Gesellschaft | Journalismus

„Der Typ kann was“

Am Mittwoch wurde in Sexten der Gatterer-Preis an den Falter-Redakteur Lukas Matzinger vergeben. Salto.bz druckt die bewegende Laudatio von Jurysprecher Kurt Langbein ab.
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Foto: Presseclub Concordia
Ich freue mich, heute hier sprechen zu dürfen und es ist mir eine Ehre,  die Laudatio für Lukas Matzinger zur „Auszeichnung für hervorragenden Journalismus im Gedenken an Claus Gatterer“  zu halten. Es gab viele herausragende Einreichungen und in der Jury eine entsprechend ausführliche Diskussion, aber letztlich auch ein klares Votum.
Vorab ein paar Worte zum Umfeld des Preises.
Der österreichische Journalismus befindet sich in einer Krise.
Es ist eine Krise, in der Wohlgefälligkeit mit Inseraten erkauft werden kann und wird.
Es ist eine Krise, in der schrille Schlagzeilen Angst, ja Hysterie befördern statt Hintergründiges zu erzählen und differenziertes Nachdenken zu fördern.
Es ist auch eine Krise der Orientierung des Journalismus. Gerade angesichts der Herausforderungen durch eine Pandemie und einen Krieg in Europa – beides haben wir alle vor 3 Jahren noch für unmöglich gehalten - , gerade jetzt also ist aber engagierter Journalismus wichtiger denn je – ein Journalismus der die Handlungen der Staatsorgane hinterfragt, stets kritikfähig bleibt und die Spaltung in „Wir“ und „die Anderen“ nicht fördert, sondern relativiert.
Und es gibt ihn auch, den anderen, den von Humanismus, Ehrlichkeit und Neugier getriebenen Journalismus, der sich dem Mainstream entgegenstellt, wenn dies nötig ist. Und das freut mich.
Es gibt ihn auch, den anderen, den von Humanismus, Ehrlichkeit und Neugier getriebenen Journalismus, der sich dem Mainstream entgegenstellt, wenn dies nötig ist. Und das freut mich.
In den vergangenen zwei Jahren wurden unsere Kinder durch geschlossene Schulen und Kontaktverbote in ihrer Freiheit radikal eingeschränkt. Psycholog:innen kritisierten früh, dass ihnen damit die Chance zu einer psychisch stabilen Entwicklung genommen wird und dass dies gefährlicher sei als diese Infektion. Wer diese Kritik in den Medien aufgriff, wurde allerdings rasch zu den Corona-Leugnern gezählt.  Lukas Matzinger war einer der ersten Journalisten, der eindrücklich erzählte, welch enormer psychischer Notstand bei der Mehrheit der Kinder und Jugendlichen dadurch entstanden ist. Angst und Depressionen sind bei den Kids seit den Lockdowns viermal häufiger als davor.
Die Corona-Krise hat den Tod vom privaten ins öffentliche Bewusstsein geholt. Aber nur einen speziellen Tod, und das in schriller, Angst schürender Form. Doch selbst in den schlimmsten Corona-Zeiten starben 5mal mehr Menschen an Herz-Kreislaufkrankheiten und 3mal mehr Menschen an Krebs – und diese Sterblichkeit nahm als Resultat der Corona-Maßnahmen sogar zu. Lukas Matzinger recherchierte eine berührende Geschichte über vier Menschen, die während der Pandemie an Krebs starben.
 
 
In letzter Zeit haben die Medien vermittelt, dass Covid-19 uns alle gleichermaßen treffen und töten kann. Lukas Matzinger hat recherchiert, dass Covid-19 zu gut 90%  eine Krankheit der Alten und der Armen ist. Die Armen – das sind bei uns zu 90% Migranten. Sie leben und arbeiten unter gesundheitsschädlichen Bedingungen, sie sind weniger gebildet und sie wurden durch Information lange nicht erreicht. Er hat nicht mit dem spitzen Finger der Abwertung auf sie gezeigt, sondern uns diese Menschen und ihre Welt näher gebracht, ihre Gedanken wurden nachvollziehbar.
Und Lukas Matzinger hat die Geschichte der Terror-Opfer des 2.November 2020 und ihrer Angehörigen erzählt, und die Geschichte des schändlichen Umganges unseres Staates mit diesen Opfern.
Lukas Matzinger predigt nicht vom Tisch, er schaut darunter.
Lukas Matzinger bedient keine Klischees, verstärkt keine Vorurteile, Ausgrenzung ist seine Sache nicht.
Lukas Matzinger predigt nicht vom Tisch, er schaut darunter.
Er geht neugierig und offen in die Recherche, er will die Menschen und ihre Motive verstehen  und er macht uns diese Menschen und ihre Gedanken damit verständlich.
Wer ist dieser Lukas Matzinger? 1990 geboren wuchs er in Altenmarkt bei St. Gallen auf, einer 800 Seelen-Gemeinde beim steirischen Gesäuse. Es gibt dort ein wenig Industrie, der Bürgermeister war stets Sozialdemokrat. Der Vater war Facharbeiter bei der ÖBB, die Mutter blieb bei den Kindern.
Lukas Matzinger war widerborstig. Bei der HAK-Matura riet ihm die Deutschlehrerin, etwas mit Sprachen zu studieren - also inskribierte er Mathematik.
Der Zivildienst bei der Lebenshilfe im nahen Admont brachte ihn näher zu seinem Beruf, er lernte das Leben von Behinderten kennen.
Da sattelte der 21Jährige um und belegte an der Fachhochschule Johanneum in Graz den Studiengang Journalismus und Public Relations.
Vor dem Abschluss gibt es da ein dreimonatiges Pflichtpraktikum. Lukas Matzinger beginnt zu schreiben, zunächst die Geschichte einer Frau und ihrer behinderten Tochter, die er als Betreuer in  Admont kennen lernt. Diese Geschichte schickt er nun an den Chefredakteur der Zeitschrift Falter gemeinsam mit einem Bewerbungsschreiben für ein Praktikum.
Die Geschichte habe ihn beeindruckt, erzählt mir Florian Klenk, der Chefredakteur – er habe sich gedacht: „Der Typ kann was“. Aber die Bewerbung ist dann irgendwie im Trubel untergegangen. Erst der Trubel, den der 25Jährige Student mit Anrufen und mails verursacht hat, habe das aufgewogen.
Lukas Matzinger kam im Jahr 2015 zum Praktikum und blieb nach den drei Monaten als Angestellter Redakteur des Falter.
Er schreibt auch über die Oper, über Rammstein, über Ivica Osim, Wrestling und Glückspiel.
Dem Falter ist zu wünschen, dass das so bleibt.
Und uns auch.
Herzliche Gratulation, Lukas Matzinger, zur „Auszeichnung für hervorragenden Journalismus im Gedenken an Claus Gatterer“.