Der Parteiwechsel sollte m.E
Der Parteiwechsel sollte m.E nicht nur bestraft, sondern ausgeschlossen werden; dies zumal er den demokratisch gewählten Wählerauftrag verzerrt.
Im römischen Parlament hat sich eine Reihe politischer Unsitten eingebürgert, die in anderen Volksvertretungen der EU schlichtweg unvorstellbar sind. Dazu gehört zweifellos der cambio di casacca, der Parteiwechsel gewählter Abgeordneter und Senatoren. Deren Zahl hat nun in der laufenden Legislaturperiode eine Rekordhöhe von 304 erreicht - 6 pro Monat - und das, obwohl Neuwahlen erst in rund einem Jahr anstehen. Von dem Phänomen am stärksten betroffen ist die Fünf-Sterne-Bewegung - mit fast genau 100 Parlamentariern in Kammer und Senat. Spitzenreiter ist nach wie vor der sardische Autor Giovanni Marilotti mit 5 Fraktionswechseln. Mit drei glänzt auch der Mailänder Unternehmer Claudio Pedrazzini, der von Forza Italia über die gemischte Fraktion und jene con Coraggio Italia schliesslich erneut in die gemischte zurückgekehrt ist - Wanderer zwischen politischen Welten. Zu den Spitzenreitern zählt auch die Senatorin Silvia Vono aus Soverato. Gehörte sie im Regionalrat Kalabriens zu Forza Italia, wechselte sie im Parlament zur Fünf-Sterne-Bewegung, dann zu Renzis Italia viva - um schliesslich in die Reihen von Forza Italia zurückzukehren. So bizarr das klingt, es ist alles andere als ein Einzelfall.
Nun soll diese nur in Italien existierende Unsitte nach mehreren gescheiterten Anläufen endlich bestraft werden.
Nach einem Vorschlag von Forza Italia und Partito Democratico sollen Überläufer in Zukunft ihre Ämter in den Parlamentsausschüssen verlieren. Auch die Verteilung der Geldmittel soll entsprechend revidiert werden.
Seit den letzten Wahlen im März 2018 haben 143 Abgeordnete und 70 Senatoren Fraktion gewechselt - einige davon gleich mehrmals.
Die einzige Partei, die dieses Phänomen bisher nicht betrifft, ist die der ultrarechten Fratelli d´Italia, deren Fraktionsvorsitzender Francesco Lollobrigida keine Probleme damit hat: "Noi siamo un gruppo unito e compatto e non fa campagna acquisti."
Eine Rekordzahl von 304 Parteiwechseln ist seit Beginn der Legislaturperiode zu verzeichnen. Davon waren bisher 214 Abgeordnete betroffen, von denen etliche gleich mehrmals Fraktion gewechselt haben. Der Exodus beschränkt sich freilich nicht nur auf das römische Parlament. Vom camaleontismo betroffen sind auch die Regional- und Gemeinderäte. In den letzten Monaten habe man in den gewählten Gremien der Halbinsel ein viavai mai visto erlebt, empört sich La repubblica. Das gilt etwa für den Regionalrat Sardiniens mit 10 Parteiwechseln. Im römischen Parlament hat als vorerst letzte die Fünf-Sterne-Abgeordnete Francesca Troiano ihre Fraktion verlassen, um in die gemischte zu wechseln. Die erweist sich als beliebtes Ziel - allein in der laufenden Legislatur hat sie 34 Mitglieder dazugewonnen. Dasselbe triste Schauspiel offenbart sich fast täglich in Dutzenden von Gemeinderäten. Der grassierende camaleontismo erinnert verdächtig an Tomasi Di Lampedusas bekannten Roman Il gattopardo,in dem der principe di Salina von der lakonischen Feststellung ausgeht: "Se vogliamo che tutto rimanga com´è, bisogna che tutto cambi."
Eines steht zum Trost frustrierter Wähler fest: trotz aller Parteiwechsel muss ein Grossteil der Volksvertreter bei den in einem Jahr fälligen Parlamentswahlen ernsthaft um die Wiederwahl bangen. Grund dafür ist die mit Referendum beschlossenen Reduzierung der Parlamentarier - von 630 auf 400 in der Kammer und von 315 auf 200 im Senat - eine begrüssenswerte Gesundschrumpfung. Denn Italien hat derzeit noch mit insgesamt 945 Abgeordneten und Senatoren das mit Abstand zahlreichste Parlament Europas. Dieser durchaus zweifelhafte Rekord wird nun nach mehreren vergeblichen Anläufen bei der nächsten Wahl endlich fallen - ein längst fälliger Schritt in Richtung Normalisierung.
Ungekrönter Rekordhalter auf diesem Gebiet bleibt jedoch der mittlerweile 73-jährige Neapolitaner Luigi Compagna, der im Parlament 10 Mal Partei gewechselt hat, ohne dabei Anrüchiges zu finden.
Das gilt leider nicht für Regionalparlamente und Gemeinderäte. In der assemblea regionale siciliana etwa hat jeder dritte Abgeordnete mindestens einmal Partei gewechselt. Und im sardischen Regionalrat hat der Wechsel von 10 Abgeordneten die politische Ausgangslage und die Gleichgewichte entscheidend verändert. Im Gemeinderat von Catanzaro verfügt Forza Italia als meistgewählte Partei nach Monaten des Kuhhandels nur noch über ein Ratsmitglied. In Messina haben 14 von 32 Gemeinderäten Fraktion gewechselt. Das Veroneser Tagblatt L'Arena registriert mit Blick auf die bevorstehenden Gemeindewahlen "un vero boom di cambi di casacca."
Ungekrönter Rekordhalter auf diesem Gebiet bleibt jedoch der mittlerweile 73-jährige Neapolitaner Luigi Compagna, der im Parlament 10 Mal Partei gewechselt hat, ohne dabei Anrüchiges zu finden: "Nell' espressione cambio di casacca c'è qualcosa di denigratorio - proporrei cambio di canottiera".
Der Parteiwechsel sollte m.E nicht nur bestraft, sondern ausgeschlossen werden; dies zumal er den demokratisch gewählten Wählerauftrag verzerrt.