Gesellschaft | Interview

Starthilfe für Menschen & Organisationen

Salto wird das Haus der Solidarität in Brixen ein Jahr lang begleiten. Zum Auftakt ein Gespräch mit Alexander Nitz und Maximilian Benedikter.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: (c) Jewgeni Roppel

Artikel von Jenny Cazzola

 

Guten Tag, Herr Nitz. Sie sind Gründungsmitglied und Teil der Hausleitung vom Haus der Solidarität „Luis Lintner“ in Brixen. Wollen Sie das Haus kurz vorstellen?

Alexander Nitz: Das Haus der Solidarität gibt es seit 20 Jahren. Es ist ein Ort für ökosoziale Organisationen und eine Wohngemeinschaft. Gegründet wurde es von einer Gruppe sozial engagierter Südtiroler und Südtirolerinnen mit der Absicht Menschen in schwierigen Lebenslagen unterzubringen, damals vor allem Menschen, die aus Südamerika stammten. Heute beherbergt das HdS 55 Gäste aus Südtirol und aller Welt und aus verschiedenen Bevölkerungsschichten. Menschen aller Religionen und jeden Alters. Einzelpersonen und Familien, auch 8 Kinder sind dabei. Menschen, die erst vor Kurzem migriert sind, aber auch Einheimische, die sich gerade in einer schwierigen Lebenssituation befinden, z.B., weil sie arbeits-, oder obdachlos sind. Die Haupttätigkeit unserer 5 Mitarbeitenden und 25 ehrenamtlich Helfenden ist deshalb die Sozialarbeit. Wir arbeiten unter dem Motto „Probieren, Bewegen, Begleiten“. Begleiten, das heißt für uns Menschen zu helfen, die sich gerade in einer schwierigen Lebenslage befinden. Sie dabei zu unterstützen, ihr Leben wieder zu stabilisieren. Bewegen heißt für uns vor allem zu sensibilisieren. Die Arbeits-, aber vor allem die Wohnungslosigkeit ist eines der größten Probleme in Südtirol. Doch viele Menschen wissen das gar nicht. Probieren heißt für uns Dinge auszuprobieren und neue Wege zu gehen. Aber auch zu scheitern, wenn mal etwas nicht klappt.

 

 

Herr Benedikter, was wollen Sie hinzufügen?

Maximilian Benedikter: Was ich hinzufügen kann, ist eine persönliche Note. Ich war schon vor der Gründung des HdS mit einer der Organisationen, die das Haus heute beherbergt, der OEW, in Kontakt. Damals war ich in Brasilien und habe einige Menschen kennengelernt, die das Haus gegründet und geprägt haben. Zum Beispiel Luis und Luzi Lintner. Luis habe ich aber leider nur flüchtig gekannt.

Wer war denn Luis Lintner, nach dem das Haus der Solidarität benannt ist?

Alexander Nitz: Luis Lintner war ein Missionar aus Aldein, der 20 Jahre lang in Brasilien gearbeitet hat. Zuerst 10 Jahre lang auf dem Land, dann 10 Jahre in einer Favela von Salvador de Bahia, der drittgrößten Stadt Brasiliens. Luis Lintner war aber kein gewöhnlicher Missionar, wie man sie sich normalerweise vorstellt. Er war keiner, der nur Brunnen gegraben und Häuser gebaut hat. Ihm war es wichtig, auch wirklich mit den Menschen zusammenzuleben, besonders mit den Armen. 2002, als wir gerade dabei waren das HdS zu gründen, wurde er unter bis heute nicht ganz geklärten Umständen erschossen.

Und Luzi Lintner?

Alexander Nitz: Luzi hieß zwar auch Lintner, war aber nicht mit Luis verwandt. Sie war Sozialarbeiterin in Bolivien, arbeitete dann für Caritas, Missio und OEW und ging im HdS ein und aus.

Heute hat das HdS aber nichts mehr mit Missionarsarbeit zu tun, oder?

Alexander Nitz: Das hängt davon ab, was man unter Missionsarbeit versteht: nicht im Sinne von „Glauben bringen“, sehr wohl aber im Sinne von „Menschen begleiten“. Uns ist es wichtig zu betonen, dass wir unabhängig sind. Sowohl von Religionen als auch von anderen Institutionen. Manchmal besuchen uns aber Missionare. Die sagen dann oft, dass wir die Ideale der Missionsarbeit immer noch leben, indem wir versuchen Starthilfe für Menschen und Organisationen zu leisten.

Das Haus der Solidarität gibt es mittlerweile schon sehr lange. Heuer steht sogar das 20-jährige Jubiläum an. In 20 Jahren hat sich bestimmt eine Menge getan. Was sind denn so Meilensteine Ihrer Tätigkeit? Und welche Herausforderungen gibt es immer noch?

Alexander Nitz: Nach der ersten Phase der Gründung, kam bald eine große Ernüchterung. Am Anfang war das HdS im ehemaligen Studentenheim der Comboni-Missionare untergebracht. Doch da mussten wir ausziehen, denn die Missionare wollten das Gebäude wieder selbst nutzen. Also brauchten wir eine neue Unterkunft. Doch die war nicht so einfach zu finden. Das war eine Phase großer Unsicherheit für uns. Denn auch die Öffentlichkeit und die Landesverwaltung hat sich gefragt, ob es das HdS überhaupt braucht. Schließlich haben wir drei Stockwerke im Jakob-Steiner-Haus in Milland bezogen. Doch den Umbau und die Finanzierung mussten wir zum Großteil selbst stemmen und das hat zu einer großen Überforderung im Team gesorgt. Ja, eine richtige Teamkrise. Diese haben wir aber überwunden, indem wir uns an unsere Werte erinnert haben. Mittlerweile hat sich alles beruhigt und wir sind in einer dritten Phase angekommen, einer Phase, in der es darum geht, neue Wege zu gehen.

Maximilian Benedikter: Ich persönlich denke, dass im Moment das Wohnen in Südtirol ein wichtiges Thema und eine große Herausforderung ist. Viele Menschen in Südtirol sind in einer prekären Wohnsituation oder auf der Suche nach einer Wohnung. Es gibt aber wenig leistbares Wohnen. Auch die Redaktion von Salto hat schon öfters über die unmenschlichen Lebensumstände der Obdachlosen in Bozen berichtet. Die Wohnungsnot ist aber schwierig zu vermitteln, viele Menschen bekommen davon gar nichts mit. Auch deshalb haben wir von Salto beschlossen mit dem HdS zusammenzuarbeiten. Wie das HdS, ist auch Demos 2.0, die Organisation, die Salto betreibt, eine Genossenschaft. Wir wissen, mit was für Schwierigkeiten innovative Projekte, wie das HdS oft verbunden sind. Deshalb haben wir als Verwaltungsrat diese Zusammenarbeit vorgeschlagen und mit der Redaktion und dem Backoffice besprochen. Alle Beteiligten haben sie gutgeheißen und wir hoffen, dass sie auch bei unseren Leserinnen und Lesern gut ankommen wird.

 

 

Corona hat uns alle vor neue Herausforderungen gestellt. Das war für das HdS bestimmt nicht anders, oder?

Alexander Nitz: Gerade am Anfang, im ersten Lockdown, haben viele unserer Gäste, die sich in prekären Arbeitsverhältnissen befanden, ihren Job verloren. Es ist leider oft so, dass gerade diese Menschen als erstes auf der Straße landen. Die Sorge im Haus war deshalb sehr groß. Später hat sich die Situation aber ins genaue Gegenteil verkehrt. Im Moment gibt es keine freie Hand im Haus, weil alle so beschäftigt sind. Das bringt aber ein ganz neues Problem mit sich: Viele unserer Gäste haben eine Arbeit, können aber trotzdem nicht ausziehen, weil sie keine andere Unterkunft finden. Und dadurch können wir auch keine neuen Menschen aufnehmen. Man kann es nicht oft genug sagen: Die Wohnungsnot ist im Moment riesig!

Wie sieht denn das Zusammenleben im HdS aus?

Alexander Nitz: Das Zusammenleben im HdS ist wie in einer großen Familie. Es gibt Gemeinschaftsbereiche, zum Beispiel wird oft zusammen gekocht. Jeder Gast hat aber auch Rückzugsmöglichkeiten. Denn wie in jeder Familie gibt es auch Konflikte. Dabei geht es aber nicht um Politik, also nicht Christen gegen Muslime oder Pakistaner gegen Inder, das ist kein Thema. Die Konflikte entstehen eher durch das zwischenmenschliche Zusammenleben. Wichtig sind für uns Begegnungen, denn durch sie entsteht ein Netzwerk, durch das wir Menschen helfen können. Deshalb freuen wir uns immer, wenn wir Veranstaltungen mit Externen machen können, wie zum Beispiel unsere interkulturellen Abendessen.

Was bedeutet für Sie Solidarität? Warum ist sie besonders in Zeiten wie diesen so wichtig?

Maximilian Benedikter: Meine persönliche Auffassung von Solidarität ist radikal und bedingungslos. Gerade im Zusammenhang mit Menschen, die erst seit Kurzem in Südtirol sind, ist oft von Rechten und Pflichten die Rede. Dabei werden die Pflichten oft viel zu sehr unterstrichen. Viele Menschen verstehen aber nicht, dass instabile Lebenssituationen es oft schwierig machen auf Hilfe mit der „richtigen“ Haltung oder gar Demut zu antworten und diese anzunehmen. Gerade hier braucht es radikale, bedingungslose Solidarität, denn sie macht viel möglich. Darin möchten wir das HdS unterstützen, weil es ein Vorbild ist. Diese Form der Solidarität ist manchmal anstrengend, man muss sich auch mal die Hände schmutzig machen, darf sich nicht zurückziehen. Gerade in der Pandemie haben viele Leute angefangen sich zurückzuziehen, sind weniger solidarisch geworden. Doch wenn man nicht solidarisch ist, droht man einsam zu werden. Das gilt insbesondere für ältere Menschen. Solidarität sollte deshalb auch intergenerational sein.

Alexander Nitz: Das hat Maximilian schön gesagt. Unsere Art der Solidarität fliegt uns aber manchmal auch um die Ohren. Wenn ein Gast z.B. das Haus unfreiwillig verlassen muss, hören wir oft „Was ist denn das für eine Solidarität?“. Wir bekommen auch oft zu hören, dass das Haus schwierige Leute und Probleme erst recht anzieht. Menschen haben Sorge, wenn Menschen z.B. aus anderen Ländern oder Menschen mit großen sozialen und gesundheitlichen Schwierigkeiten in ihre Nachbarschaft ziehen. Sie fühlen sich überfordert. Ich kann die Sorgen verstehen. Meistens zeigt sich aber dann, dass die Sorgen unberechtigt sind.

Das HdS ist ein europaweit einzigartiges Projekt mit Vorbildwirkung. Sie betonen aber auch, dass es „in vielen Orten ein HdS“ gibt oder geben sollte. Wie ist das zu verstehen?

Alexander Nitz: Wir sind eine kleine Organisation mit begrenzten Kapazitäten. Bei der Feier zur Eröffnung der neuen Unterbringung im Jakob-Steiner-Haus hat die damalige Landesrätin Martha Stocker gesagt, dass es in jedem Dorf und in jedem Bezirk ein HdS bräuchte. Wir haben diese Idee aufgegriffen und alle Gemeinden Südtirols angeschrieben. Wir selber wollen nicht wachsen, aber wir unterstützen gerne andere bei der Gründung und beim Aufbau eigener Projekte. Damals hat sich aber niemand gemeldet. Heute ist das ein bisschen anders. Man hört immer wieder Leute fragen, ob man nicht zum Beispiel in Meran ein HdS gründen könnte. Uns ist es aber auch wichtig zu betonen, dass das HdS nicht nur ein Ort ist, sondern an vielen Orten gelebt wird. Es gibt viele Beispiele für Solidarität in Südtirol. Wenn jemand z.B. einen afghanischen Flüchtling bei sich aufnimmt und ihn unterstützt, bis er seinen Universitätsabschluss macht, dann ist das Solidarität.

Salto.bz wird die Arbeit des HdS ein Jahr lang begleiten. Was erwarten Sie sich von der Zusammenarbeit? Was wollen Sie den Leserinnen und Lesern dadurch nahebringen?

Maximilian Benedikter: Wir von Salto wollen soziale Projekte, wie das HdS, unterstützen. Wir wollen die Menschen über seine Tätigkeiten informieren und sie sie hautnah erfahren lassen. Uns ist es wichtig, für bestimmte Themen und Situationen zu sensibilisieren und sie zu normalisieren. Wir wollen auch verschiedene Realitäten vernetzen und andere motivieren selber tätig zu werden. Vielleicht gründet dann in 20 Jahren wieder jemand ein HdS Es ist schön, dass das HdS mittlerweile so bekannt ist. Leider ist es aber auch nur sehr oberflächlich bekannt und für Viele ein Ort, an den man Probleme schieben kann, mit denen man sonst nicht weiß wie umgehen. Das ist aus deren Sicht natürlich praktisch. Vor allem, weil das HdS dafür kein Geld nimmt. Auch etwas, was in Südtirol fast einzigartig ist.

Alexander Nitz: Wir freuen uns, dass Salto uns für eine Zusammenarbeit ausgewählt hat. Wie Maximilian richtig gesagt hat, ist der Name „Haus der Solidarität“ bekannt, aber die Menschen haben oft wenig Verständnis für das, was wir eigentlich tun. Daher freuen wir uns über die Möglichkeit, diese Menschen aufzuklären und sie zu motivieren, sich vielleicht selbst für andere einzusetzen.

 

Lieber Alexander, lieber Maximilian, erst mal vielen Dank für Euer so wertvolles Engagement. Ich werde demnächst den Terlaner Bürgermeister zum Thema HdS ansprechen. Mal sehen...
Viel gute Zeit wünscht Euch
Karl Trojer, Terlan

Mi., 23.02.2022 - 09:43 Permalink