Politik | Strom autonom?

Eigener Strommarkt klimapolitisch irrig

Beim Klimaschutz ist die Zusammenarbeit auf EU- und staatlicher Ebene sowie zwischen den Regionen zielführender als Sonderwege mit pauschaler Strompreissenkung für alle.
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Foto: Greta Karlegger

Sehr kämpferisch treten Verbraucherschützer, Energieunternehmer (R. Rienzner) und Oppositionspolitiker für einen in Südtirol autonom geregelten Strommarkt ein. Der sollte es dem Land erlauben, sich aus dem gesamtstaatlichen Markt abzukoppeln und damit auch von der Regulierungsbehörde ARERA, zum Nutzen der Südtiroler Stromkundinnen. Diese blieben von der laufenden Strompreiserhöhung verschont, müssten gar nur jene famosen 21 Cent pro kWh zahlen, die im Bundesland Tirol verlangt werden. Mit mehr Autonomie bei der Elektroenergie könnte Südtirol seinen natürlichen Vorteil besser nutzen. Klingt verlockend, doch hinsichtlich Versorgungssicherheit, Energiesparen und Klimaschutz scheint eine solche Operation weit weniger sinnvoll.

Einmal aus einem technischen Grund: Südtirol exportiert zwar viel Strom in den wasserkraftintensiven Monaten. Aufgrund der jahreszeitlichen Schwankungen bei der Wasserkraft müssen wir im Herbst und Winter viel Strom aus Restitalien importieren, die zu fast 80% aus fossilen Brennstoffen erzeugt wird. Dafür kauft uns Norditalien den Strom in der „Hauptsaison“ der Wasserkraftleistung ab. Nun muss Italien bei den erneuerbaren Energien dringend aufholen und Milliarden in Windkraft und Photovoltaik pumpen, um die für 2030 angepeilte Quote von 72% Erneuerbare in der Stromerzeugung (vgl. den PNIEC) zu erreichen. Zudem unterstützt Rom mit hohem Aufwand die Umrüstung im Gebäudebereich (Superbonus), die Elektromobilität (Zuschüsse für E-PKW) und die Deckelung der Strompreise für Geringverdiener. Um das zu stemmen, braucht Rom Geld, doch wirksamer Klimaschutz ist in unser aller Interesse.

Ein zweiter wirtschaftlicher Grund: Ein allgemein für alle Verbraucher halbierter Strompreis in Südtirol macht weder klima- noch verteilungspolitisch Sinn. Der Gesamtenergieverbrauch und Stromverbrauch steigt in Südtirol immer noch. Billiger Strom, wie ihn R. Rienzner fordert, würde die Bemühungen fürs Energiesparen unterlaufen und ist klimapolitisch kontraproduktiv. Da hat LH Kompatscher ganz recht. Allerdings müssen die sozial schwächeren Haushalte, die am wenigsten zu den CO2-Emissionen beitragen, entlastet werden. Eine undifferenzierte Strompreissenkung für alle ist sozial nicht gerechtfertigt. Auch eine CO2-Steuer würde sich in Italien auf den Strompreis auswirken müssen, um Lenkungswirkung zu entfalten.

Klimapolitisch macht die Abkoppelung Südtirols vom nationalen Strommarkt auch keinen großen Sinn. Denn sowohl bei der Stromversorgung wie beim Gas bliebe das Land von außen abhängig. Es geht somit nicht darum, Strom-Selbstversorger-Inseln zu schaffen, die mit ihrem Stromüberschuss saisonal ein gutes Geschäft machen und intern die Strompreise halbieren, sondern für mehr erneuerbare Energie für alle und weniger CO2-Emissionen zusammenzuarbeiten. Derzeit wird ein engerer europäischer Stromverbund hergestellt. TERNA investiert am Brenner und am Reschen in die Hochspannungsverbindung mit Nordtirol. Dann kann während der Wasserkraftflaute sowohl Strom aus dem Norden als auch aus dem Süden aus künftig erneuerbaren Quellen bezogen werden.

Eine Abkoppelung mit marktgeregelten Strompreisen führte zu einer marktbestimmten Lösung. Doch kann die Energiewende nicht dem allein dem Markt überlassen werden. ALPERIA muss als öffentliches Unternehmen begriffen werden: “Die Gewinne der öffentlich getragenen Energiegesellschaft fließen zurück in die Kassen von Land und Gemeinden und dann über den Haushalt zurück an die Bürger”, erklärt auch Rienzner. Es macht einen Unterschied, ob nur private Energiegenossenschaften und Aktiengesellschaften das Sagen haben, oder kommunale und landeseigene Betriebe am Werk sind, die auch klima- und sozialpolitischen Vorgaben zu beachten haben.

Der Staat muss seine Abhängigkeit vom Gas rasch abbauen und massiv in die Erneuerbaren Energien und die entsprechenden Netze investieren. Auch die Regionen mit hohem Anteil an Erneuerbaren haben ein Interesse daran, dass Italien insgesamt die Energiewende gut bewältigt. Durch die Einspeisung ihres „grünen“ Stroms ins nationale Verbundsystem profitieren sie ohnehin, ohne selbst Extraprivilegien beim Strompreis beanspruchen zu müssen. Wenn die Wasserkraftunternehmen und andere Erzeuger ihre Extragewinne (windfall-profits) an den Staat zum Teil abgeben, hat das seinen guten Grund.

Wenn die Landesregierung auf die Auszahlung des im Statut vorgesehenen Strombonus verzichtet, ist das klimapolitisch legitim. Dieses Geld ist in der Effizienzsteigerung der Südtiroler Kraftwerke, in Investitionen in öffentliche PV-Anlagen und in die Netzinfrastruktur besser aufgehoben. Darüber hinaus wird das Land mehr Mittel für die Subventionierung der Umrüstung der Gebäudeheizung einsetzen müssen. Um dabei für Klimagerechtigkeit zu sorgen, können Geringverdiener in Südtirol durch einen jährlichen „Stromscheck“ (Vorbild Österreich) zusätzlich zum staatlichen Bonus entlastet werden.