Wirtschaft | Milchwirtschaft

Faire Kostenverteilung gefordert

Kaum ein landwirtschaftlicher Sektor steht derzeit so unter Druck wie die Milchwirtschaft. Der Sennereiverband hat kürzlich Bilanz über das Geschäftsjahr 2021 gezogen.
Milchkuh
Foto: Othmar Seehauser
„Die Pandemie hat die Milchwirtschaft noch weiter unter Druck gesetzt, die Wirtschaftlichkeit unserer Betriebe leidet und es ist fraglich, wie lange sie noch durchhalten können“, beschrieb Obmann-Stellvertreter Georg Egger die derzeitige Situation. Denn obwohl die Produktionskosten seit zwei Jahren rasant steigen, sehen sich Südtirols Bergbauern auch 2021 mit einem niedrigeren Auszahlungspreis konfrontiert. Als Gründe dafür nannte der stellvertretende Obmann zum einen  den Total-Ausfall der Wintersaison 2021, bedingt durch die Corona-Pandemie und den Lockdown, zum anderen die Preisexplosion bei den Futtermitteln, wichtigen Rohstoffen sowie Treibstoff und Energie. Besonders hohe Kostensteigerungen hatten die Landwirte bei Futtermitteln, Energie und Investitionskosten zu verbuchen, die Verarbeitungsbetriebe hat es vor allem bei Energie, Verpackungen und Transportdienstleistungen sowie bei Rohstoffen wie Früchten getroffen. Die Energie-Kosten sind zwischen Jänner 2021 und Jänner 2022 um über 200 Prozent gestiegen, die Kosten für das Gas um über 350 Prozent und für den Treibstoff um knapp 53 Prozent.Die massiven Kostensteigerungen konnten am Markt leider nicht vollständig weitergegeben werden“, erklärte Egger und betonte: „Es ist daher an der Zeit, die Rolle der Lebensmittelproduzenten in der Wertschöpfungskette zu stärken.“ Konkret müssten die Leistungen der Produzenten stärker abgegolten und Qualität finanziell belohnt werden.
 
 
 
 
Auch Annemarie Kaser, Direktorin des Sennereiverbandes Südtirol, wies auf die aktuell schwierige Situation hin. Vor allem der Ausfall der Wintersaison und der nahezu totale Wegfall des Städtetourismus in Italien im ersten Halbjahr 2021 haben die Milchwirtschaft schwer getroffen „Der Absatz unserer Produkte ist in den ersten Monaten des vergangenen Jahres eingebrochen, der Versandmilchanteil musste angehoben werden“, so Kaser, die zudem auf Engpässe bei Verpackungsmaterialien und Rohstoffen verwies. „Selbst ein gutes zweites Halbjahr hat den Absatzrückgang im ersten nicht wettmachen können“, so Kaser. Die Absatzkrise zeigte sich nicht zuletzt an den Rückgängen, die in der Produktion aller Südtiroler Milchprodukte, Mascarpone und Sahne ausgenommen, feststellbar sind. Der Frischmilchabsatz sank im Vergleich zu 2020 um rund 2,6 Prozent, jener von Joghurt um 1,84 Prozent, jener von Käse sogar um 7,3 Prozent. Entsprechend hatten die Südtiroler Milchhöfe 2021 einen Umsatzrückgang zu beklagen.
 
 
 

2021 haben 62 Betriebe aufgegeben

 

Während die 2021 produzierte Milchmenge in Südtirol annähernd gleich geblieben ist, mit 403,9 Millionen Kilogramm wurde nur 0,5 Prozent mehr Milch produziert als im Jahr zuvor, ist die Zahl der Milchbetriebe im Land weiter gesunken. Im vergangenen Jahr haben 62 Betriebe die Milchproduktion eingestellt, in den letzten zwei Jahrzehnten hat Südtirol mehr als 1.500 Milchbetriebe verloren. Der Grund für diese negative wirtschaftliche Entwicklung dürfte im Auszahlungspreis liegen, der in Südtirol im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zwar relativ hoch ist, in welchem sich jedoch die erbrachte Arbeitsleistung und die Produktionskosten nicht widerspiegeln. 2021 wurde in Südtirol ein durchschnittlicher Auszahlungspreis von 50,17 Cent pro Kilogramm erreicht, 0,66 Cent weniger als noch im Vorjahr. Für gentechnikfreie Qualitätsmilch erhielten die Bauern einen Auszahlungspreis von 48,48 Cent pro kg, für Ziegenmilch 65,23 Cent pro kg und 68,32 Cent pro kg Biomilch. Insgesamt wurden 203,7 Millionen Euro an die 4.354 Südtiroler Milchlieferanten ausgeschüttet.
 

Image

 

Welchen Wert man einem positiven Image beimisst, ist an der Werbestrategie und den Marketingmaßnahmen, die in Zusammenarbeit mit der IDM umgesetzt wurden, ablesbar. Neuerdings hat der Sennereiverband auch das Potential von „Influencern“ entdeckt, so wurde 2020 eine Kooperation mit den Influencerinnen Luisa Ambrosini und Francesca Guatteri geschlossen, die ihren Followern die Südtiroler Milchwirtschaft und ihre Produkte vorstellen.
In den vergangenen Jahren lag der Fokus verstärkt auf Heumilch-Produkte. Ziel war und ist es Südtirol als erste Region Italiens, welche Heumilch geschlossen und unter einem Dach vermarktet, zu positionieren, erklärte dazu die Direktorin des Sennereiverbandes. „Wenn der italienische Konsument an ‚latte fieno‘ denkt, soll er automatisch an Südtirol denken“, so Kaser, die präzisierte, dass Werbung für Milch Hand in Hand mit Werbung für den Tourismus gehe. In der Heumilch-Werbekampagne, welche ursprünglich auf drei Jahre ausgelegt war und 2021 fortgeführt wird, wird die Botschaft vermittelt, dass Heumilch als ursprünglichste Bewirtschaftungsform zur Tradition und Geschichte Südtirol gehört. Für die Heumilchkampagne hat der Sennereiverband Südtirol gleich zwei Preise im Rahmen der Tespi Awards der renommierten italienischen Fachzeitschrift „Formaggi & Consumi“ erhalten.
 

Bester Milchlieferant kommt aus Mühlwald

 

Zur Tradition des Sennereiverbandes und der einzelnen Sennereien gehört es mittlerweile, jährlich die besten Milchlieferanten auszuzeichnen. In diesem Jahr fiel die Wahl des Landesbesten – die Rangfolge wird anhand eines ausgeklügeltes Punktesystems ermittelt – auf Josef Holzer, Wieseler in Mühlwald. Der Hof liegt auf rund 1.600 Meter Meereshöhe ist mit 126 Erschwernispunkten eingestuft. Bewirtschaftet werden im Nebenerwerb zwei Hektar Feld und drei Hektar Wald.
 

„Ganz ohne Bauern wird es nicht gehen“

 
Salto.bz hat bei Annemarie Kaser, Direktorin des Sennereiverbandes, nachgefragt und einige interessante Antworten erhalten.
 
Salto.bz.: Frau Kaser, pro Dekade war in den vergangenen Jahren ein Rückgang von 1.000 Milchbauern zu verzeichnen. Heißt das, dass es in 40 Jahren keine Milchbauern mehr in Südtirol gibt?
 
Annemarie Kaser: Ganz ohne Bauern wird es nicht gehen, schließlich brauchen wir alle etwas zu essen. Was in 40 Jahren sein wird, wissen wir allerdings alle nicht.
 
Wie schlimm ist die Situation tatsächlich?
 
Die größten Schwierigkeiten haben zurzeit die mittelgroßen Betriebe, die noch im Haupterwerb tätig sind, weil aufgrund der Kostensteigerung die Wirtschaftlichkeit sehr stark sinkt. Diese Bauern stellen sich derzeit die Frage, ob sie weiterhin die Milchproduktion aufrecht erhalten können bzw. wollen, wenn sie in den Nebenerwerb gehen müssen. Jene, die bereits im Nebenerwerb arbeiten, haben ein höhere Bereitschaft abzuwarten. Aber Bauern, die aufgrund der finanziellen Situation entscheiden müssen, ob sie sich eine Arbeit suchen müssen, um den Hof zu erhalten, können nicht lange abwarten. Bei diesen Betrieben ist das Risiko am größten, dass sie aus der Milchproduktion aussteigen. Derzeit weiß leider keiner, wie lange diese Situation andauern wird.
 
 
 
Vor Kurzem hat die Landesregierung den Milchbauern eine finanzielle Unterstützung zugesichert – 300 Euro pro Kuh. Allerdings wird die Maßnahme auf jene Landwirte eingeschränkt, die sich an die flächenbezogenen Landwirtschaft halten. Diese dürften aber – sofern die Fläche dem Futtermitteldarf tatsächlich entspricht – ohnehin nicht in hohem Maße auf Futtermittelzukäufe angewiesen sein. Warum müssen dennoch gerade sie unterstützt werden?
 
Ziel der flächenbezogenen Landwirtschaft ist es, möglichst viel Grundfutter vom eigenen Grund und Boden zu beziehen. Unabhängig davon erhalten die Milchkühe aber zusätzlich Ausgleichsfuttermittel, die sich innerhalb kürzester Zeit extrem verteuert haben. Erhalten sie keine Ausgleichsfuttermittel, hat dies negative Auswirkungen auf die Tiergesundheit und die Fruchtbarkeit. Das wirkt sich langfristig negativ auf die Wirtschaftlichtkeit der Betriebe aus. Daher ist eine unmittelbare Unterstützung wichtig. Nur indem wir die Landwirte in der Produktion halten, sichern wir auch eine lokale Nahversorgung.
 
Eine Hochleistungskuh ist auch eine „Qualitätskuh“
 
Hochleistungskühe – in der Regel sind es Holsteiner – brauchen Hochleistungsfutter. In der Imagekampagne des Sennereiverbandes und der IDM sind schöne gehörnte Grauviehkühe zu sehen. Besteht das langfristige Ziel des Sennereiverbandes in einem Umstieg von der Hochleistungskuh hin zur „Qualitäts-Kuh“?
 
Eine Hochleistungskuh ist auch eine „Qualitätskuh“. Wichtig ist, dass es dem Tier gut geht. Die Zucht bewegt sich derzeit besonders in Richtung Langlebigkeit und Fitness der Tiere. Wir werden jedoch genau beobachten müssen, wie sich die Situation auf dem Futtermittelsektor entwickelt. Es wird immer gesagt, die Kuh fresse den Menschen die Nahrung weg. Dabei entseht bei der Produktion von einem Kilogramm veganer Lebensmittel mindestens vier Kilogramm nicht essbare Biomasse. Wir brauchen also die Kühe, um die gesamte Biomasse zu verwerten. Auch das angesprochene Ausgleichsfutters enthält rund 65 Prozent an für den Menschen unverwertbaren Stoffen. Kurz und gut: Die Kuh frisst den Menschen nicht die Nahrungsmittel weg. Es gibt keine besseren Möglichkeiten, die Almen offen zu halten als durch die Bestoßung mit Rindern.
 
Die Kuh frisst den Menschen nicht die Nahrungsmittel weg.
 
Würden Sie trotz der schwierigen Situation eine Prognose wagen?
 
Ich bin zuversichtlich. Wir haben ein gutes Produkt, eine gute Qualität und ein gutes Image am italienischen Markt. Das sind unsere Stärken und daran werden wir weiter arbeiten. Mit schwierigen Situationen hatten die Bergbäuerinnen und Bergbauern oft zu kämpfen, aber auch diese werden sie meistern; schließlich muss der Mensch essen und die Nahrungsmittel werden immer noch vom Bauern produziert. Wie wichtig eine eigene Produktion in Südtirol ist, hat uns die Pandemie und der Krieg in der Ukraine vor Augen geführt. Wir dürfen es nicht als selbstverständlich hinnehmen, dass die Nahrungsmittelflüsse offen sind. Die Menschen unterschätzen bisweilen, wie wichtig die Lebensmittelproduktion vor der eigenen Haustür ist.
 
Schließlich ist es wahr, was wir hier zeigen.
 
Der Sennereiverband hat gemeinsam mit IDM einige Imagekampagnen lanciert. In den Werbefilmen wird die Milch mit einer altertümlichen Seilbahn von einem idyllisch abgelegenen Bergbauernhof zur nächsten Straße gebracht, wo der Fahrer des Milchwagens geduldig lächelnd wartet. In einem weiteren Film offeriert der Kellner einer Kuh der Rasse Grauvieh ein Büschel Kräuter auf dem Silbertablett. Warum setzen Sie auf diese Strategie bzw. nicht auf realitätsnähere Erzählungen, um kritischen Fragen der Konsumenten vorzugreifen? Es muss ja nicht ein Güllefass sein, aber diese Sujets scheinen doch etwas realitätsfern zu sein.
 
Es ist die richtige Strategie. Schließlich ist es wahr, was wir hier zeigen. Natürlich wird das Futter den Kühen nicht auf Tellern serviert, dabei handelt es sich um eine überspitzte Darstellung, um das Thema Heumilch zu veranschaulichen. Aber die Landschaft ist real und die Kühe sind real. Auch heute noch wird in Südtirol die Milch von entlegenen Höfen mit der Seilbahn zur Straße gebracht, wo sie vom Sammelwagen abgeholt wird. Das ist Teil der Südtiroler Berglandwirtschaft. Natürlich zeigen wir auch die Tierhaltung und die verschiedenen Arbeitsschritte, die auf einem Hof ablaufen. Die Landwirte beschäftigen sich schließlich täglich mit ihren Tieren und bemühen sich um die Produktion hochwertiger Milch.