Gesellschaft | 50 Jahre Autonomie

Werden wir morgen dieselben sein?

Das Matinee der EURAC zum 50. Geburtstag der Südtiroler Autonomie macht deutlich, wie schwer Offenheit und Wandel sind, wenn man Identität in Sicherheitsschlösser gießt.
50 Jahre Autonomie
Foto: eurac

Die Südtiroler Autonomie bleibt auch an ihrem 50. Geburtstag noch immer Männersache. Männersache, weil sich zwischen den fünf geladenen Gästen, dem Rektor und dem Moderator beim Matinee des Forschungszentrums EURAC mit Elisabeth Alber nur eine einzige Frau befindet. Männersache auch deshalb, weil es vor allem um Sicherheit, Schutz und Verteidigung geht, die ihrerseits zwar die erzwungene Assimilation der drei Sprachgruppen im Land verhindert haben, gleichzeitig aber auch heute noch gefestigte Identitätsstrukturen voraussetzen. Der Platz für kulturellen Wandel beschränkt sich auf Begegnung, die zwar Toleranz und Austausch, nicht aber ein Hinterfragen der eigenen Identität bedingen.

 

Gestern: Gelungener Minderheitenschutz

 

Landeshauptmann Arno Kompatscher ergreift als erster das Wort. Er blickt zurück auf 50 Jahre Autonomie: “ein Erfolgsmodell”, wie Kompatscher erklärt. Die deutsche und italienische Minderheit konnten innerhalb des italienischen Staates erreicht werden, ohne deren Assimilation zu erzwingen. Eine Tatsache, die vor allem den aus Kärnten stammenden EURAC-Forscher Günther Rautz beeindruckt: Rautz vergleicht Südtirols Geschichte mit jener in Kärnten, wo der slowenischen Minderheit mit Assimilation begegnet wurde. Ein Prozess der deren Sprache und Kultur verdrängte und dessen Spuren noch heute nachgezogen werden.

 

Heute: Erfolgsmodell zur Sicherung der Autonomie

 

Wie Kompatscher erklärt, entpuppte sich die Südtiroler Autonomie dank eines gut funktionierenden Regelwerks, das das Zusammenleben der autochthonen Sprachgruppen ermöglicht, auch als soziales und wirtschaftliches Erfolgskonzept. Ein Erfolgskonzept, das - so der Vorsitzende des Zentrums für Autonomy Experience, Marc Röggla - unter anderem dazu führt, dass Südtirol eine wichtige Rolle im internationalen Kontext spielen, neue Netzwerke bilden und dank internationaler Beachtung die eigene Autonomie zusätzlich absichern kann: Die Südtiroler Autonomie sei eine der erfolgreichsten Autonomieregelungen in Europa, so Röggla.

Angesichts der Vergangenheit Südtirols und der Erfahrungen aus erster Hand in den Bereichen Konfliktregulierung, Konkordanzdemokratie, Zusammenleben und grenzüberschreitender Zusammenarbeit sei Südtirol zu einem der herausragendsten Studienfälle in diesen Bereichen geworden und konnte so seine eigene Position stärken.

 

Und morgen?

 

Das gelebte Autonomie nicht nur Sicherheit, sondern auch Wandel bedeutet, betonen Francesco Palermo und Elisabeth Alber in ihren jeweiligen Ansprachen. Während Palermo die Funktion der Durchführungsbestimmungen als Motor des gesetzlichen Wandels in Südtirol hervorhebt, geht Elisabeth Alber auf den gesellschaftlichen Wandel ein, der sich in Südtirol vollzieht. Sie beschreibt, wie sich die ethnischen Trennungen in Südtirol immer weiter auflösen und aus dem dissoziativen Konfliktlösungsmodell ein assoziatives wird. “Eine Eigenheit, die außerhalb von Südtirol auf Bewunderung stößt”, so Alber.

Auch Kompatscher scheint sich eines gesellschaftlichen Wandels bewusst zu sein, wenn er dafür plädiert, anderen mit Offenheit entgegenzutreten. Dabei geht es nicht nur um Offenheit gegenüber den jeweils anderen Sprachgruppen im Land, sondern vor allem auch um Offenheit gegenüber neuen Mitbürgerinnen, die eine eigene Kultur und Sprache mit sich bringen. Die bedeute auch, so Kompatscher, dass die Sprachgruppenzugehörigkeit nicht mehr eine Identität, ein "ich bin" voraussetzen kann, sondern zu einem "Sich Anschließen" an eine der drei Gruppen wird.

Wie schwer sich diese Position mit der Parteilinie der SVP in Einklang bringen lässt, wird deutlich, wenn Kompatscher die Autonomie als Voraussetzung und Garant porträtiert, um anderen mit Offenheit entgegentreten zu können. Ganz so, als gelte es auch heute die eigene Identität vor äußeren Einflüssen zu schützen und als wäre ein Sich-selbst-infrage-Stellen von vornherein ausgeschlossen.