Umwelt | Artenvielfalt

"Die Quadratur des Kreises"

Südtirol ist dazu verpflichtet, den Schutz von Flora und Fauna zu gewährleisten. Gleichzeitig hält die Landwirtschaft am Status Quo fest. Geht das?
Armentarawiesen
Foto: Grüne/ Verdi / Verc

Im Herbst wandte sich der Grüne Landtagsabgeordnete Hanspeter Staffler in einer empörten Anfrage an Öffentlichkeit und Landesregierung: Auf den Armentarawiesen - ein im Gadertal gelegenes Naturschutzgebiet, das zu weiten Teilen als Natura-2000-Gebiet ausgewiesen ist - wurden großflächige Gülleausschüttungen beobachtet. Eine Handhabung, die - laut Staffler - nicht nur die artenreiche Flora der Armentarawiesen zerstört, sondern den geltenden Naturschutzbestimmungen widerspricht und somit sanktioniert werden muss.

 

Wenn Staffler danach fragt, was die Landesregierung unternehmen will, um diese Art an Naturzerstörung auf den per Gesetz geschützten artenreichen Bergwiesen zu unterbinden, kommt die momentane Sachlage klar zum Vorschein: Artenreiche Bergwiesen sind zwar über die gesetzlich geltenden EU-Richtlinien (Natura 2000) geschützt, die fehlende Umsetzbarkeit der geltenden Gesetze lässt eine Zerstörung derselben jedoch weiterhin zu. Eine komplexe Sachlage, deren Lösung Jahr für Jahr hinausgezögert wird.

 

Natura 2000: Verschlechterungsverbot für Lebensräume

 

Laut dem geltenden EU-Recht (Natura 2000) müssen besonders schützenswerte Lebensräume - wie beispielsweise die artenreichen Armentarawiesen es sind - auf lokaler Ebene ausgewiesen und entsprechend geschützt werden. Konkret heißt das, dass in allen als “Natura 2000” ausgewiesenen Gebieten ein Verschlechterungsverbot gilt: der Lebensraum muss erhalten und der Fortbestand aller darin vorkommenden Arten gesichert werden.

Das Verschlechterungsverbot gilt aber nicht nur innerhalb der ausgewiesenen Zonen; kommen besonders schützenswerte Tier- oder Pflanzenarten außerhalb der ausgewiesenen Zonen vor, so sind im Fall eines entsprechenden Hinweises auch diese Lebensräume per Gesetz geschützt. Um dies zu gewährleisten, müssen potenziell schädliche Eingriffe in die Natur, wie Gülleausschüttungen es sind, genau geregelt werden. Wie diese geregelt werden, bleibt den lokalen politischen Entscheidungsträgern überlassen.

 

Mangelhafter Wiesenschutz in Südtirol 

 

In Südtirol wurden zwischen 2003 und 2008 insgesamt 40 Natura-2000-Gebiete ausgewiesen und unter Schutz gestellt. Mit der Erlassung des Naturschutzgesetzes traten 2010 konkrete Maßnahmen in Kraft, die umwelttechnische Eingriffe innerhalb und außerhalb dieser Gebiete genau regeln.

 

Wie ein Mitarbeiter der Landesabteilung für Natur und Umwelt betont, biete das Südtiroler Naturschutzgesetz prinzipiell eine sehr starke Grundlage, um den Naturschutz in Südtirol zu gewährleisten.

Der Wiesenschutz - unter den auch der Schutz der Armentarawiesen fällt - ist dabei jedoch nur ungenügend geregelt: Einerseits gibt es außerhalb von Natura-2000-Gebieten keinen speziellen Wiesenschutz, der artenreiche Flächen schützt. Andererseits bleibt das Schicksal artenreicher Wiesen auch innerhalb dieser Gebiete ungewiss. Grund dafür ist ein Beschluss aus dem Jahr 2016, der das geltende Verbot, Gülle die nicht in Natura-2000-Gebieten produziert wurde, dort auszuschütten, auszuhebeln sucht.

 

Der Beschluss und seine Folgen

 

Der auf Druck einiger Bauern ausgearbeitete Beschluss widerruft das allgemeine Verbot, in Natura-2000-Gebieten Gülle auszuschütten. Stattdessen sind Bauern, die Besitz in solchen Gebieten haben, dazu verpflichtet, einen Gülleplan auszuarbeiten, in dem anhand genauer Kriterien ausgearbeitet wird, wo wann wie viel Gülle angebracht werden darf, um die Artenvielfalt nicht zu verletzen.

Das Problem dabei: Die Ausarbeitung der Kriterien - das heißt, die Ausarbeitung der Maximalmengen an Gülle, die einen Fortbestand der verschiedenen Wiesenarten gewähren können - steht seit 2016 aus. Somit bleibt der Schutz dieser Gebiete sowie die diesbezügliche Gesetzeslage seit nunmehr sechs Jahren ungewiss; Zeit genug, um die Artenvielfalt der Südtiroler Bergwiesen zu zerstören.

 

Die Schuld für diesen Beschluss ist laut dem Amtsdirektor der Landesabteilung für Natur und Umwelt, Leo Hilpold, jedoch nicht nur bei den Bauern zu suchen: “Die Natura-2000-Gebiete wurden unter der Regierung Durnwalder im Schnellverfahren ausgewiesen. Dabei wurde versäumt, die lokalen Gegebenheiten genau zu analysieren und darauf aufbauend unter Schutz zu stellen." So seien teilweise auch intensiver bewirtschaftete Flächen in Hofnähe als Natura-2000-Gebiete ausgewiesen worden ohne die Konsequenzen einer solchen Ausweisung zu beachten, nämlich: dass einigen Bauern, die ihre Höfe intensiv bewirtschaften, plötzlich Abnahmemöglichkeiten für ihre Gülle fehlen. "Darauf aufbauend wurde 2016 die Reißleine gezogen", so Hilpold.

Entgegen der weitverbreiteten Annahme, dass eine Vielzahl von Bauern von diesem Problem betroffen seien, handle es sich jedoch um "eine Handvoll Bauern auf einer Fläche von insgesamt 90 Hektar, die aufgrund des Gülleverbots tatsächlich vor einem Problem stehen", so Hilpold, der sich auf eine Studie beruft, in der all jene landwirtschaftlichen Betriebe analysiert wurden, die zu mindestens 10% in einem Natura-2000-Gebiet liegen.

 

Die Quadratur des Kreises

 

Für Hilpold ist die Lage klar: Auch wenn für die einzelnen betroffenen Betriebe individuelle Möglichkeiten gefunden werden könnten, um die Gülle loszuwerden - der Bau von Separatoren oder Biogasanlagen zum Beispiel - kann die “Quadratur des Kreises", das heißt der effektive Schutz artenreicher Lebensräume gepaart mit der Weiterführung intensiver Güllebetriebe wie bisher nicht gelingen: "Nach sechs Jahren wäre es an der Zeit, sich diese Tatsache einzugestehen und neue Wege zu suchen, um den Schutz von Natur und Artenvielfalt zu gewährleisten", so Hilpold.

Bis dahin hängt der Schutz der Armentarawiesen nicht nur davon ab, ob das zu schützende Gebiet innerhalb oder außerhalb der Natura-2000-Grenzen liegt, sondern von der Frage, ob die Gesetzeslage auf der Grundlage eines nicht umsetzbaren Beschlusses über Jahre hinweg ausgehebelt werden kann.