Politik | Diskussion

Abgehorchtes Edelweiß

Kriegt die SVP die Kurve? Wem steht die Deutungshoheit über die Misere der Partei zu? Warum eine Debatte zwischen Journalisten ein trügerisches Bild zeichnet.
Stethoskop
Foto: Pixabay/salto.bz

Wer Südtirol nicht kennt, der hätte am Montag Abend einen falschen Eindruck bekommen können. Da diskutieren fünf gewichtige Journalisten über die politische Großwetterlage im Land – und einer von ihnen ist mit seinen Analysen ganz offensichtlich in der Minderheit. Doch, wie gesagt, der Schein trügt. Denn Toni Ebner führt das Flagschiff jenes Verlagshauses, das rund 80 Prozent des Medienmarktes in Südtirol und im Trentino beherrscht. Diese dominante Position wusste die Dolomiten unter Ebners Leitung auch in den jüngst zutage getretenen Vorgängen in und rund um die Südtiroler Volkspartei bestens zu nutzen – indem vom Inhalt der SAD-Abhörprotokolle erst und dem daraus entstandenen Buch “Freunde im Edelweiß” schon gar nicht berichtet wurde. Vielmehr wurden der – laut Dolomiten parteiinterne – Informant der Buchautoren Franceschini und Oberhofer, die Frage nach der Zulässigkeit der Veröffentlichungen und Wahlkampfspenden aus dem Jahr 2018 in den Fokus und auf die Titelseite gehievt.

Diese “Ablenkungsversuche”, dieses “Chaos stiften” sei eine bewusste Strategie der Widersacher von Arno Kompatscher, um das Ziel, den Landeshauptmann loszuwerden zu erreichen. So die Lesart von Heidy Kessler. Als Chefredakteurin von RAI Südtirol saß sie am Montag mit “Am Runden Tisch” der RAI, an den Moderator Christian Bassani neben Kessler und Ebner Georg Mair als stellvertretenden ff-Chefredakteur, den Leiter der Bozner Redaktion der Nachrichtenagentur ANSA Stefan Wallisch und Tageszeitung-Herausgeber Arnold Tribus geladen hatte.

 

Zu den Gegnern von Landeshauptmann Kompatscher zählen die meisten in der Runde nicht nur die “Fraktion der Verlierer”, wie Tribus die Protagonisten der Telefongespräche nennt, die in “Freunde im Edelweiß” zu lesen und hören sind: Thomas Widmann, Christoph Perathoner, Luis Durnwalder, Meinhard Durnwalder, SAD-Chef Ingemar Gatterer. Sondern zweifelsfrei auch die Dolomiten. “Typische Vorurteile” seien das, versucht Chefredakteur Toni Ebner seine Zeitung zu verteidigen. “Wir sind für niemanden” – auch wenn die Tageszeitung “ein Mal am Tag” und salto.bz sogar “zwei Mal am Tag” schreibe, “dass wir gegen den Landeshauptmann sind”. “Wir schreiben über Fakten.” Das und auch die Behauptung, das Buch sei Teil einer “von langer Hand geplanten” Intrige für eine “Palastrevolution” in der SVP – angeführt von SVP-Vizeobmann und Ex-Senator Karl Zeller gegen Parteiobmann Philipp Achammer –, lassen andere Diskussionsteilnehmer Ebner nicht durchgehen. Das seien Verschwörungs- und Komplotttheorien, kontert Georg Mair auf den Dolomiten-Chefredakteur. Der wiederum zieht Waltraud Deeg als glaubwürdige Quelle heran. Die Landeshauptmann-Stellvertreterin hat in einem Interview mit seiner Zeitung vor einigen Tagen gemeint, sie habe “schon vor eineinhalb Jahren aus dem Umfeld von Karl Zeller gehört, dass es das Ziel ist, die Mehrheit in der SVP zu erringen oder im Zweifelsfall zu riskieren, die Partei zu zerstören”.

 

Gehörtes, also “Tratsch” in einer Schlagzeile als Fakten zu verkaufen hält Tribus für abenteuerlich. Ebner indes sieht keinen Grund, an Deegs Worten zu zweifeln. Und findet es “schön, dass sie sich traut”, diese Aussagen in der Öffentlichkeit zu tätigen. Warum die Dolomiten zu und aus den Abhörprotokollen der Ermittlungen um die Vergabe der Bus-Konzessionen nicht berichten – und das, obwohl Unterlagen “auch uns zugespielt” wurden, wie Ebner am Montag verrät, “aber nicht von Karl Zeller” –, sei weder einem – Zitat Mair – “eisernen Pakt zwischen Dolomiten und Philipp Achammer” noch irgendeinem Naheverhältnis zu sonst einem der involvierten Abgehörten zu verschulden, sagt der Chefredakteur. Sondern ihm liege ein Rechtsgutachten vor, das bestätige, dass diese Inhalte nicht veröffentlicht werden dürften. “Wenn dem so wäre, hätte sich längst die Staatsanwaltschaft eingeschaltet – ergo, das Buch darf erscheinen”, widerspricht Arnold Tribus.

 

Obwohl “Freunde im Edelweiß” den Verquickungen zwischen SAD-Chef Gatterer und dem Ebner-Konzern unter dem Titel “Die ‘gekauften’ Medien” ein ganzes Kapitel widmet, spricht Moderator Bessani Ebner nicht darauf an. Dafür fragt er alle Gäste nach einer Prognose: Wie wird es mit der SVP nach den Rücktrittsforderungen, denen bisher keiner nachgekommen ist, dem mühevoll vollzogenen Schulterschluss zwischen Landeshauptmann und Parteiobmann und dem wachsenden Unmut in der Parteibasis weitergehen? Im restlichen Italien schaue man “mit einer gewissen Genugtuung” auf Südtirol, weiß ANSA-Chef Wallisch zu berichten – viele erwarteten, dass sich die Partei spalte, so wie es in der italienischen Politik an der Tagesordnung wäre. “Ich glaube nicht, dass es zu einer Spaltung kommen wird”, meint Wallisch selbst. Es liege nun an den Spitzenfunktionären zu beweisen, dass es nach dem “reinigenden Gewitter” einen sauberen Weg weiter gibt. Arnold Tribus ist derselben Meinung. Man werde sich streiten und weiter machen wie bisher, also mit Arno Kompatscher und Philipp Achammer. Thomas Widmann hingegen, der “weiß, wie viel er wert ist” habe sich einen “formaljuridisch korrekten Abgang verdient” – insofern als dass der Landtag sein Ausscheiden aus der Landesregierung vollziehen und er nicht von sich aus zurücktreten müsse. Auch Heidy Kessler rechnet nicht damit, dass sich Widmann von selbst zurückzieht – genauso wenig wie Karl Zeller. Deshalb rät sie der SVP, “sich aus der Rücktrittslogik auszuklinken”, also einen Rücktritt vom (nicht vollzogenen) Rücktritt. Toni Ebner relativiert die aktuelle Situation, die er anders sieht als die Opposition im Landtag. Die SVP habe “schon größere Probleme” zu bewältigen gehabt und werde auch dieses Mal “die Kraft der Selbstreinigung” finden, um eine Lösung zu finden.

Ebenso wie Kessler rechnet Ebner damit, dass die Turbulenzen parteiintern anhalten werden – allerdings unter völlig anderen Vorzeichen. Ebner vermutet, dass bis zur SVP-Landesversammlung keine Ruhe einkehren wird – wegen der Kontrahenten von Parteiobmann Achammer, der sich dort als Obmann wieder wählen lassen will. Kessler hingegen erwartet sich keine Deeskalation, weil für die Kräfte in der SVP, die den Landeshauptmann loswerden wollen, das “Ziel in erreichbarer Nähe” sei.

 

Doch weder die Parteibasis noch die restlichen Bürger im Land werden für weitere Kräftemessen, öffentlich ausgetragene Machtspielchen – ein “Gigger-Schaulaufen”, wie es Georg Mair bezeichnet – zu haben sein. Das belegt nicht zuletzt eine Straßen-Umfrage der RAI. Die SVP müsse nun Einigkeit zutage legen, schon allein, um sich selbst zu retten, meint der ff-Vizechefredakteur. Aber auch, weil die Volkspartei Südtirol weiter schade, wenn sie nur mit sich beschäftigt bleibt. Allerdings fehle in der SVP eine Konflikt- und Kommunikationskultur, so Mair. Damit ist er zum selben Schluss gekommen wie Arno Kompatscher. “Wir müssen lernen, wie wir miteinander umgehen, öffentlich und privat”, sagte der Landeshauptmann am Montag Nachmittag während des Sonderlandtages, den die Opposition zur SAD-Abhöraffäre beantragt hatte. Und weiter: “Wir müssen auch lernen, wie wir damit umgehen, wenn etwas schief läuft.” Gelegenheit, um festzustellen, wie lernfähig die SVP-Funktionäre sind, bietet sich bereits am heutigen Dienstag. Für 14 Uhr hat Landesrat (ohne Kompetenzen) Thomas Widmann eine weitere Pressekonferenz anberaumt. Und die verheißt – glaubt man den Worten von Georg Mair – nichts Gutes: “Thomas Widmann will Arno Kompatscher auf die Nerven gehen. Er wird sich wehren so lange es geht.”