern als wahr herausstellten.
Deeg/Taschler legten gegen die Archivierung Rekurs ein. Deshalb wurde der Fall am 26. Mai 2021 vor dem Richter für die Vorerhebungen Peter Michaeler behandelt.
Soziallandesrätin Waltraud Deeg beanstandet in ihrer Strafanzeige, dass sie mit dem Weiherhof in Niederdorf nicht das Geringste zu tun habe. Genauso hatte Salto.bz die SVP-Politikerin auch im Artikel zitiert. „Ich bin keine Bäuerin, der Hof gehört meinem Mann und wir leben in Gütertrennung“, sagte damals Deeg auf Nachfrage.
Das war dann auch eines der Hauptargumente ihres Anwalts vor Gericht. Marco Mayr geißelt den Autor, weil er eine Politikerin in eine Sache hineinziehe, mit der sie nichts zu tun habe. „Deeg besitzt keinen Hof“, erklärte der Strafverteidiger mehrmals wortgewaltig in der Verhandlung.
 
 
Doch Richter Michaeler folgte dieser Interpretation nicht. Im Urteil 3816/20 heißt es:
 
„Diesbezüglich sei festgehalten, dass sich die angeprangerten Artikel von Franceschini genau mit diesem Thema der exzessiven Auslegung der Bestimmungen über den Agriturismus beschäftigen und am Fallbeispiel des Ehepaares Taschler-Deeg dessen paradoxen Auswirkungen aufzeigen. Es ist also grundsätzlich eine gesellschaftspolitische Kritik, die im Anlassfall noch zusätzliche Brisanz erhält, weil der Hofbetreiber Taschler in Waltraud Deeg eine Politikerin, noch dazu Landesrätin, zur Ehefrau hat. Politische Kritik kennzeichnet sich durch bissige Ausdrucksform aus und geht oft an die Grenzen des Zumutbaren, ist aber in einem Rechtsstaat als Kontrollinstrument lebensnotwendig und (wird) daher in der Rechtsprechung liberaler und großzügiger behandelt als nichtpolitische Kritik, vorausgesetzt, dass sie auf einem wahren Kern beruht.“
 

„Geliehenes“ Vieh

 
Als Salto.bz die Geschichte 2019 recherchiert, ist der Stall des Weiherhofes leer. „Wir hatten bis 2015 Kälber und danach bis Mitte 2017 mehrere Pferde“, bestätigte das Ehepaar Taschler/Deeg damals unisono.
Im beanstandeten Artikel vom November 2019 heißt es dazu:
 
In Niederdorf behaupten böse Zungen, dass man sich die Tiere vom Toblacher SVP-Vizebürgermeister Anton Tschurtschenthaler „ausgeliehen“ habe, um rechtlich in Ordnung zu sein. Hier dürfte es sich aber eher um üble Nachrede handeln.“
 
 
 
Auch das war eine der Stellen, die im Strafantrag und im Verfahren als rufschädigend herausgestrichen wurden.
Dabei haben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bozen diese Tatsache voll bestätigt. Im Abschlussbericht der Carabinieri von Niederdorf heißt es wörtlich:
 
Dalle sommarie informazioni rese dalla veterinaria ufficiale dell'ASL (Name und Amt sind angeführt, werden hier aber ausgelassen)..., emerge che dal 2011 fino al 2015 sono entrate e uscite manze di proprietà di Tschurtschenthaler Anton di Dobbiaco (BZ). Alle manze transitate nel maso di Taschler veniva cambiata la proprietà in favore di quest'ultimo che le annotava sul registro di stalla per i periodi di permanenza, per poi ritornarle al proprietario originario Tschurtschenthaler Anton.”
 
Die Ermittlungen ergaben auch, dass Wilfried Taschler zwischen 2013 und 2018 vom Landesamt für Landwirtschaft insgesamt 30.354,35 Euro an Beiträgen als Bauer erhalten hat. Vor allem aber kam auch ein Detail heraus, das ein bezeichnendes Licht auf das Vorgehen der Kläger werfen dürfte.
Zwölf Tage nach Erscheinen des Salto-Artikels und sechs Tage, bevor Wilfried Taschler und Waltraud Deeg die Strafanzeige gegen den Autor dieser Zeilen einreichen, gab Taschler am 20. November 2019 plötzlich seine Lizenz für den „Urlaub auf dem Bauernhof“ an die Gemeinde Niederdorf zurück.
 

Deegs Vorbildfunktion

 
Aufgrund dieser Fakten kommt Richter Peter Michaeler zu einem eindeutigen Schluss. Im Urteil heißt es:
 
„Wie aus dem Bericht hervorgeht, gibt es tatsachlich Ungereimtheiten, welche die Artikel des Franceschini schonungslos und in einem sarkastischen Ton aufgedeckt haben, nämlich dass die Kühe nur „ausgeliehen" seien, dass es sich um einen landwirtschaftlichen Betrieb handelt, in welchem 2016 nur drei Pferde vorgefunden wurden, dass es also unklar ist, ob überhaupt und — falls ja - welche Art von Rindertierhaltung betrieben wird, oh es sich um Milchkuhhaltung oder um „manze" handelt. ..[…].. Die Ungereimtheiten betreffen zwar den Ehemann, der alleiniger Eigentümer des Hofes ist (wird in den Artikeln auch mehrmals präzisiert), aufgrund ihrer Vorbildfunktion als Landesrätin färben sie aber unweigerlich auf dessen Ehefrau Deeg ab und sie muss sich den bissigen Vorwurf der „Papierbäuerin" gefallen lassen. Mit diesem Begriff bezeichnet man jene Personen, die aufgrund eines anderen Vollzeitberufes kaum als Bauern, auch nicht als Nebenerwerbsbauern im herkömmlichen Sinn bezeichnet werden können.“
Die Ungereimtheiten betreffen zwar den Ehemann, der alleiniger Eigentümer des Hofes ist ), aufgrund ihrer Vorbildfunktion als Landesrätin färben sie aber unweigerlich auf dessen Ehefrau Deeg ab und sie muss sich den bissigen Vorwurf der „Papierbäuerin" gefallen lassen.
 
Und weiter:
 
„Die Ausdrucksweise der Artikel ist blumig („Papierbauer", Kühe nur „ausgeliehen"), die gewählte Sprache ist jedoch nicht beleidigend und überschreitet nicht die Grenze des Schicklichen (limite della continenza). Die Kritik beruht auch auf Fakten, die aufgrund der Ermittlungen nicht als unwahr bezeichnet werden können (limite della verità).“
 
Peter Michaeler weist damit den Widerspruch gegen die Archivierung des Strafantrages ab.
Und so geht auch der Versuch, - der zweithöchsten institutionellen Vertreterin des Landes - einen Journalisten mundtot zu machen ins Leere.
Politische Konsequenzen? Wird das Ganze in diesem Land natürlich keine haben.
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Werner Alessandri Mo., 31.05.2021 - 11:40

Richter Peter Michaeler:
"Politische Kritik kennzeichnet sich durch bissige Ausdrucksform aus und geht oft an die Grenzen des Zumutbaren, ist aber in einem Rechtsstaat als Kontrollinstrument lebensnotwendig und (wird) daher in der Rechtsprechung liberaler und großzügiger behandelt als nichtpolitische Kritik, vorausgesetzt, dass sie auf einem wahren Kern beruht."
Liebe Journalisten, das gilt wahrscheinlich nicht nur für Urlaub auf dem Bauernhof...

Mo., 31.05.2021 - 11:40 Permalink
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rotaderga Mo., 31.05.2021 - 15:05

Den Hof pachten, und dann Urlaub auf den Bauernhof anbieten. Sandkastenspiele für Erwachsene. Wo ein Wille da ein Weg. (Ironie aus)

Mo., 31.05.2021 - 15:05 Permalink
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Martin Sitzmann Mo., 31.05.2021 - 16:40

Ich gratuliere Herr Franceschini und ersuche darum, den Stall des Augias weiter fleißig auszumisten!
Übrigens, wie sieht es mit den Gerichts- und Anwaltsspesen in diesem Fall aus?
Auch andere Papierbauern wären zu entlarven... Wie schaut's eigentlich mittlerweile mit den Almhütten von Herrn LR Alfreider aus? Oder mit der Frage, welche Landwirtschaftspolitik Herr Dorfmann in Brüssel wirklich betreibt (jenseits der Hofberichterstattung im Kasblatt der Südtiroler).

Mo., 31.05.2021 - 16:40 Permalink
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Florian Hinteregger Mo., 31.05.2021 - 17:48

Die Politik orientiert sich beim Verhalten bestenfalls am Gesetz. Moralische Ansprüche gibt es leider kaum mehr. Erfreulich dass der Richter zumindest bei der journalistischen Kritik am Politiker einen höheren Maßstab geltend macht und damit den Medien eine Kontrollfunktion ermöglicht.

Mo., 31.05.2021 - 17:48 Permalink
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Hartmuth Staffler Mo., 31.05.2021 - 22:07

Die Papierbäuerin hat sich also als Papiertiger erwiesen. Aber das wusste man ja eigentlich schon vorher, also nichts Neues. Sie wird bei der nächsten Wahl trotzdem noch mehr Stimmen erhalten. Wen interessieren schon Tatsachen.

Mo., 31.05.2021 - 22:07 Permalink