Kultur | Canova

Annäherungen

200 Jahre nach seinem Tod versucht man im TreviLab die Distanz zu Canovas bekanntester Gruppe zu verringern. Neue Zugänge zu Amor und Psyche und überraschende Nähe.
Bozen trift auf Canova: Simplicissima Psyche
Foto: Privat
Im Namen „Bozen trifft auf Canova: Die Rückkehr von Amor und Psyche“ wird das Bemerkenswerteste der Ausstellung vorweggenommen: Die jungen, mehr als 200 Jahre alten Liebenden haben einiges an Zeit in Bozen verbracht, ein halbes Jahrhundert, in etwa. Aber der Reihe nach. Wie nähert man sich dem Werk am besten?
 

Aus der Distanz

 
Für die Skeptiker hat man als „Radio TreviLab“ eine Podcast-Reihe online gestellt (Spotify, Amazon Music, Castbox und Google Podcast). Es handelt sich nicht um Folgen, die einen für eine Stunde in Beschlag nehmen, sondern um Häppchen von drei, vier Minuten die auch als Auffrischung gut tun. Für den etwa, der nicht mehr weiß in welchem mythologischen Kontext die Kopie eines Schülers von Antonio Canova den Liebesgott und die von ihm geliebte Psyche zeigt, gibt es eine Zusammenfassung der Fabel von Apuleius, der wichtigsten Version des auf die griechische Antike zurückgehenden Stoffs. Wer nicht bis zu seinem Ausstellungsbesuch warten möchte kann sich einen Überblick verschaffen, was das Paar von 1816 bis 1867 nach Bozen verschlagen hat. Bei beiden Punkten und weiteren bleibt man an der Oberfläche, man weckt das in Psyche so übermächtige: Die Neugier. Einen Ausstellungsbesuch ersetzt der Podcast nicht und will er auch nicht, eine neue Folge erscheint immer Freitags.
 
 

Aus der Geschichte heraus

 
Für den Historiker und Kurator der Ausstellung, Roberto Pancheri war es nicht genug einen Anlass zu finden „Amor und Psyche, liegend“ nach Bozen zu holen, er rollt den Historienkrimi, der ihn vor zwanzig Jahren schon beschäftigte als solchen aus: Ein anonymer Zeitungsartikel der noch von einem reichen Bozner Kaufmann M. sprach, der die Skulptur gekauft hatte, war lange Zeit fast alles, was vom Weg der Skulpturengruppe bekannt war, welcher sie schließlich in die Villa Margone in Ravina bei Trient führte, wohin sie Ende November zurückkehren wird.
 
 
Die Provenienz, welche Pancheri anhand eines im letzten Jahr in Prato gefundenen Tagebuch eines Abtes rekonstruieren konnte, zeigt einen schlüssigen Weg von Mailand in die Region. In Auftrag gegeben und auch in seiner Regierungs-Villa in Mailand entgegengenommen wurde das Paar, eine von acht bekannten Kopien der Schüler Canovas, von Eugène de Beauharnais, dem Stiefsohn Napoleons und von 1805 bis 1814 Vizekönig Italiens. Nachdem sich 1814 das Kriegsgeschick wandte, floh er auch angesichts wachsender antifranzösischer Tendenzen inkognito zu seinem Schwiegervater Maximilian I. Joseph an den bayrischen Königshof. Den Hofrat, mit seiner großen Kunstsammlung konnte er, aufgrund diplomatischer Bemühung rund zwei Jahre später nachholen lassen.
In der letzten Stadt vor der Grenze dann die Laune der Geschichte: Amor und Psyche fielen in Bozen vom Wagen, die Gruppe ging zu Bruch. Karl Sigmund Moser, ein reicher Bozner Gerber kaufte die Fragmente für wenig Geld, ließ sie zusammenfügen und baute um die Gruppe in seinem Lustgarten einen neoklassizistischen Schrein, in welchem sie ein halbes Jahrhundert zubrachte. Sie wurde schließlich von der Trienter Adelsfamilie Salvadori gekauft und 1868 vom Restaurator Andrea Malfatti in ihren heutigen Zustand versetzt, samt neuer Flügel aus Gips für den Gott der Liebe; Sein altes Paar war beim Sturz in Bozen irreparabel zerstört worden. So nahm die Gruppe auf ihrem ebenfalls in Bozen zu sehenden Sockel in der Villa Margone Platz, wo ihnen mehr Ruhe beschieden war als auf dem Weg nach Bayern.
Obwohl Pancheris Rekonstruktion der Fakten fast alle offenen Fragen klärt, einem bestimmten Schüler lässt sich diese Version von Amor und Psyche nicht zuweisen. Aber spielt das eine Rolle?
 
 

Aus nächster Nähe

 
Wie es oft auch bei Menschen der Fall ist, verlieben wir uns nicht in das, was vor uns steht, sondern in eine Idee davon: So erging es Gustave Flaubert dessen Schilderung seiner Begegnung mit einer Kopie des Werke (Villa Carlotta am Comer See, eine Arbeit von Tadolini), die er für ein Original hielt, oder halten wollte, in der Ausstellung Platz findet: „Ich bin mehrmals zurückgekehrt. Am Ende habe ich die Achsel der niedergesunkenen Frau geküsst, die ihre Arme nach Amor ausstreckt; und ihre langen Marmorarme; und den Fuß; und den Kopf; das Profil. Verzeiht mir, es war seit langem mein einziger sinnlicher Kuss.“ Nun ist „Amor und Psyche, liegend“ in Bozen nicht alarmgesichert, als Aufforderung soll man das Zeugnis nicht verstehen. Vielmehr darf man es als Zeugnis dafür sehen, wie tief Kunst uns berühren kann.
 
 
Wer mittlerweile seinen Weg ins TreviLab gefunden hat, dem begegnet zuvor eine andere Variante des Werks, ausgeführt nicht von einem Schüler Canovas und auch nicht von einem Menschen. 2019 wurde für das Projekt Magister Art aus Carrara Marmor die Gruppe nahe dem Eingang mithilfe von 3D Scans des ersten Originals im Louvre maßstabsgetreu von einer Maschine ausgeführt. Geht es dem Betrachter so wie mir, so lässt sie ihn kalt: Auch das ist spannend. Es finden sich in den erhaltenen Originalen kleine und größere Abwandlungen, von durch ein Tuch bedeckten Beinen für den russischen Prinzen Jussupow (heute in der Hermitage in Sankt Petersburg), bis zu Schmetterlingsflügeln am Rücken der Psyche im Gipsmodel (heute im Metropolitan in New York) und auch die Schüler Canovas beschränkten sich nicht auf bloße Imitation. Die Maschine fertigte hingegen eine Kopie an, nicht im kunsthistorischen, sondern im alltagssprachlichen Sinn des Worts. Da ist keine neue Idee.
Wer diese sucht, der wird sehen, dass man die kalte Marmorumarmung von Psyche und Armor mit anderen Mitteln besser aufbrechen konnte: “Simplicissima Psyche!” Ist mindestens so sehr eine Interpretation des 21. Jahrhunderts, wie das Werk eines Roboters. Ist es dort das Fehlen von Persönlichkeit, das kurz oder lang fasziniert, sind es hier die Vielzahl an Personen, die zu einem in Kontakt treten. Das Teatro Stabile hat mit Interviewaufnahmen und einem Erzähler etwas geschafft, was wohl seit Flauberts Avancen nur wenigen mit dem Liebespaar gelungen ist: Intimität zu erzeugen. In einer Gruppe von rund 30 Besuchern mit Funkkopfhörern und Taschenlampen wird der Ausstellungsraum mit variabler Beleuchtung und einer assoziativ zusammengestellten Collage aus Statements, Erzählungen, Musik und Fragestellungen aufgebrochen.
 
 
Teilweise driftet das etwas ins Territorium von Traumreisen ab, kehrt aber immer wieder zurück und holt dabei - metaphorisch gesprochen - die Figur von ihrem Sockel, ins Hier und Jetzt, setzt sie einer Spannung aus, die ihr gut tut. Dabei entsteht, wie gesagt, ein intimes Gefühl, auch durch den Kunstgriff, den Erzähler im selben Raum zu haben (ein leichter Hall markiert dies), somit Störfaktoren auszublenden und doch ein gemeinschaftliches Erlebnis zu haben.
In Bozen sind Amor und Psyche nahbar, wie nie zuvor. Sicher, man sieht die Sprünge im Marmor, den nicht rückstandslos restaurierten Fuß des Mädchens und die sichtbar fremden Flügel des Liebesgottes, aber das macht angesichts der Geschichte, die sie einem erzählen, nichts aus.  Wie nähert man sich also am besten? Wie auch in Liebesfragen gilt, am besten, man versucht es einfach. Fern zu bleiben bereut man am Ende nur noch mehr.