Schlanders ohne Jugend?
Die Drususkaserne in Schlanders, bestehend aus mehreren Gebäudekomplexen, steht seit Jahrzehnten leer. Vor einigen Jahren erwarb die Gemeinde das Areal vom Land und seit 2016 entwickelt sich dort in einem der Gebäude das Projekt "BASIS, das derzeit als Verein weitergeführt wird. Dort befindet sich ein Co-Working-Space, eine Kreativwerkstatt, Seminarräumlichkeiten und es werden Events in den Bereichen Kultur, Wirtschaft und Bildung abgehalten. Nun will die Gemeinde Schlanders die restlichen Gebäude abreißen und stattdessen Wohnblöcke hochziehen. So soll das Areal, das unendlich viel Potential enthält, für immer versiegelt werden. In einem offenen Brief wenden sich mehr als 70 junge Vinschger:innen an die Gemeindeverwaltung und versucht sie umzustimmen:
Sehr geehrter Bürgermeister, sehr geehrter Gemeinderat,
wir schreiben Ihnen als junge Bürger:innen der Gemeinde Schlanders und des Vinschgaus, die sich gerade aus Studien-und Ausbildungszwecken im Ausland befinden. Wir wenden uns an Sie, weil wir uns besorgt über die Entwicklungen bezüglich der Pläne mit dem Areal der alten Drususkaserne zeigen. Im Folgenden möchten wir unsere Bedenken erklären:
Als ersten Punkt möchten wir hier anführen, dass das Konzept, den Großteil des Bereichs der ehemaligen Drususkaserne in ein Wohngebiet mit klassischen Eigentumswohnungen zu verwandeln, in unseren Augen nicht zukunftsfähig ist. Stellen Sie sich die Frage, wen solche Wohnungen ansprechen. Sind es wir, die Zukunft von Schlanders? Oder viel mehr Rentner:innen aus dem Ausland, welche in Südtirol Sommerfrische machen? Wir sind uns durchaus bewusst, dass dem mit dem konventionierten Wohnbau entgegengewirkt werden soll, jedoch stellt sich immer noch die Frage, welche Personen in die 55% der konventionierten Wohneinheiten einziehen werden. Es ist hier nämlich auch fragwürdig, inwiefern ein solches Projekt ansprechend für junge Menschen ist, die vielleicht einen anderen Lebensentwurf haben, als sich für mehrere Jahrzehnte zu verschulden und sich an einen Ort zu binden. Es stellt sich die Frage, ob bei der Planung dieses Areals berücksichtigt wurde, dass die Gesellschaft von heute nicht mit jener von vor 30 Jahren zu vergleichen ist. Was früher vielleicht normal war, ein klassischer Lebensentwurf (Wohnung kaufen, Kinder kriegen, bis zur Rente im selben Beruf tätig zu sein) entspricht für viele von uns nicht mehr der Lebensrealität und unseren Zukunftsvorstellungen.
Das Kasernenareal bietet die Möglichkeit, heute zukunftsfähige und innovative Ideen zu beherbergen.
Wir finden es eine gute und auch richtige Idee, das Kasernenareal zu nutzen, so wie es mit dem Projekt "BASIS“ begann. Wir sind prinzipiell nicht dagegen, neuen Wohnraum in Schlanders zu schaffen. Im Gegenteil, Wohnmöglichkeiten für junge Menschen zu schaffen, ist wichtig. Das Kasernenareal dafür zu nutzen ist an und für sich auch kein schlechter Plan. Die Frage, die sich hier jedoch auftun sollte, ist, inwiefern das Aufstellen von 16 Wohnblöcken zukunftsorientiert und nachhaltig ist. Und dabei ist es nicht die Zahl, die uns stört, sondern die Form. Eine alternative Idee, die vielleicht näher an unserer Lebensrealität ist, wäre beispielsweise modulares Wohnen. Im Vinschgau wird man heute immer noch argwöhnisch beäugt, wenn man in einer Wohngemeinschaft mit Freund:innen leben möchte. Hierfür könnte mit dem modularen Wohnen eine Möglichkeit geschaffen werden.
Das Kasernenareal bietet die Möglichkeit, heute zukunftsfähige und innovative Ideen zu beherbergen. Wie gesagt, muss dabei das Thema Wohnen nicht komplett vernachlässigt werden. Ist es dafür aber notwendig, alle Gebäude niederzureißen? In den Kasernen ist genug Platz, um alternative Konzepte aufblühen zu lassen. Die Gebäude könnten im Stile der "Ruinenbars“ in Budapest in öffentlich zugängliche Begegnungszonen umfunktioniert werden. In der Offizierskaserne könnte ein Museum für Südtiroler Zeitgeschichte platziert werden, ein idealer Ort, um über die bewegten 60er Jahre und über die Südtiroler Autonomie aufzuklären, wie es ihn sonst nirgends in Südtirol gibt. Dies würde z.B. Schulklassen außerhalb des Vinschgaus endlich dazu bringen, nach Schlanders zu kommen. Die alten Gebäude könnten auch, nach Vorbild des Berliner "Teufelsbergs“, Raum für Künstler:innen aller Art bieten und das bereits bestehende Projekt "BASIS“, welches weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist, ergänzen. Das ist nur ein kleiner Auszug der Möglichkeiten, die sich bei einer kreativeren Betrachtung der Situation ergeben. Alle haben jedoch gemein, dass sie nicht Ihrer geplanten Entwicklung entsprechen und dennoch eine sinnvolle Nutzung der Fläche und Gebäude ermöglichen. Wir möchten dabei nicht für eine dieser Alternativen Position beziehen, sondern lediglich aufzeigen, was möglich sein könnte.
Was in Schlanders allerdings fehlt, ist konsumfreier Raum, in dem Menschen einfach nur sein können.
Uns ist bekannt, dass in den Wohngebäuden auch Platz für Geschäfte geschaffen werden soll. Wie Ihnen vielleicht bei Ihrem letzten Spaziergang durch die Fußgängerzone aufgefallen ist, stehen dort viele Geschäftslokale leer. Wäre es dann nicht von größerem Nutzen, zuerst die Fußgängerzone wiederzubeleben, anstatt neuen, offensichtlich nicht benötigten Raum für Geschäfte zu schaffen? Was in Schlanders allerdings fehlt, ist konsumfreier Raum, in dem Menschen einfach nur sein können. Auch hierfür wäre auf den vier Hektar genug Platz.
Zurzeit befindet sich auf dem Kasernenareal das Projekt "BASIS“, das genau unseren Bedürfnissen und dem Zeitgeist entspricht, und wofür wir auch ausgesprochen dankbar sind. Wie kann es aber sein, dass man zuerst ein so großartiges Projekt aufzieht, um es dann im nächsten Atemzug wieder zu ruinieren. Es dürfte doch klar sein, dass wenn Wohnraum und ein Kulturzentrum, in dem auch Veranstaltungen stattfinden, so nahe beieinanderstehen, Konflikte mit zukünftigen Anrainer:innen vorprogrammiert sind. Man stelle sich vor, dass in einer Wohnung eine Familie mit Kleinkindern lebt. Inwiefern ist das dann verträglich mit einer bis spät in die Nacht dauernden Veranstaltung? Unsere Befürchtung hierbei konkret ist, dass die "BASIS“ nicht mehr auf dieselbe Art und Weise wie momentan betrieben werden kann.
Welchen Grund sollte jemand haben, von einer Großstadt wie Wien, München, Innsbruck oder Mailand zurück nach Schlanders zu ziehen?
Nun zum letzten Punkt: Viele von uns können sich vorstellen, nach absolvierter Ausbildung wieder in die Heimat zurückzukehren. Doch welchen Grund sollte jemand haben, von einer Großstadt wie Wien, München, Innsbruck oder Mailand zurück nach Schlanders zu ziehen? Man kann fast jedem Beruf in fast jeder Stadt nachgehen, zum Beispiel findet eine Lehrperson, ein Arzt, eine Apothekerin, auch in anderen Städten eine gut bezahlte Arbeit, genauso ist der Vinschgau nicht der einzige Ort mit schöner Natur. Wir nehmen an, der Begriff Brain-Drain bzw. Talentabwanderung ist Ihnen bekannt. Zwischen Sizilien und Norddeutschland ist der ländliche Raum vom Aussterben bedroht und massiv von Abwanderung gut ausgebildeter Menschen betroffen. Uns wird in Schlanders und Umgebung schon ziemlich wenig geboten, Projekte wie die "BASIS" sind dabei eine willkommene oder gern gesehene Ausnahme. Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass es Projekte, wie das Ihrerseits geplante, sind, die diesen Prozess beschleunigen.
Zuletzt möchten wir uns noch über den Stand der Ausschreibungen bezüglich des Abrisses informieren sowie über die konkreten Beschlüsse des Gemeinderates. Dafür wollten wir das Dokument Nr. 15 des Gemeindeausschusses vom 18.01.2022 einsehen, dies hat jedoch über die Gemeindewebsite nicht funktioniert. Wir bitten Sie, uns dieses zukommen zu lassen.
Mit freundlichen Grüßen verbleiben
Moritz Angerer, Mathias Lechthaler und Lukas Pircher
Es ist prinzipiell nicht
Es ist prinzipiell nicht nachhaltig bestehende Bausubstanz - auch Kasernenareale - abzureißen und mit neuem Beton zu "befüllen". Die aktuell wiederverwerteten Kaserneneinheiten (Basis Vinschgau) sind ein gutes Beispiel, dass über den Sanierungsweg viel erhalten und genutzt werden kann. Multiple und kreative Wohnmöglichkeiten & Lösungen inklusive. Einfach die jungen Leute machen lassen ... die machen das schon richtig. Oder zumindest nicht so falsch wie es wohl ein Abbruch sein dürfte.
Weitere Ideen für die Nutzung: beginnt beim alternativen Wohnraum, geht über Kultur, soziale Einrichtungen, Gemeinschaftsprojekte, Freizeit, Migration, bis zu Vereinswesen und Gesellschaft ... selbst die Gemeinde Schlanders müsste doch Interesse haben aus dem gesamten Kasernenareal ein Vorzeigeprojekt werden zu lassen.
Antwort auf Es ist prinzipiell nicht von Klemens Riegler
Das wäre unsere Vorstellung
Das wäre unsere Vorstellung auch. Ich hoffe, die Gemeinde sieht das nach den verschiedenen Meldungen aus der Bevölkerung auch irgendwann so.
Spannend find ich ja, daß ein
Spannend find ich ja, daß ein Bausubjekt, das Jahrzehnte lang wie ein Fremdkörper in dieser Gemeinde wirkte, nun erhaltenswert erscheint. Und das ist es auch, denn: architektonisch wie bauplanerisch sind diese Gebäude gut – großzügig, proportional angenehm, genügend Freifläche. Im Prinzip das, was die meisten Baufirmen heutzutage für "modernes Wohnen" außer Acht lassen.
Wenn man "nachhaltig" bauen will, muss man nicht bestehendes abreißen und was neues hinklotzen, sondern auch bedacht mit der grauen Energie (bestehendes neu nutzen) umgehen. Ich kann mir gut vorstellen, daß man die bestehenden Gebäude optimal neu nutzen kann. Der Aufwand dafür scheint am Anfang erheblich zu sein, aber was würde man stattdessen dafür bekommen? Aufs "optimale" Minimum reduzierte Wohnflächen, architektonisch beliebig und austauschbar, und bar jeder urbanistischen Weitsicht?
Ich fände das Kasernenareal in Schlanders als ein gutes Experiment-Objekt, da es in naher Zukunft in vielen weiteren Orten zu ähnlichen Herausforderungen kommen wird – Kasernenareal in Meran, Bozen, Brixen… Das Land täte gut daran, diese Chance zu nutzen, die Gemeinde Schlanders zu unterstützen und urbanistisch ein weitsichtiges Pilotprojekt auf die Beine zu stellen, das auf die Einwohner, deren Bedarf, deren Wünsche und den Herausforderungen der Zukunft eingeht.
Antwort auf Spannend find ich ja, daß ein von Laurin Kofler
Wir befürchten eben auch eine
Wir befürchten eben auch eine "Inspiration" für die anderen Kasernenareale durch dieses Projekt. Als Schlanderser würde es mich natürlich freuen, wenn dieser Punkt in Betracht gezogen würde, und Schlanders als Vorzeigemodell in die Nachrichten kommen würde.
Danke Mathias für den tollen
Danke Mathias für den tollen Beitrag. Konsumfreie Zonen tragen wesentlich zur Lebensqualität einer Stadt bei. Wien war lange meine Wahlheimat: ohne Orte wie MQ, Donaukanal, Wientalterrasse und Karls Garten wär die Stadt nur halb so schön.
#basisbleibt
Antwort auf Danke Mathias für den tollen von Sophia Schneebacher
Das ist ja einer der Gründe,
Das ist ja einer der Gründe, warum Wien so lebenswert macht. Was in Städten wie Wien ganz normal erscheint, ist am Land leider Mangelware. Und hier hätte man eine einzigartige Möglichkeit, genau solches, und noch mehr, zu errichten. Hoffentlich wird die auch ergriffen.
Kann Es sein der
Kann Es sein der Bürgermeister mit aller Macht sein Denkmal setzten will? Seine Zeit als Dorfkaiser ist gezählt und die Gemeinde hat in seiner Zeit einen ziemlichen Schuldenberg gebaut.
Antwort auf Kann Es sein der von Factum Est
Das will ich dem
Das will ich dem Bürgermeister gar nicht unterstellen. Aber wenn es so wäre, hätte er mit einen der von uns genannte Vorschläge eine wirklich langwährendes Denkmal, so wie Thomas Strobl (anderer Kommentar) auch geschrieben hat.
Das sehe ich auch so. Und
Das sehe ich auch so. Und ganz wichtig, das möchte ich herausstellen, ist hier Zeit. Ob das Areal diesen oder nächsten Herbst abgerissen wird (hoffentlich natürlich gar nicht), macht im Endeffekt wenig aus. Aber dann könnte ein wirklicher, partizipativer Prozess in der Zwischenzeit gestartet werden und vielleicht eine alternative Machbarkeitsstudie durchgeführt werden. Das würde zu viel mehr Akzeptanz führen.
Wichtiger Beitrag! Und gut,
Wichtiger Beitrag! Und gut, das jemand auf das Problem hinweist und gleichzeitig konstruktive Ideen für Alternativen einbringt.