Transatlantico
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Politik | Präsidentenwahl

Die Präsidentenkür

Die Wahl des Staatspräsidenten ist ein anachronistisch anmutendes Ritual mit ungewissem Ausgang

Die alle sieben Jahre fällige Wahl eines neuen Staatspräsidenten in Italien ist ein von stündlichen Indiskretionen begleitetes Schauspiel auf halbem Weg zwischen der Kür des Papstes und einer Inszenierung von Shakespeare. Die Tragikomödie beginnt bereits mit der Entscheidung eines 85-jährigen, für eine siebenjährige Amtszeit zu kandieren. Alle Voraussetzungen für ein bühnenreifes Spektakel sind mit Silvio Berlusconi als Protagonisten also gegeben. Die fast täglich wechselnden Prognosen der Medien treffen selten zu und das Covid-Szenario sorgt für zusätzliche Spannung: wie etwa sollen Covid-positive Parlamentarier wählen ? Von zuhause, in eigenen Kabinen oder einem Covid-Hotel ? Die Lösung ist ein drive-in in Parlamentsnähe.

Dass Berlusconi ausgerechnet einen bizarren und mehrfach verurteilten Egomanen wie Vittorio Sgarbi damit beauftragt hat, seine Zustimmung unter den Parlamentariern zu sondieren, sorgt für Komödien-Stimmung, bei der Klarheit nicht zu den obersten Prinzipien gehört.  Dem 85-jährigen fehlen anscheinend mindestens 53 Stimmen. Die Zahl der Abwesenden - aus Gesundheits- oder anderen Gründen-  wird dagegen auf 94 geschätzt. Salvini sorgt für Ermutigung: "Il mio schieramento è compatto." Eine Behauptung, deren Wahrheitsgehalt unkontrollierbar bleibt.

 

Wenige Tage vor Beginn der Wahl ortet der Corriere "mille congetture ." Auch die Schlagzeile der Tageszeitung La stampa schafft kaum Klarheit:" Coalizioni in frantumi all´ombra del Quirinale". Das römische Tagblatt Il Messaggero wiederum bemängelt fehlenden Durchblick : "La confusa corsa al Quirinale."  Gerüchte, wonach Premier Mario Draghi nun doch für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren könnte, machen die Runde. Sie gelten als eher haltlos.  Denn seine Regierung ist hauptsächlich im Amt, um die 200 Milliarden Euro an Investitionen aus dem Corona-Wiederaufbau-Fonds sinnvoll zu verteilen. Als Regierungschef  könnte er nur bis zu den Neuwahlen im Frühjahr kommenden Jahres im Amt bleiben.

Die Präsidentenkür könnte auch eine Woche dauern.

Prognosen sind problematisch. Es gibt in Kammer und Senat rund 100 Parlamentarier, die sich keinem politischen Lager zuordnen lassen. 168 haben in der laufenden Legislaturperiode Partei gewechselt -einige davon - wie der sardische Senator Giovani Marilotti - bis zu fünf Mal. Ausserdem gibt es im Parlament neue Parteien wie Italia Viva oder Coraggio Italia, die bei der letzten Wahl gar nicht angetreten sind. Die Präsidentenkür könnte auch eine Woche dauern. Wie gut, dass es da den transatlantico gibt, jenen glanzvollen Salon mit stets poliertem Marmorboden, auf dem der rote Teppich die Schritte dämpft und den die Süddeutsche Zeitung treffend als "Gang der Intrigen" bezeichnet. An seinen kleinen Tischen kann man Kaffe trinken und gIeichzeitig Intrigen spinnen. Und natürlich auch Wetten darüber abschliessen, wer aus dem bizarren und anachronistisch ablaufenden Rennen letztendlich als Sieger hervorgeht.

 

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Profil für Benutzer △rtim post
△rtim post Sa., 22.01.2022 - 11:48

Wie wenig das derzeitige politische Südtirol, aber auch einzelne Medien, das System in Rom verstehen, zeigt sich auch hier wieder im Vorfeld dieser Wahl.
Da stellt sich tatsächlich ein Berlusconi über Wochen und Wochen als einziger Kandidat hin, um ihn letztlich doch auflaufen zu lassen. Ein bekanntes sehr billiges politisches Manöver, reine Ablenkung.
Denn von den anderen Kandidaten hingegen im Dunkeln sieht/weiß die (Öffentlichkeit zumindest) selbst einige Tage vor der Wahl noch nichts.
Strategische unverständlich also, wieso es bereits jetzt notwendig war, dass gerade die SVP als einziges Mitglied der EVP, die ihren Sitz im EU-Parlament übrigens einzig und allein dem persönlichen Einsatz eines Berlusconis zu verdanken hat, sich bereits so dezidiert gegen ihn ausgesprochen hat. Und das völlig unnötigerweise.
Das Prozedere in Rom — das weiß man — hat nach wie vor ja sowieso eher was von einem absolutistischen Staate, wie im Vatikan, als von einer modernen, transparenten Demokratie. Da hat Mumelter völlig recht.
Auch im Umgang mit den Wahlberechtigten der Regionen tickt Rom anders. Wo gibt es so was sonst in westlichen demokratischen Ländern, dass Delegierte der Regionen bei dieser Wahlversammlung nur abgesondert und abseits auf den Zuschauertribünen verbannt ihre Stimme abgeben dürfen?
Völlig undenkbar wohl in meisten anderen Ländern.
Aber lassen wir uns mal „überraschen“, wen die 1009 Mitglieder der Wahlversammlung in der geheimen Wahl letztlich wählen.

Sa., 22.01.2022 - 11:48 Permalink