Politik | Überlegungen zur Autonomie

Autonomie - ein Scherbenhaufen

Nichts wurde in Italien gründlicher dezentralisiert als die Korruption. Die Skandale in den Regionen nehmen kein Ende, gegen 520 Abgeordnete laufen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren - ein beispielloser Sumpf.

Als die linke Regierung Amato 2001 mit knapper Mehrheit die Verfassung änderte und die Autonomie der Regionen einführte, wurde diese Dezentralisierung als positiver Schritt zu einem föderalistischen System begrüßt. 13 Jahre später herrscht Ernüchterung und die Regierung fordert eine rasche Verfassungsänderung, um die Zuständigkeiten neu zu definieren. Eines steht ununmstößlich fest: nichts wurde in diesen Jahren gründlicher dezentralisiert als die Korruption.

Die Skandalserie in Italiens Regionen nimmt kein Ende, die Dimensionen sind beeindruckend: gegen 520 Abgeordnete laufen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren wegen Amtsmissbrauch, Veruntreuung öffentlicher Gelder, Korruption und Betrug. In der Lombardei, Latium, Sardinien, Basilicata und Piemont haben die Skandale zum Sturz der Regierungen geführt. Nach der Dezentralisierung verhielten sich viele Regionen wie Kleinstaaten. Sie richteten in zahlreichen Ländern Dutzende von Vertretungen ein, erhöhten die Zahl der Abgeordneten und Kommissionen, bauten prunkvolle Parlamentsgebäude und steigerten ihren Personalstand von Jahr zu Jahr. Sie leisteten sich Schulden in Milliardenhöhe und missbrauchten öffentliche Gelder.  Im September 2012 flog der eklatanteste Skandal auf: In der Region Latium hatte der PDL um Fraktionsprecher Franco Fiorito Millionensummen für private Zecke mißbraucht.  Empört betrachteten die Bürger Fotos von altrömischen Gelagen und Exzessen aller Art. Der Fraktionssprecher der zur Moralisierung Italiens angetretenen Partei Italia dei Valori wurde verhaftet, weil er Zehntausende Euro öffentlicher Gelder im Videopoker verspielt hatte. Doch schon bald stellte sich heraus, daß der haarsträubende Skandal in Latium nur die Spitze eines mächtigen Eisbergs war. In der Lombardei laufen Gerichtsverfahren gegen 64 Abgeordnete, von denen mehrere verhaftet wurden. Sie werden der Veruntreuung, des Betrugs, der Bestechung und der Zusammenarbeit mit der Ndrangheta beschuldigt. Präsident Roberto Formigoni, gegen den mehrere Ermittlungsverfahren laufen, wechselte nahtlos in den Senat. In Sizilien sind 83 Abgeordnete betroffen, in Sardinien 46, in Piemont 40, in Kampanien 53. Fast täglich kommen neue dazu.

Autonomie und Lega Nord

Zwei Jahrzehnte hindurch war es die Lega, die in Italien Themen wie Autonomie und Sezession monopolisierte. Am 15. September 1996 verkündete Umberto Bossi in Venedig die Unabhängigkeit Padaniens als "repubblica indipendente e sovrana".  Doch das Versprechen von der Unabhängigkeit des Nordens erwies sich als reiner Bluff - ebenso wie die Makroregion und das jahrelang angepriesene Wundermittel des federalismo fiscale. Auch in den Reihen der Lega paarten sich Autonomieversprechen  und Korruption zu einem explosiven Gemisch. Schatzmeister Franco Belsito hatte Parteigelder in den Kauf von Diamanten in Afrika investiert, Bossi hievte seinen unbedarften Sohn Renzo nach bestem christdemokratischen Vorbild in den Regionalrat der Lombardei. Beide Söhne bedienten sich ungeniert aus der Parteikasse. Als die Lega in einen Finanzskandal stürzte, erklärte Bossi öffentlich: "Dieses Geld gehört uns und wenn wir wollen, können wir es zum Fenster hinausschmeißen." Fazit: Schatzmeister Belsito ist in Haft, sein Vorgänger Piergiogio Stiffoni wurde zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Bei den bevorstehenden Europawahlen muss die Lega befürchten, an der Vierprozent-Hürde zu scheitern. Begriffe wie Autonomie und Sezession sind aus dem Vokabular der Partei längst verschwunden, populistische Kampagnen gegen die Immigration sollen den massiven Stimmenverlust auffangen.

Skandalbehaftete Autonomie

Nach Berechnungen des Ökonomen Roberto Perotti kosten die Regionalräte eine Milliarde Euro pro Jahr. Spitzenreiter ist die autonome Region Sizilien mit 156 Millionen. Jeder Abgeordnete kostet im Schnitt 200.000 Euro jährlich. In Aosta müssen für der Regionalratjärlich 112 Euro pro Bewohner aufgewendet werden. Die Region Trentino-Südtirol ist die vorerst letzte Station des Skandalkarusells. Der Glanz der Modellautonomie ist urplötzlich verblasst, die selbstgefällige Nabelschau verstummt. Hämisch rücken die italienischen Zeitungen die Pensionsskandal ins Blatt, der Dildo der Freiheitlichen ist die Kirsche
auf der Torte. Ma gli altoatesini non erano sempre i primi della classe? Die Klagen über die südtirolfeindliche Berichterstattung sind verstummt. Der Begriff Autonomie ist nach all den Skandalen bei den italienischen Wählern zum Unwort verkommen. Auch in Südtirol wird man lernen müssen, daß der Begriff auch einen negativen Beigeschmack hat.  Bleibt die Frage, warum Mehrheit und Opposition beharrlich geschwiegen haben, obwohl sie seit September Bescheid gewusst hatten. Und die Frage, welche Lehre die SVP aus der "schwersten Vertrauenskrise seit dem 2. Weltkrieg" (Obmann Theiner)  ziehen wird.
Schließlich bleibt festzustellen, daß der Pensionsskandal den Klotz-Slogan Südtirol ist nicht Italien so gründlich Lügen gestraft hat, dass sie sich wohl einen neuen einfallen lassen muß.