Umwelt | Welterschöpfungstag

Wie grün ist Südtirol?

Am Montag war Welterschöpfungstag. Die Dringlichkeit von Umweltschutz ist den Südtirolern bewusst. Warum fällt Nachhaltigkeit dennoch so schwer?
Umwelt
Foto: Pixabay

Und wieder rücken die Zeiger der Zeit, die uns bleibt, um eine weltweite Umweltkatastrophe zu vermeiden, nach hinten. Am 29. Juli war Welterschöpfungstag, der Tag, an dem alle für das Jahr zur Verfügung stehende natürlichen Ressourcen aufgebraucht sind. 2018 war er noch zwei Tage später, in den 80er Jahren lag er sogar erst im Dezember. Übersetzt heißt das: Seit Montag hat die Menschheit Wasser, saubere Luft, Holz und Boden bis an ihre Grenzen verbraucht, da sich diese Ressourcen bis zum Ende des Jahres nicht mehr regenerieren können. Und der Durst nach diesen Ressourcen wird von Jahr zu Jahr größer, die Menge aber bleibt dieselbe. Theoretisch bräuchten wir also ab heute einen zweiten Planeten. Wobei „wir“ sich vor allem auf die reichen Industriestaaten bezieht, erklärt Sonja Abrate vom Südtiroler Ökoinstitut: „Das Datum misst den weltweiten Ressourcenverbrauch, und wird daher von den ärmeren Ländern, die viel weniger verbrauchen, nach hinten verschoben. Aus diesem Grund ist auch die soziale Komponente eine, die wir beim Thema Umwelt berücksichtigen müssen und die Frage, wie wir Länder im globalen Süden dabei helfen können, nicht dieselben Fehler zu machen wie wir.“ 

Das Global Footprint Network, von dem die Berechnungen des Welterschöpfungstages stammen, berechnet auch den Zeitpunkt des Ressourcenaufbrauchs der einzelnen Länder. Italien hat in diesem Jahr seine Ressourcen bereits am 15. Mai erschöpft und bedient sich theoretisch seit fast drei Monaten eines imaginären zweiten Planeten. Den gibt es allerdings nicht.

 

 

Warum ist "grün" so "schwer"?

 

Trotz dieser Weckrufe, wie dem globalen Weltschöpfungstag, fällt es vielen Menschen immer noch schwer, nachhaltiger zu leben. Das liege besonders am Level an Wohlstand, an den wir uns gewohnt haben, erklärt die Expertin für nachhaltige Lebensstile Abrate. Wohlstand werde häufig mit der Anzahl an materiellen Gütern verbunden, weshalb die meisten Menschen den Gedanken, etwas für die Umwelt zu tun, mit Verzicht assoziierten: „Wir möchten den Menschen aber vermitteln, dass es nicht unbedingt Verzicht heißt, wenn man weniger Ressourcen nutzt, sondern nur eine andere Art der Lebensqualität. Also mehr Qualität statt Quantität.“

„Wir möchten den Menschen aber vermitteln, dass es nicht unbedingt Verzicht heißt, wenn man weniger Ressourcen nutzt, sondern nur eine andere Art der Lebensqualität. Also mehr Qualität statt Quantität.“

Untergangsstimmung und Ende-der-Welt-Dystopien helfen also nicht weiter. Positive Konditionierung ist gefragt. Auch Emilio Vettori, Klimaexperte am Ökoinstitut, findet, es sei ein guter Weg, Klimaschutz als Herzensangelegenheit, statt als Pflicht zu betrachten. „Das ist wie in einer Beziehung. Wenn du jemanden magst, bringst du gerne Opfer für ihn. Betrachten wir also unseren Planeten als die Welt, in der wir leben, und die wir deshalb gerne haben. Da wiegt eine Umstellung des Lebensstils viel weniger schwer.“

Diese psychologischen Mechanismen erklären auch, warum die Umstellung von Plastik auf nachhaltigere Materialien sich größerer Beliebtheit erfreut und viel aktiver umgesetzt wird, als die Reduzierung von Treibhausgasen. „Die Leute verzichten gerne auf Plastik, weil man hier sofort ein Erfolgserlebnis sehen kann. Wenn weniger Müll auf den Straßen liegt, merken die Menschen, dass sie etwas bewirken können. CO2 hingegen sieht man nicht, man merkt seine Reduktion nicht umgehend.“

Dem Argument, der einzelne Verbraucher könne sowieso nichts verändern, stellt Abrate die Wechselwirkung von Wähler und Gewählten entgegen: „Natürlich muss die Politik was tun. Aber wenn Politiker merken, dass die Bürger bereit sind, zum Teil auch unangenehme Regeln der Umwelt zuliebe zu akzeptieren, dann erleichtert man es der Politik, solche Maßnahmen umzusetzen. Wenn hingegen bei einem Gesetz ein Aufschrei kommt, fürchten Politiker, nicht mehr gewählt zu werden, und rücken davon ab.“ 

„Wenn du jemanden magst, bringst du gerne Opfer für ihn. Betrachten wir also unseren Planeten als die Welt, in der wir leben, und die wir gerne haben. Da wiegt eine Umstellung des Lebensstils viel weniger schwer.“

Es sei also wichtig, dass er Einzelne etwas tue, denn die Masse könne viel bewegen. Das zeigte zum Beispiel die Fridays for Future-Bewegung, die klein anfing, sich dann aber zum Massenphänomen entwickelte. Seitdem sind Themen wie Klima und Umwelt in der Gesellschaft viel präsenter, wie Statistiken auch belegen. Kürzlich veröffentlichte das Astat ihre Umfrageergebnisse zum Umweltbewusstsein der Südtiroler, das im letzten Jahr gestiegen ist: Mehr als die Hälfte der Südtiroler Bevölkerung macht sich Sorgen wegen der Klimaveränderung. Auch beim Verbrauch achten fast 80 Prozent darauf, einheimische Produkte zu kaufen, fast 90 Prozent, keinen Strom zu verschwenden und genauso viele darauf, Wasser zu sparen.  

 

 

Auf der grünen Welle reiten

 

Aus diesem Grund sei jetzt der ideale Zeitpunkt, um zu handeln, betont Abrate: „Es ist wichtig, die Politik und die Bürger jetzt abzuholen in ihrer Bereitschaft, etwas für das Klima zu tun, und es in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Ansonsten verlieren wir den Schwung. Wenn man nicht bald Ergebnisse sieht, verläuft sich das vielleicht wieder.“

Besonders in der jüngeren Generation müsse man anknüpfen, denn die Jugend von heute wachse mit einem ganz anderen Umweltbewusstsein auf, wie die Generationen vor ihr. Das merkt das Team vom Ökoinstitut besonders bei seiner Jugendarbeit an Schulen, erzählt Abrate: „Die Kinder reagieren sehr positiv und gefühlsmäßig. Die Ergebnisse unserer Umweltbildung zeigen sich jetzt auch langsam in der Fridays for Future- Bewegung. Die Jugend hat Klimaschutz internalisiert, ohne bewusst zu denken ‚jetzt müssen wir was tun‘. Somit setzen sie sich für Umweltschutz aus einem natürlichen Bedürfnis heraus ein.“

 Die Ergebnisse unserer Umweltbildung zeigen sich jetzt auch langsam in der Fridays for Future- Bewegung. Die Jugend hat Klimaschutz internalisiert, ohne bewusst zu denken ‚jetzt müssen wir was tun‘. Somit setzen sie sich für Umweltschutz aus einem natürlichen Bedürfnis heraus ein.“

Auch Vettori kennt diese generationellen Unterschiede aus seinem eigenen Leben: „Wenn ich mit meinem Vater spreche, sage ich ihm: ‚Wir brauchen mehr öffentliche Verkehrsmittel‘. Er hingegen, mit 70 Jahren, beklagt sich darüber, dass es zu wenige Parkplätze für Autos gibt.“ Laut seiner Theorie liege das an den Umständen, mit denen die Nachkriegsgeneration aufwuchs: Armut, wenige Ressourcen, dann plötzlich Wirtschaftsaufschwung. Menschen wie seinem Vater fiele es deshalb schwer, nicht nach dem Prinzip des Wachstums, sondern der Nachhaltigkeit zu denken. Die Generation Y hingegen, heute zwischen 20 und 30, sowie die Nachfolgegeneration, die früh eine Wirtschaftskrise miterlebten und sie weiterhin spüren, wollten unser Entwicklungsmodell aufwerten. Dabei sei die Klimakrise ein wichtiger Faktor, der die neuen Generationen zu einer nachhaltigeren Entwicklung antreibe. 

 

 

Und was macht die Politik?

 

Der Politik hingegen falle es manchmal noch schwer, konkrete Maßnahmen umzusetzen und eine Lösung für das Spannungsfeld mit der Wirtschaft zu finden. Der Wille auf lokaler Ebene sei aber gegeben, erklären die Mitarbeiter vom Ökoinstitut, das hauptsächlich mit Gemeinden zusammenarbeitet. „Wir bekommen mehr Anfragen von Gemeinden, sie dabei zu unterstützen, Projekte oder Maßnahmen umzusetzen. Auch wenden sich immer häufiger Betriebe an uns, die ihre Plastikverpackungen auf ökologische Alternativen umstellen wollen.“ 

„Wir können nicht vom ‚Klimaland Südtirol‘ sprechen, und gleichzeitig an einem so hohen Verbrauch an Pestiziden festhalten.“

Im Vergleich zum restlichen Italien weise Südtirol eine bessere Bilanz auf, erklärt Vettori: „Der Mobilitätssektor ist etwa einer der nachhaltigsten in Südtirol. In Bozen nutzen ca. 60 bis 65 Prozent der Bevölkerung entweder ein Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel zur Fortbewegung. In anderen italienischen Städten sind die Zahlen sehr viel niedriger.“ Andererseits gäbe es Länder wie Deutschland und Österreich, von denen wir noch viel lernen könnten. In der Landwirtschaft müsse zum Beispiel noch viel getan werden, mahnt Vettori: „Wir können nicht vom ‚Klimaland Südtirol‘ sprechen, und gleichzeitig an einem so hohen Verbrauch an Pestiziden festhalten.“ Ein weiterer Bereich sei auch der Massentourismus, fügt Abrate hinzu. Wichtig sei es, die Politik davon zu überzeugen, dass es wichtig ist, den Menschen in die Lage zu versetzen, nachhaltig zu leben. „Man kann nicht von allen verlangen, ein Elektroauto zu fahren, wenn es nicht genug Aufladestationen gibt“, mahnt Vettori. 

Das versucht auch die Kampagne vom Global Footprint Network #MoveTheDate. Darin stellt die Organisation Wege vor, wie der einzelne Verbraucher dazu beitragen kann, den globalen Welterschöpfungstag wieder gegen Ende des Jahres hin zu verschieben. Und es gibt Grund zur Hoffnung, denn wenn wir jedes Jahr dieses Datum um nur fünf Tage verschieben würden, käme die Menschheit im Jahr 2050 wieder mit den Ressourcen eines Planeten zurecht. Nämlich dem einzigen, den sie (bisher) hat.