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„Wünsche mir von Politik mehr Mut“

Für den Präsidenten des Unternehmerverbandes Heiner Oberrauch ist die Energiekrise in Europa hausgemacht. Jetzt sei weitsichtiges Handeln gefragt.
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Foto: Unternehmerverband

Salto.bz: Herr Oberrauch, Energie- und Rohstoffpreise steigen und es gibt Lieferengpässe. Zwingt der Ukraine-Krieg zu wirtschaftlichem Umdenken?

Heiner Oberrauch: Wie jede Krise lässt auch diese die Schwachstellen besonders zum Vorschein treten. Westeuropa hat als einer der größten Energieverbraucher zurzeit nicht genügend Energiequellen, um in der Energieversorgung autark zu sein, obwohl die Möglichkeiten da wären. Da wir in der Vergangenheit nur kurzfristig gedacht haben, wäre jetzt der Zeitpunkt in nicht fossile Energieträger zu investieren. Gerade Italien hätte für die Solarenergie ideale Voraussetzungen, im Vergleich zu Deutschland scheint die Sonne hier 20 bis 30 Prozent länger. Zudem müsste der Ausbau der Stromnetze vorangetrieben werden. Das ist eine Forderung, die schon lange vonseiten des Unternehmerverbandes an die Politik herangetragen wurde. Hier trifft man aber auf das Problem der Politik, dass nur an die nächsten Wahlen und nicht langfristig gedacht wird. Allerdings können wir nicht mehr so weitermachen wie bisher. Wenn wir enkeltauglich wirtschaften wollen, müssen wir den ökologischen Fußabdruck und die CO2-Emissionen ernstnehmen.

 

Deshalb gilt es jetzt, für die Energiewende die größte Kraft aufzuwenden.

 

Also reicht es nicht, neue Lieferverträge für Gas mit dem Nahen Osten oder Afrika abzuschließen?

Das reicht bei Langem nicht. Der Krieg bringt Grausamkeiten mit sich, zerstört Existenzen, Familien und Menschenleben. Außerdem wirft er uns geschichtlich zurück, denn Russland sollte in einem geeinten Europa dazugehören. Als abendländisches Land ähnelt seine Kultur unseren. Gleichzeitig bringt dieser Krieg auch positive Entwicklungen. Zum Einen rücken die europäischen Staaten mehr zusammen, zum Anderen erhält die Unabhängigkeit in der Energieversorgung neue Dringlichkeit.

Welchen Weg schlagen Sie in der Energiefrage vor?

In der aktuellen Situation braucht es kurzfristig gesehen genügend Gas, um beim Gaspreis Familien und Unternehmen zu entlasten. Die von Ihnen zuvor angesprochenen Preissteigerungen treffen Europa stärker als andere Weltregionen. Denn die Materialknappheit ist global zu beobachten, hingegen die Energieknappheit nur in Europa. Vor allem Italien muss seine Energie teuer einkaufen. Wenn Europa durch die hohen Energiepreise bei seiner Wettbewerbsfähigkeit einbüßt, hat das soziale Folgen und befeuert aber auch den Klimawandel. Denn wenn die Produktion auf Standorte außerhalb Europas ohne Energiestandards ausgelagert wird, schaden wir dem Klima viel mehr. Deshalb gilt es jetzt, für die Energiewende die größte Kraft aufzuwenden.

 

 

An welche konkreten Maßnahmen denken Sie, damit Gesellschaft und Wirtschaft stärker zusammenarbeiten?

Wir müssen den Staat schlanker gestalten, damit den Familien mehr Netto vom Brutto bleibt. Es hat keinen Sinn die Menschen hoch zu besteuern, um die Einnahmen dann mit komplizierten Mechanismen zu vergeben. Die Politik hat die Aufgabe, Reichtum zu verteilen. Um den ökologischen Wandel zu schaffen, müssen wir den Staats- und Landeshaushalt umbauen. Wir arbeiten mit den Mitteln von gestern, um die Zukunft zu bewältigen. Das kann nicht gut gehen. Daher muss unser Denken zukunftsorientiert werden.

Wie soll der Staat schlanker werden, wenn viele ältere Menschen in den nächsten Jahren Anspruch auf Pensionen und Pflege haben?

Ein schlanker Staat hat nichts mit den Pensionen zu tun. Das Pensionssystem muss aufrechterhalten werden. Aber alleine das Beispiel Südtirol zeigt, dass es in vielen Bereichen Einsparpotential gibt. Wieso brauchen wir ladinische, italienische und deutsche Verwaltungen, die genau das Gleiche machen? Ein Vergleich aus meinem Unternehmen: Ich habe sieben Bergsportmarken, an den Kunden vermarkte ich sie jeweils anders. Aber die Verwaltung, die Finanzen, die Logistik, die Lagerhaltung und die Supply Chain werden gebündelt. Würde ich es getrennt machen, würde es mir vier- oder fünfmal so viel kosten. Da wünsche ich mir von der Politik manchmal mehr Geschwindigkeit und mehr Mut. Wir müssen weg vom mehr, hin zum besser – in allen Bereichen.

 

Für junge Talente ist bei der Auswahl des Arbeitsplatzes Nachhaltigkeit eines der wichtigsten Kriterien.

 

Die Oberalp Gruppe ist bei nachhaltigem Wirtschaften einer der Vorreiter in Südtirol. Was würden Sie Unternehmen raten, die nachhaltiger wirtschaften wollen?

Der erste Schritt ist, sich den Konsequenzen bewusst zu werden. Beim Klimawandel ist es fünf nach zwölf, nicht fünf vor zwölf. Deshalb müssen wir uns in manchen Dingen beschränken, wobei mit Technologien viel möglich ist, zum Beispiel bei der Energie wie zuvor angesprochen. Der zweite Schritt ist der Gedanke, wie wir unsere Welt den Enkeln hinterlassen wollen. Darauf folgt dann eine Analyse des Unternehmens, um den Verbesserungsbedarf festzustellen. Hier bieten mittlerweile viele Beratungsunternehmen und auch der Unternehmerverband ihre Unterstützung an. Ich empfehle jedem Unternehmen, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Es ist nicht nur wegen dem guten Gewissen, sondern auch aus einem anderen Grund: Für junge Talente ist bei der Auswahl des Arbeitsplatzes Nachhaltigkeit eines der wichtigsten Kriterien.

Ihre Sportmarken hängen eng mit den Bergen zusammen. Hier zählt in Sachen Nachhaltigkeit auch die Frage, welches Transportmittel gewählt wird, um in die Natur zu gelangen. Wie sehen Sie diese Herausforderung?

Da fühle ich mich auch als Übeltäter. Ich fahre jede Woche wahrscheinlich einmal mit dem Auto in die Berge. Allerdings fahre ich jetzt nicht mehr jedes Jahr auf Skiexpedition, sondern nur noch jedes zweite und dafür etwas länger. Um die Mobilität nachhaltiger zu gestalten, können Fahrgemeinschaften gebildet oder öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden. Aber der Mensch als Gewohnheitstier braucht seine Zeit. Zudem ist dafür persönliche Planung notwendig. Was anfangs als Beeinträchtigung gesehen wird, kann außerdem in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer abwechslungsreichen Erfahrung werden. Ein weiteres Problem ist die zeitliche Verfügbarkeit, die durch Entschleunigung gelöst werden kann.

 

 

Sie haben für Bozen eine internationale Schule vorgeschlagen. Wie ist hier der Stand der Dinge?

Die Schule ist in Vorbereitung und soll im heurigen oder nächsten Schuljahr starten können. Unklar ist noch, ob der Standort in Bozen oder Brixen sein wird. Durch eine internationale und englischsprachige Schule können internationale Mitarbeiter von Unternehmen oder Institutionen wie der Universität Bozen mit ihren Kindern nach Südtirol ziehen. Auch sprachbegabte Kinder von Südtiroler Familien profitieren dadurch. In einem ersten Schritt soll es eine Oberschule werden, die als European School ein renommiertes, standardisiertes Schulprogramm anbietet, später können auch weitere Schulstufen hinzukommen.

 

Der Landeshauptmann hat mir sein Wort gegeben, dass wir das Geld zurückbekommen.

 

Welche Lehren haben Sie aus dem sogenannten Maskenskandal gezogen?

Ich habe gelernt, dass es für viele Menschen nicht vorstellbar ist, in einer so schwierigen Situation in Vorleistung zu gehen. Dadurch wurde in der Presse viel Falsches geschrieben, ohne diese Dinge zu hinterfragen. Ich würde deshalb heute eher von einem Presseskandal als von einem Maskenskandal sprechen. Beim Ausbruch der Pandemie in Südtirol haben wir unsere Geschäftspartner in China gefragt, welches Schutzmaterial sie dem Südtiroler Sanitätsbetrieb zu welchem Preis liefern können. Das Angebot haben wir dann weitergeleitet. Da es dem Land nicht möglich war, solche Summen in so kurzer Zeit zu überweisen, haben wir als Oberalp Gruppe die Summe vorgelegt. Der Landeshauptmann hat mir sein Wort gegeben, dass wir das Geld zurückbekommen.

Haben Sie die vorgelegte Summe zurückerhalten?

Unsere Rechtsanwälte und die Rechtsanwälte des Landes versuchen nun, eine Lösung zu finden.

 

Geschlossenheit kann auch in einem Mehrparteiensystem funktionieren.

 

Der Skandal zur SAD-Affäre zeigt einen ungesunden Umgang zwischen Politik und Wirtschaft. Wie sehen Sie dieses politische Naheverhältnis als Präsident des Unternehmerverbandes?

Ein ungesunder Umgang wird in Einzelfällen so sein. Ich erlebe kein besonders nahes Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft. Südtirol ist ein kleinstrukturiertes Land, deshalb arbeiten nicht nur die Wirtschaft, sondern beispielsweise auch die Gewerkschaften oder Schulen vergleichsweise eng mit der Politik zusammen. Wie dieses Naheverhältnis dann gestaltet wird, hängt von jedem Einzelnen ab.

Der SAD-Skandal hatte eine innerparteiliche Krise der SVP zur Folge. Die Sammelpartei hat in der Vergangenheit immer wieder unsere Autonomie in Rom verteidigt. Macht Ihnen angesichts dessen diese Entwicklung Sorge?

Geschlossenheit und Einigkeit waren und sind ein großer Segen für Südtirol. Aber Geschlossenheit kann auch in einem Mehrparteiensystem funktionieren.